Brüche, so ehrlich wie das Leben

Boxen In Deutschland hat der Sport seine besten Zeiten hinter sich. Warum wir trotzdem wieder einschalten sollten
Ausgabe 40/2021
Robin Krasniqi (Nase rechts) und Dominic Bosel (Nase links)
Robin Krasniqi (Nase rechts) und Dominic Bosel (Nase links)

Foto: Christian Schroedter/IMAGO

Am Samstagabend kommt im Fernsehen, im Ersten, mal wieder Boxen. Die beiden Hauptkämpfer wird nicht jeder Sportinteressierte kennen. Der eine heißt Robin Krasniqi und ist der derzeit einzige deutsche Weltmeister. Der andere heißt Dominic Bösel und war der einzige deutsche Weltmeister, bis er vor einem Jahr auf Robin Krasniqi traf. Jetzt ist Revanche, Rückkampf, Rematch – und schon für dieses archaische Rache-Gehabe muss man diesen Sport lieben.

Sicher, die großen Namen sind verschwunden. Kein Henry Maske und keine Regina Halmich mehr, keine Klitschko-Brüder, noch nicht mal ein Axel Schulz, dessen größter Sieg eine unverdiente Niederlage war. Der Fight Krasniqi – Bösel wird einen Bruchteil des TV-Publikums finden, das vor zehn, zwanzig Jahren die Quotennorm war. Dennoch kann er große Unterhaltung sein.

Das muss jetzt mal gesagt werden: Boxer sind großartige Entertainer – und interessante Menschen.

Man braucht nur zu vergleichen, was etwa ein Fußballer vor einer Saison oder einem Spiel sagt: Erst mal schauen, dass wir bald 30 Punkte und nichts mit dem Abstieg zu tun haben; wir denken nur an den Samstag, wen wir nächste Woche als Gegner haben, weiß ich gar nicht; wir sind Außenseiter, wollen die Partie so lange wie möglich offenhalten und dann den einen oder anderen Nadelstich setzen.

Das ist, als würde der Boxer sagen: Ich hoffe, in den ersten sechs Runden keine schweren Schläge einzustecken; vor allem steige ich mit großer Demut in den Ring; eine Unentschieden-Wertung würde ich nehmen, dadurch könnte ich in der Rangliste ein paar Plätze klettern und mich langfristig positionieren. Tatsächlich sagt der Boxer aber: Ich habe trainiert wie noch nie, hatte mehr Sparringsrunden denn je zuvor, beim Gegner haben wir eklatante Schwächen entdeckt; der Kampf ist über zwölf Runden angesetzt, doch ich bin bereit für 15, haue den anderen aber spätestens in der sechsten weg; nichts und niemand auf dieser Welt kann mich aufhalten. Er wird das auch so sagen, wenn ihn die Rangliste als Lusche und mutmaßlichen Verlierer ausweist. Und man später über ihn urteilen wird: Er war nur ein Aufbaugegner. Fallobst.

Anders als Fußballer kommen Boxer nicht aus einer Akademie oder einem Nachwuchsleistungszentrum. Falls sie überhaupt eine Amateurkarriere hatten, haben die Profis von heute die Tour durch Bierzelte und Turniere machen müssen, über die keine Zeitung berichtet. Manche wurden auch entdeckt, als sie als Türsteher oder für eine Security-Firma arbeiteten. Gelegentlich landet ein Boxer – das soll nicht verschwiegen werden – auch im Knast. Und dann eher nicht wegen eines Steuervergehens. Der Bruch in der Biografie ist im Boxen nicht seltener zu finden als der Bruch des Nasenbeins.

Vieles am Boxen ist auch lächerlich. Die Vielzahl der Weltmeister, dadurch bedingt, dass es zwölf konkurrierende Weltverbände gibt, die kreativen Titel wie Interims-Weltmeister oder Interkontinental-Champion – keine Sportart ist so verwässert. Und so betrugsanfällig: Wenn nicht einer der Kämpfer k. o. geht, gibt es eine Wertung der Punktrichter. Es kam schon vor, dass der Arm eines vermöbelten Boxers hochgehoben wurde – weil die Jury ihn als Sieger identifizierte. Das Boxen ist voller Skandale. Und finsterer Typen.

Ausgenommen die im Ring. Boxer mögen fies aussehen, doch im Gespräch und Umgang sind sie höflich, aufmerksam, sanft. Und am Ende einer Hauerei fallen die beiden Beteiligten sich stets versöhnlich in die Arme. Jeder Krieg mündet in den Frieden. Bis zur Revanche. Der Kreislauf des Boxens und des Lebens.

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