Bratwurst und Schokolade

Berliner Abende Nicht, dass ich so besonders gern Bratwurst esse - dennoch landen wir so ziemlich jeden Sonnabend an einem Bratwurststand auf einem der zahlreichen ...

Nicht, dass ich so besonders gern Bratwurst esse - dennoch landen wir so ziemlich jeden Sonnabend an einem Bratwurststand auf einem der zahlreichen Baumärkte, die unser Zuhause umzingeln. Das liegt zum einen an meiner Unlust am Kochen und zum anderen an der magischen Anziehungskraft, die so ein Baumaterialien-Paradies auf B. hat. Es ist egal, ob wir zu Beginn des Wochenendes aufbrechen, um den leeren Kühlschrank zu befüllen, uns auf dem Recyclinghof aller Werbeprospekte, Zeitungen und leeren Flaschen der zurückliegenden Woche entledigen oder ob wir zum Sport fahren; früher oder später besitzen wir ein paar Schräubchen, Kabelchen oder Steckdöschen mehr und halten jeder eine Bratwurst in der Hand.

Am vergangenen Sonnabend sollte das anders sein. Bereits im November des Vorjahres hatten uns die Kinder mit Gutscheinen für ein luxuriöses Schokoladen-Menü in vier Gängen überrascht. Nein, sie sind nicht bratwurstgeschädigt, die "BuB"-, also Bratwurst-und-Baumarkt-Ära, begann erst, als unsere Kinder schon aus dem Haus waren.

Da die Gutscheine nur sechs Monate gültig bleiben, war es höchste Eisenbahn. B. reservierte uns einen Tisch bei Fassbender Rausch Chocolatiers am Gendarmenmarkt in Berlins Mitte, dem einzigen Schokoladenrestaurant Europas. Vielleicht waren wir ja in einem früheren Leben schon einmal bei Heinrich Fassbender, gleich um die Ecke in der Mohrenstraße 10. Seine außergewöhnlichen Kreationen machten ihn 1863 zum Königlichen Hoflieferanten. Ich kann mich allerdings nicht erinnern. Jetzt wollten wir zu Jürgen Rausch, der heute das Familienunternehmen in vierter Generation leitet.

Umweltbewusst nahmen wir die S-Bahn und ließen das Auto am Bahnhof Mahlsdorf stehen. Wir wollten ja nur bis zur Friedrichstraße, daher war uns egal, dass als Zielbahnhof "Olympiastation" angegeben war, obwohl das normalerweise nicht die Route ist. Erst später, als sich immer mehr launige Schal-, Fahnen- und Trikotträger stimmgewaltig ihres Daseins vergewisserten, ließ ich mir erklären, dass sich justament, wenn wir uns zwischen dem zweiten und dritten Gang unserer Gaumenfreuden genüsslich den Schokoladenmund abtupfen würden, Akteure und Fans von Bayern München und Borussia Dortmund sich auf das Pokalendspiel dieser Saison vorbereiten. Immerhin der Fanruf kam schon ganz gut rüber. Auf dem Weg zu Fassbender Rausch in der Charlottenstraße/Ecke Mohrenstraße gerieten wir vor dem Regent-Hotel in einen Schwarm erwartungsfroher weiblicher Fußballerfans, die hier Spalier bildeten. Vor dem Restaurant Luther Wegener und der Newton-Bar blieben die Lümmelzonen aus Korb dagegen leer. Das mochte am Wetter oder an den Preisen liegen. Wir steuerten jedenfalls zielstrebig auf die Schokoladenecke zu. Zu ebener Erde kann man sich bei Fassbender Rausch wunderbare Schokoteile ins Einkaufskörbchen packen, nur das Brandenburger Tor und der Reichstag sind Dekoration, beides halbmannshoch und voll aus dunkelbraun glänzender Schokolade. Mit dem gläsernen Fahrstuhl schweben wir dann in die erste Etage ins Schokoladenrestaurant und werden platziert. Zum Glück sehr schön, direkt am Fenster mit Blick auf den Gendarmenmarkt. Unten fahren Pferdewagen, gelenkt von Kutschern im altberliner Look und menschgetriebene Fahrradkutschen. Aus einer winkt uns ein Stadtbesichtiger euphorisch zu. Das ist uns am Bratwurststand auf dem Baumarkt noch nie passiert.

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