Brand im Berliner Grunewald: Naturschutz auf dem Pulverfass
Blindgänger und Munitionsreste Auf dem Sprengplatz im Berliner Grunewald explodiert alte Munition. Umweltstiftungen kennen die Gefahr. Waldbrände lassen auch andernorts Weltkriegsgranaten im Boden explodieren
Anfang August 2022, Blick vom Teufelsberg auf den Grunewald in Berlin
Foto: Kay Nietfeld/dpa
Der Dauerbrand auf dem Sprengplatz im Grunewald hat die Berliner aufgeschreckt. Mitten im Erholungswald einer Millionenstadt, weniger als einen Kilometer von der Stadtautobahn Avus entfernt, lagern Tonnen alter Munition auf so unübersichtlichem Terrain, dass die Feuerwehr dort nicht löschen kann. Stattdessen müssen die Löschtrupps aus der Ferne zusehen, wie Weltkriegsgranaten und beschlagnahmte Feuerwerkskörper in die Luft fliegen. Nur in umgebauten Panzern können sie sich dem Feuer nähern – und doch wenig dagegen ausrichten. Selbst Tage nach dem Ausbruch des Brandes glüht der Boden des Sprengplatzes so stark, dass das Gelände wegen der anhaltenden Detonationsgefahr nicht betreten werden kann.
Dabei ist der brennende Grunewald eine angek
e angekündigte Katastrophe: Seit Jahren warnen Klimaforscher*innen vor Extremwetterereignissen wie Hitze und Dürre. Je heißer und trockener die Sommer werden, desto öfter brennen Wälder und sogar Moore. Mit jedem heißen Sommer steigt die Gefahr, dass alte Munition und nicht explodierte Fliegerbomben in Flammen aufgehen und die Waldbrände sich weiter ausbreiten.Denn nicht nur auf dem Sprengplatz im Grunewald, sondern überall in Deutschland stecken Blindgänger und Munitionsreste im Boden, an allen Orten, an denen in den Weltkriegen Bomben gefallen sind, wo gekämpft, fürs Kämpfen geübt wurde – und wird. Das Land Brandenburg ist ein Hotspot dieser militärischen Altlasten. Rund zwölf Prozent der Landesfläche, etwa 360.000 Hektar, gelten als belastet. Besonders viel Artillerie- und Infanterie-Munition liegt an der polnischen Grenze, an der im zweiten Weltkrieg umkämpften Oder-Neiße-Linie.1.000 Hektar MoorbrandFür dieses gefährliche Kriegserbe ist die Kampfmittelbeseitigung der jeweiligen Bundesländer zuständig. Einige dieser Einrichtungen sammeln ihre Altlasten auf Sprengplätzen wie im Grunewald; in Bayern werden Blindgänger und Munitionsfunde in Bunkern der Sprengkommandos gelagert, in Nordrhein-Westfalen zu spezialisierten Zerlegebetrieben transportiert.Die Bundeswehr wiederum ist für militärische Altlasten und Munition auf ihren eigenen Flächen verantwortlich, also für Kasernen, Depots, Flug- und Übungsplätze. Sie hat nach eigenen Angaben über 15.000 „kontaminationsverdächtige Flächen“ erfasst und mehr als tausend von ihnen saniert. Eine halbe Milliarde Euro hat das bislang gekostet. Auch die aktuell genutzten Schießplätze der Bundeswehr bergen Risiken. Während auf Standortübungsplätzen vor allem mit Handwaffen geschossen wird, kommen auf Truppenübungsplätzen auch Granaten und andere explosive Waffen zum Einsatz. Diese Truppenübungsplätze haben eigene Feuerwehren, Löschbrunnen, Teiche und Brandschutzstreifen. Gefährlich bleibt es trotzdem. 