Brüder, in eins nun die Hände

Der Kandidat Gerhard Schröder hat für sich die Sozialdemokratie als ideelles Asyl entdeckt

Der Vorsitzende der SPD scheut derzeit nicht die Nachrede, er sei ein Sozialdemokrat. Das Bekenntnis zu seiner Partei, das Gerhard Schröder jetzt auf dem Wahlparteitag in Berlin abgelegt hat, ist freilich inhaltlich nur vage begründet. Weit stärker hat an ihm die - späte - Einsicht des Kanzlers mitgewirkt, dass er allein die Bundestagswahl nicht gewinnen kann; nicht einmal Arm in Arm mit Josef Fischer.
Zwar hat der Außenminister die grüne Bewegung so gut wie ganz in eine Wahlplattform für sich und seinesgleichen umfunktionieren können. Der Bundeskanzler aber hat erfahren müssen, dass er es noch immer mit einer ihrem Charakter nach geradezu klassischen Partei zu tun hat, deren emotionale Selbstvergewisserung um so stärker zu berücksichtigen ist, je blasser ihre Programmatik wird. Da besteht ein Kompensationsbedürfnis, das auch dem sozialen Flügel der Christlichen Union vertraut ist. Gegenüber solchen Empfindlichkeiten sind Angela Merkel und Edmund Stoiber im Großen und Ganzen bisher sicherer in ihrem politischen Instinkt gewesen als Gerhard Schröder, der sich gern mit den Bossen gemein machte.
Woran sonst als an ihren herkömmlichen Gefühlen sollen sich die Sozialdemokraten vier Jahre nach dem Ausrufen einer neuen Mitte bei damals guten Börsenkursen aufrichten? Am seitherigen Fortschritt der Privatisierung gesellschaftlicher Solidarität? Ob Schröder am letzten Sonntag auf dem Wahlparteitag nur ein sozialdemokratisches Lippenbekenntnis im Sinn hatte, nur vorübergehend ein ideelles Asyl suchte, wird sich erst erweisen, wenn er mit Hilfe der SPD die Wahl am 22. September gewinnen sollte und danach noch einmal für einige Zeit der Kanzler-Selbstherrlichkeit das Sozialdemokratische aus den Augen verlieren könnte.
Spannender als der vorhersehbare Verlauf des Parteitags der SPD waren am selben Wochenende die Bemühungen von SPD und CDU/CSU, die FDP davon abzuhalten, sich so weit nach rechts außen zu begeben - genauer: so weit im ungezügelten Opportunismus einiger ihrer durchaus tonangebenden Leute kenntlich zu werden -, dass man nach der Bundestagswahl beim besten Willen nicht mit ihr koalieren könnte. Jedenfalls noch nicht in diesem Herbst. Schröder sagte markig: So nicht weiter. Er weiß: Es wird sich schon einrenken. Hätte er sich trotz Möllemann die Tür zur FDP noch deutlich weiter offen gehalten, so hätten nicht nur die Jungsozialisten seinen Gefühlseinklang mit den SPD-Delegierten in Berlin gestört.
Die Christdemokraten waren eher listig in ihren Anstrengungen, die FDP aus einem ärgerlichen, störenden Abseits herauszuholen. Sie wiesen darauf hin, dass zunächst doch der Bundeskanzler in die Kritik geraten sei wegen seines Gastes Martin Walser am 8. Mai im Kanzleramt. Warum werde darüber nicht mehr gesprochen? Sei es nicht angeraten, über das Fehlverhalten Möllemanns wie über die vorangegangene Unbedachtheit Schröders nun zur Tagesordnung überzugehen?
Die ohnehin nicht kleinen Aussichten für eine große Koalition nach der Bundestagswahl sind vorige Woche mindestens so gewachsen wie Schröder hofft, dass es der Mut seiner Sozialdemokraten tut. Kommt es zum Regierungsbündnis aus CDU/CSU und SPD, was sachlich nicht das Schlechteste zu sein braucht, so werden Möllemann und die Seinen die Berliner Republik nachhaltiger, radikaler verändern, als es die 68er-Bewegung aus der entgegengesetzten Richtung mit der Bonner zuwege gebracht hat.
Und vom Bodensee lässt sich Martin Walser hören, dessen schriftstellerischer Ehrgeiz seit längerem offenbar auf´s Missverständliche, Missdeutbare seiner Texte zielt. Er hat, so verlautbart er, seine Schwierigkeiten mit dem Zeitgeist. Kann ihm denn niemand in hoher Auflage öffentlich schreiben, dass gerade er seit Ende der achtziger Jahre den herrschenden Zeitgeist ausdrückt, dessen Ungeniertheit, die man Normalisierung nennt, immer taktloser, bedenkenloser wird? Walser artikuliert ihn angemessen mit seinen sprachlichen Unklarheiten, seinen Gefühlsaufwallungen aus einem tief empfundenen Ungefähr, seiner Geringschätzung des Vernünftigen. Womit Walser noch immer, sehr nachträglich, hadert, ist ein längst verwehter, von Walser mit ausgetriebener Nachkriegs-Zeitgeist, den wir noch vermissen werden. Der trug manche Empfindungen nicht auf der Zunge, sondern redete statt dessen der Ratio das Wort.

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