Brot und Spielregeln

Medien Sie mögen Brot und sie telefonieren nicht beim Autofahren. N-TV sendet nun auch auf Arabisch und erklärt Migranten die Welt der Deutschen
Ausgabe 43/2015

Seit ein paar Wochen richtet sich eine erste deutsche Fernsehsendung direkt an Arabisch sprechende Flüchtlinge. Marhaba (dt. Hallo) heißt sie und wird auf N-TV ausgestrahlt. Der Moderator spricht Arabisch, wenn auch mit starkem Akzent, und sieht aus wie ein Jura-Student. Mit stahlgrauen Augen erklärt er den Flüchtlingen Deutschland. Die erste Eigenschaft der Deutschen sei diese: „Wir Deutschen arbeiten üblicherweise den gesamten Tag und nutzen den Abend für unsere Freizeit, die uns so wichtig ist.“ Der Moderator scheint nicht aus Berlin zu kommen, aber interessant ist diese Information dennoch. Es könnte ja sein, dass die Zugereisten nach guter alter Kameltreibermanier auf die Idee kämen, nachts zu arbeiten und tagsüber zu schlafen. Möglich ist alles.

Und er erklärt noch andere interessante Eigenschaften „der Deutschen“. Sie mögen Brot. Sie telefonieren nicht beim Autofahren. Außerdem beachten sie rote Ampeln, ein Thema, das sich gefühlt durch die halbe Sendung zieht. Inzwischen sind eine zweite und eine dritte Folge der Reihe erschienen. In der zweiten wird das Grundgesetz im Verhältnis zur Scharia erklärt, und dass in Deutschland weder Kinder noch Frauen geschlagen werden dürfen. Man sieht dabei direkt die Befürchtung der Macher der Sendung vor Augen. Horden muselmanischer Männer überschwemmen Deutschland, setzen die Straßenverkehrsordnung außer Kraft, feiern jede Nacht zu hypnotischer Musik durch, um tagsüber ihre Frauen und Kinder zu prügeln.

Es ist nicht prinzipiell falsch, Grundregeln zu betonen. Und mancher Flüchtling hat sicher eine Belehrung nötig. Mancher Deutsche allerdings auch. Die Marhaba-Ratschläge aber klingen, als würde man nach Berlin reisenden Bayern freundlich erklären, dass hier weder übermäßiges Weißwurstkochen noch Maßkrugschlägereien besonders erwünscht seien – und Schuhplatteln nur nach vorheriger Rücksprache mit den Nachbarn.

Besser macht es in Berlin tatsächlich die Bild-Zeitung, die in Bezug auf Flüchtlinge unter einer bipolaren Störung zu leiden scheint. Neulich brachte sie eine Beilage für Flüchtlinge auf Arabisch heraus. Darin fanden sich unter anderem Informationen zu den richtigen Anlaufstellen und zur Orientierung in der Stadt. Außerdem enthielt sie ein kleines Wörterbuch mit deutschen Begriffen und arabischer Übersetzung. Besser macht es auch das Funkhaus Europa, indem es die fünfminütige, wochentags erscheinende Sendung Refugee Radio produziert, in der ganz sachlich die neuesten für Flüchtlinge relevanten Nachrichten auf Englisch und Arabisch zusammengefasst werden. Und der WDR hat einige Folgen der Sendung mit der Maus mit Sprechern ergänzt, die Flüchtlingskindern auf Arabisch, Kurdisch und Dari erklären, warum Eier beim Kochen hart werden und wie LED funktioniert.

Solche Projekte sind unerlässlich. Leider gibt es zu wenige und oft sind es nur Einzelvorhaben. Oder sie gleichen, wie die Sendung Marhaba, im freundlich-paternalistischen Ton an der Haustür verlesenen Hausordnungen. Dabei gäbe es viel Potenzial. Selbstverständlich gibt es auch unter Flüchtlingen ignorante Hinterwälder, aber es gibt auch viele kluge und witzige Menschen unter ihnen. Die haben viel erlebt und verstehen oft mehr von Freiheit und Vielfalt als so mancher ignorante Hinterwäldler aus Deutschland. Mit ihnen könnte man durchaus interessante Medienangebote schaffen – nicht nur für Flüchtlinge.

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Geschrieben von

Houssam Hamade

War lange Partymaus und Türsteher. Nun ist er Sozialwissenschaftler, schreibt Bücher über menschliche Grenzfragen und Texte für diverse Zeitungen.

Houssam Hamade

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