2018 lösten Raketen der Bundeswehr auf einem Schießplatz in Meppen in Niedersachsen einen Moorbrand aus, der 1.000 Hektar erfasste und der erst nach Wochen gelöscht werden konnte. Riesige Rauchwolken stiegen auf, der Landkreis Emsland rief den Katastrophenfall aus.Nach ihren Übungen entsorgt die Bundeswehr die entstandenen Munitionsreste, dennoch bleiben, so das Informationszentrum der Streitkräftebasis, die Zielgebiete im Inneren der Übungsplätze „mit Blindgängern belastet“ und für Menschen gesperrt.Die Altlasten der ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplätze dagegen hat zunächst der Bund übernommen. Auf etwa zwei Prozent des DDR-Staatsgebietes war zwischen 1945 und Anfang der 1990er Jahre Moskaus sogenannte Westgruppe der Truppen stationiert. Auf 2.570 Quadratkilometern befanden sich 1.116 sowjetische Liegenschaften, vor allem: belastete Truppenübungsplätze. Die hat der Bund nach dem Abzug der russischen Truppen den Bundesländern, Stiftungen und Verbänden für den Naturschutz angeboten – verlockend, denn im dicht besiedelten Deutschland ist es fast unmöglich, große zusammenhängende Flächen vor schädlichem menschlichen Einfluss zu schützen. Solche geschützten Gebiete sind aber unersetzlich, um das gefährliche Massensterben von Arten wenigstens zu begrenzen. Eine Million Arten sind in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht, warnt der Weltbiodiversitätsrat.Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt DBU und weitere Umweltstiftungen nutzten das Angebot zur Übernahme der alten Militärflächen und so wurde aus dem belasteten Kriegs- und Militärerbe das Nationale Naturerbe, zu dem inzwischen rund 164.000 Hektar gehören. Auch der ehemalige deutsch-deutsche Grenzstreifen und aufgegebene Braunkohle-Tagebauflächen gehören dazu, doch die ehemaligen Truppenübungsplätze machen den größten Teil aus. Dort sind es ausgerechnet die Bomben und Granaten im Boden, die die ungestörte Naturentwicklung auf den Flächen darüber schützen. Ein mit Splittern und Munition verseuchter Boden wäre für andere Zwecke nicht nutzbar, weder als Siedlungsgebiet noch für die Land- und Forstwirtschaft.„Das war eine tolle Idee – mit einer gewaltigen Kehrseite“, sagt Andreas Meißner, promovierter Biologe und Geschäftsführer der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg, die auf 13.700 Hektar in Brandenburg neue Wildnis wachsen lässt. „Unsere Flächen waren bis 2010 mit wenig Waldbrandschutz gut zu managen, doch jetzt im Klimawandel hat sich die Waldbrandgefahr stark erhöht und auch die Entzündungsgefahr von Munition.“ Beide Risiken verstärken sich gegenseitig: Waldbrände lassen vergessene Munition im Boden explodieren und alte Kampfmittel können sich durch die Hitze entzünden und wiederum Waldbrände auslösen. Spätestens seit der ehemalige Mecklenburger Truppenübungsplatz Lübtheen im Dürresommer 2019 auf beinahe 1.000 Hektar abbrannte, ist diese Gefahr präsent. Auch hier breitete sich wie im Grunewald Feuer aus, weil die explosive Munition im Boden Löscharbeiten verhinderte.Die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg hat gleich nach dem ersten großen Brand auf ihren Flächen 2010 mit Naturschutzbehörden, Ordnungsämtern und Feuerwehren Waldbrandschutzsysteme aufgebaut. „Doch 2019, im zweiten Dürrejahr in Folge, gab es starke Austrocknungen, Temperaturen über 35 Grad und heißen Südwind, der unser Waldbrandschutzsystem innerhalb kürzester Zeit überwunden hat“, sagt Meißner. „1,8 Millionen Euro hat die Stiftung inzwischen in die Entmunitionierung unter anderem von Brandschutzwegen und Löschwasserentnahmestellen investiert. „Immer in Abwägung zwischen Naturschutz- und Brandschutzzielen. In Jüterbog haben wir auf knapp zwei Prozent der Flächen Waldbrandschutzstreifen mit Wundstreifen, auf denen der Boden immer wieder komplett umgedreht wird, angelegt. An den Wundstreifen sollen Bodenfeuer auslaufen.