Brandstellen

Genua und die Sprache des Terrors Berlusconi vergleicht Globalisierungsgegner mit Osama bin Laden

Die Drohung war mehr als deutlich: "Erst Carlo - bald ihr", hatten die Brandstifter an die Wand gesprüht. Die Rußspuren daneben geben nur eine Ahnung von der Zerstörung im Innern des Gebäudes. Möbel, Computer, Videorecorder, die kleine Bibliothek - das selbstverwaltete Zentrum nahe der Innenstadt von Genua wurde durch das Feuer fast vollständig vernichtet. Und damit auch die Arbeit von vielen Jahren. Realität drei Monate nach dem G 8-Gipfel, bei dem Carlo Giuliano aus einem Polizeiwagen heraus erschossen und dann mehrfach überfahren wurde. Der Tod des Studenten war der grausame Höhepunkt einer Welle von Gewalt, die Genua während des G 8-Gipfels am 20. und 21.Juli überzog und bis heute nicht völlig verebbt ist wie der Anschlag auf das Zentrum offenbart. Carlo Giuliano wurde für Berlusconis Rechtsregierung zum Prototypen des "gewalttätigen Demonstranten" - für andere zum ersten Märtyrer der Antiglobalisierungsbewegung.

Wer da seinen Namen zur Warnung neben dem Brandort hinterlassen hat, dazu gibt es im Stadtteilzentrum verschiedene Deutungen. Es könnten Rechtsradikale dahinter stecken, vermuten einige. Schließlich gingen zuvor Drohanrufe ein. Andere machen die Polizei für das Feuer verantwortlich. "Es hat in Italien seit dem G 8-Gipfel mehr als 100 Durchsuchungen linker Zentren gegeben", sagt Claudio Serani, der seit Jahren in selbst verwalteten sozialen Projekten Genuas aktiv ist. "Aber eigentlich ist diese Frage für Italien inzwischen fast unerheblich - hier bilden Rechtsradikale die Regierung."

Seit den Massenprotesten im Juli und verstärkt nach den Terroranschlägen vom 11. September macht die italienische Regierung mobil gegen links und gegen alle, die Kritik üben. Silvio Berlusconi stellt die Demonstranten von Genua unbeeindruckt auf eine Stufe mit Osama bin Laden, sie hätten dieselbe Gegnerschaft zur Globalisierung wie der gesuchte Top-Terrorist und seien daher auch als Kriminelle zu behandeln. Mitarbeitern des Genoa Social Forum (GSF) wird "Anstiftung zum Verbrechen" vorgeworfen, das ganze Gremium damit bewusst in die Nähe des Terrorismus gerückt. Zahlreichen GSF-Aktivisten drohen seit dem Gewalt-Gipfel ebenso Gerichtsverfahren wie auch einigen Deutschen, die im Juli verhaftet wurden.

Die letzten fünf Untersuchungsgefangenen wurden erst in der vergangenen Woche - nach drei Monaten - entlassen. Alle Proteste von offizieller und inoffizieller Seite verhallten ungehört. Kurz vor der Freilassung hatte noch der Berliner AL-Abgeordnete Hartwig Berger die Gefangenen in Genua besucht. "Die Indizien reichen nie und nimmer für eine Verurteilung", glaubte er, "damit lässt sich nicht einmal rechtfertigen, dass die jungen Leute so lange festgehalten wurden." Den fünf 18- bis 21-jährigen Schülern und Studenten wird vorgeworfen, "Waffen" in ihrem Auto mitgeführt zu haben - es handelte sich um Zeltstangen, einen Hammer sowie Taschenmesser und "schwarze Kleidung". Auch wenn die Verhafteten jetzt erst einmal auf freiem Fuß sind, die Prozesse haben sie noch vor sich. Dem polizeilichen folgt das juristische G 8-Nachspiel, Hunderte von Anklageschriften liegen vor, wobei wegen der Überlastung römischer Gerichte nicht vor Ende 2002 mit ersten Verfahren gerechnet wird. Bis dahin - so Silvio Berlusconi - sollten sich die Kritiker ruhig verhalten. Wenn nicht, werde man "die Terroristen" mit aller Härte verfolgen.

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