Brüder

Linksbündig Der verschwiegene Sexismus in den Vorstädten

In den letzten Wochen ist viel über die französischen Vorstädte geschrieben worden. Dabei konnte man leicht den Eindruck gewinnen, es handle sich hier um Orte, in denen ausschließlich Männer leben. Die Abwesenheit von Frauen bei den gewalttätigen Ausschreitungen in der "banlieue" war den Politikern und Intellektuellen, die nach Erklärungen für die Explosion der Gewalt suchten, allerdings keinen Kommentar wert. Dass nur junge Männer an den Gewaltaktionen beteiligt waren, wurde weder explizit erwähnt, noch bei der Analyse der Ereignisse berücksichtigt. Die Probleme der revoltierenden Immigrantenkinder, ihre Erfahrung mit Diskriminierung in Schule und Beruf, ihre Konfrontation mit der Polizei, wurden als generelle Erfahrungen von Jugendlichen in den Cités beschrieben.

Die Lebensrealität von jungen Frauen in der "banlieue" sieht anders aus. Doch über sie erfuhren wir nichts. Indem die zumeist männlichen Kommentatoren die Frauen ausblendeten, wiederholten und legitimierten sie unbewusst deren reale Verdrängung aus dem öffentlichen Raum der Vorstädte. Der französische Politologe Emmanuel Todd beispielsweise wertete die Revolte der Jugendlichen als Ausdruck ihrer gelungenen Integration in die französische Gesellschaft, beweise doch ihr aufrührerisches Verhalten, dass sie die republikanischen Werte "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" ernst und die Franzosen beim Wort nähmen. Für Todd zeigt sich der revolutionäre Impetus der Jugendlichen angeblich auch darin, dass sie sich im Konflikt mit dem traditionellen, von ihren Eltern gelebten Geschlechterverhältnis befänden, von dem sie sich befreien wollten. Genau das Gegenteil jedoch ist der Fall. In den letzten zehn Jahren haben archaische, patriarchale Vorstellungen über Rolle und Bedeutung von Mann und Frau in den Cités an Einfluss gewonnen. Dies äußert sich unter anderem auch in einer extrem traditionellen, die Geschlechter trennenden Erziehung, die von den jungen Frauen die absolute Unterwerfung unter die väterliche, männliche Autorität und Jungfräulichkeit bis zur Ehe fordert. Epiphänomene dieser Entwicklung sind die Zunahme der Zahl der Kopftuchträgerinnen und der Zwangsverheiratungen. Die jungen Frauen, über deren "Moral" der große Bruder wacht, wurden zunehmend aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Den vorläufigen dramatischen Höhepunkt dieser Entwicklung bildete der brutale Mord an einer jungen Frau im Oktober 2002, die sich den ungeschriebenen Gesetzen der Cité nicht unterwerfen wollte. Einige engagierte Frauen gründeten daraufhin die Bewegung "Ni putes, ni soumises" (Weder Huren noch Unterworfene), die seither gegen die sexistische Gewalt in den Vorstädten kämpft. Deren Engagement findet allerdings keine ungeteilte Zustimmung, denn ihre Kritik an der Gewalt der jungen Männer der "banlieue" wird von einigen als versteckter Rassismus bewertet. Gewalt gegen Frauen, so heißt es, sei in allen Schichten vertreten und kein spezifisches Problem der Vorstädte. Dies ist zwar richtig, ändert jedoch nichts daran, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen Gewalt und übersteigertem Machismus in den Vorstädten besteht, den es ernst zu nehmen gilt. Nicht zuletzt die extrem frauenfeindlichen und Gewalt verherrlichenden Texte der Rap-Musiker zeugen davon. Doch die kritische Betrachtung des Sexismus der Vorstadt-Machos ruft die Verteidiger des sakrosankten französischen Prinzips des Universalismus auf den Plan. Danach dürfen Sachverhalte nicht thematisiert und kritisiert werden, wenn dabei Unterschiede zwischen einzelnen Menschen oder Gruppen deutlich werden - auch wenn es diese Unterschiede gibt. Ganz nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Eine Gesellschaft, die sich die Gleichheit ernsthaft zum Ziel gesetzt hat, muss aber erkennbar diskriminierende Unterschiede als Realitäten wahrnehmen und nach ihren Ursachen forschen, um sie zu bekämpfen. So bestätigt eine Studie der französischen Soziologin Horia Kebabza beispielsweise den wachsenden "Virilismus" der jungen Männer in den Vorstädten. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass diese damit auf die Erfahrung von sozialer und wirtschaftlicher Ausgrenzung reagierten. Bleibt die Frage, warum die jungen Frauen in den Vorstädten mit den gleichen Problemen anders umgehen. Könnte es vielleicht mit ihrer Erziehung und der Bereitschaft zu harter Arbeit und schulischer Disziplin zusammenhängen?


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