“Phosphor in der WildnisBei Jüterbog liegt die größte Wildnisfläche der Stiftung, über 7.150 Hektar; sie birgt die größte Gefahr: korrodierende Phosphormunition, die seit mehr als 100 Jahren im Boden liegt, seit dort nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrags Phosphormunition vernichtet wurde. Wenn kleine Stückchen dieser Munition an die Oberfläche gelangen und mit Luftsauerstoff in Berührung kommen, kommt es immer wieder zu Entzündungen – Naturschutz auf dem Pulverfass. „Wir müssen jetzt noch mehr gegen die Waldbrandgefahr tun und in die Entmunitionierung der Flächen investieren“, sagt Meißner. „Dabei muss uns die Politik helfen.“ Drei Forderungen hat er: mehr Geld für umfassende Waldschutzkonzepte und Kampfmittelberäumungen, spezielle Feuerwehreinheiten, die mit Experten Brände auf gefährlichen Flächen löschen können, den Aufbau einer sofortigen Luftunterstützung bei Waldbränden. Das Land Brandenburg etwa hat noch keine eigenen Löschflugzeuge oder Hubschrauber. Das alles wäre sinnvoll, um kleinere Brände schnell zu löschen – aber auch, um die freiwillige Feuerwehr, die heute vor allem zum Einsatz kommt, vor unkalkulierbaren Explosionen zu schützen.Sämtliche kontaminierten Flächen von allen gefährlichen Altlasten zu befreien, fordern die Umweltstiftungen aus dem Nationalen Naturerbe dagegen nicht – weil das als unmöglich gilt. Es würde viele Milliarden Euro kosten, außerdem fehlt es an Maschinen und Experten für solch gigantische Bodenumwälzung, die obendrein ökologischen Schaden anrichten würde. Umso wichtiger ist der vorbeugende Brandschutz.Sven Selbert, Waldexperte des Naturschutzverbands NABU, warnt vor den Umweltgefahren durch Waldbrände: Schon bei gewöhnlichen Waldbränden entstehen Rauchgase und Feinstaub, doch die Explosivstoffe aus der Munition machen das Ganze wesentlich gefährlicher: Sie können Krebs auslösen, Leber und Erbgut schädigen. Außerdem können Schwermetalle wie Blei, Quecksilber und Arsen aus Granaten und Zündern in die Luft entweichen. Dazu kommt die tödliche Wirkung auf Wildtiere, die sich nicht schnell genug retten können.Dabei können Waldbrände bei aller Gefahr auch positive Folgen haben: „Aus naturschutzfachlicher Perspektive ist es nicht per se schädlich, wenn Waldbestände durch Brände zerstört werden“, erklärt Susanne Belting, fachliche Leiterin des DBU-Naturerbes. „Dies schafft neu strukturierte Lebensräume und kann die Artenvielfalt erhöhen.“ Vor allem alte Kiefernforste mit viel totem Holz und dicken Nadelschichten am Boden gelten als feueranfällig – und ökologisch wenig förderlich. Deshalb sollen viele dieser Holzproduktionsplantagen in den nächsten Jahrzehnten zu vielfältigen Mischwäldern mit heimischen Baumarten umgebaut werden, die weniger feueranfälllig sind, auch auf den 71 Flächen des DBU-Naturerbes. „Das Mikroklima in diesen Wäldern ist kühler und feuchter. Zudem haben Laubbäume im Gegensatz zu Nadelbäumen kein Baumharz, welches bei Waldbränden ein Feuer beschleunigt“, sagt Susanne Belting.Doch die extrem heißen und trockenen Dürresommer der vergangenen Jahre lassen alte Gewissheiten verdorren. Viele Forstwissenschaftler sorgen sich auch um die alten Laubwälder und fragen bange nach der Zukunft des Waldes in heißen Zeiten. Eine Hoffnung gibt es: Gräben verschließen, um das Wasser zu halten, und wie im Mittelalter Rinder und Pferde in den Wäldern weiden lassen. Das würde lichte Wälder mit wenig brennbarem Material schaffen – und der biologischen Vielfalt nützen.
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