Von Wisconsin lernen, heißt siegen lernen, glaubt Roland Koch. Von einer Reise in das US-amerikanische Partnerland Wisconsin zurückgekehrt, verkündete der hessische Ministerpräsident begeistert: »Wir sind zu weich beim Zwang und zu schlecht bei der Hilfe« und will in seinem Bundesland, um Kosten zu sparen, die Zahl der Sozialhilfeempfänger brutalstmöglich halbieren. Die sollen mit verstärkter individueller Beratung, aber auch durch die Androhung von Sozialhilfekürzungen wieder in den Arbeitsmarkt geführt werden. »Fordern und Fördern« also, der Slogan, der derzeit in der Arbeitsmarktpolitik eine unheimliche Konjunktur hat.
Wenn über Sozial- und Arbeitsmarktpolitik geredet wird, gibt es bisweilen deftige Missverstä
verständnisse. So auch, als Hessens Ministerpräsident Koch vorschlug, den Druck auf die Sozialhilfeempfänger zu erhöhen, damit sie arbeiten. Sein Vorbild: der US-Bundesstaat Wisconsin (s. Text unten). Dort erhalten die Menschen persönliche Hilfe und Jobangebote oder Angebote zur Fortbildung. Wer sich dem entzieht, dem entzieht der Staat die Unterstützung. Wer - so Koch - Anspruch auf Geld an den Staat stelle, müsse an jedem Wochentag sieben bis acht Stunden eine Leistung erbringen, auch wenn diese nicht voll marktfähig sei. Dass von den 700.000 bis 800.000 erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern 400.000 in Beschäftigungsmaßnahmen der Sozialämter arbeiten, hat er übrigens nicht erwähnt.Dies sei alles ein alter Hut und werde längst erprobt, hieß es aus dem Arbeitsministerium. Das allerdings bezieht sich auf den technischen Vorgang, der hinter der Idee steht. Es geht um die Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, um die Verzahnung entsprechender Behörden. Hier gibt es Pilotprojekte.Das Missverständnis: Bei den Pilotprojekten steht der Versuch im Vordergrund, Langzeitarbeitslose - die oft Sozialhilfeempfänger sind - in den Arbeitsmarkt einzugliedern, den bürokratischen Aufwand zu mindern und so gezielter helfen zu können. An dem Ansatz, der auch mit Druck verbunden ist, gibt es im Detail berechtigte Kritik. Aber Ziel ist Hilfe für die Betroffenen. Koch hingegen setzt nur auf Druck, ihm geht es überhaupt nicht um Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik. Die Erwähnung von Hilfsangeboten ist Staffage.Um einmal an den letzten Landtagswahlkampf in Hessen zu erinnern: Auch damals gab es Papiere der CDU, in denen bezogen auf Ausländer von Integration und Hilfe und nicht nur von der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft die Rede war. Im Wahlkampf reduzierte sich das auf eine blank fremdenfeindliche Kampagne. Jetzt wird der Sündenbock ausgewechselt: Es wird von dem hart arbeitenden Familienvater die Rede sein, der Frau und Kinder nur mit Mühe durchbringt und es nicht mehr ertragen mag, dass Drückeberger vom Staat Geld bekommen. Mit der Mobilisierung eines diffusen Gerechtigkeitsgefühls werden jene, die ziemlich weit unten in der Sozialskala zurechtkommen müssen, auf die gejagt, die ganz unten sind. Zynischer lässt sich Wahlkampf kaum machen.An dieser Stelle kommt dann sehr schnell das Aber, und die Debatte sieht recht sachlich aus. Es fehlten Anreize zur Arbeitsaufnahme, wenn der Sozialhilfesatz knapp über oder unter den niedrigen Einkommensgruppen liegt, heißt es. Da gibt dann auch der sozialdemokratische Ministerpräsident aus Niedersachsen, Sigmar Gabriel, seinem hessischen Kollegen ausdrücklich Recht. Zunächst einmal ist die Unterstellung, Menschen würden nicht von sich aus arbeiten wollen, sondern müssten den richtigen Anreiz haben, nur eine andere Variante der Behauptung, sie seien erst einmal Drückeberger - sozusagen Zynismus light. Daneben hat das eine arbeitsmarktpolitische Dimension mit möglichen Folgen.Auf der sachlichen Ebene werden Lohnsubventionen für geringe Einkommen gefordert. Die Idee, ganz einfach die unteren Einkommensgruppen anzuheben, wird sofort als blanker Unsinn zurückgewiesen. Diese Arbeitsplätze seien nicht so produktiv, dass dies möglich wäre. Wieso aber soll der Staat Arbeitsplätze subventionieren, die nicht produktiv sind? Und mit welchen Mitteln? Mit den Einsparungen bei der Sozialhilfe? Mit gleichem Recht könnte man fordern, die Arbeitsplätze für hochqualifizierte Ingenieure oder IT-Kräfte zu subventionieren, weil die für die Volkswirtschaft außerordentlich wichtig sind. Im Zusammenhang mit der Green-Card - das hat die für das Monitoring zuständige Gruppe gerade veröffentlicht - wurden pro Arbeitserlaubnis 2,5 Arbeitsplätze geschaffen.Außerdem wird sich ein Niedriglohnsektor mit gering qualifizierten Arbeitsplätzen nicht sehr lange halten können beziehungsweise die Subventionen müssten erhöht werden. Die Arbeitsplätze könnten nämlich in absehbarer Zeit kaum mehr besetzt werden, da der Anteil der Unqualifizierten sich gegen zehn Prozent entwickelt. In den USA hingegen verfügen 45 Prozent der Arbeitskräfte über keine berufliche Ausbildung. Bei deren Konkurrenz um unqualifizierte Jobs entsteht ein Niedriglohnsektor praktisch automatisch.Vielleicht ist das aber alles ganz anders gemeint. Vielleicht sieht das so aus: Die Sozialhilfeempfänger sollen endlich anpacken, und die, die anpacken, sollen nicht so viel Geld verlangen. Es sei genügend Arbeit da für die, die arbeiten können und wollen, hatte unlängst Friedrich Merz erklärt. Alles nur eine Frage der Verteilung. Und die wird übers Geld definiert. Hier endlich passt das amerikanische Beispiel: Wir führen eine amerikanische - stark gespreizte - Lohnstruktur ein und definieren bestimmte Ausbildungsberufe in gering qualifizierte um, weil dort wenig verdient wird. Dann, um den Anreiz zum Arbeiten zu erhöhen, wird eine Lohnsubvention eingeführt. Konkret: Um das Gehalt einer Verkäuferin zu amerikanisieren, müsste es von derzeit rund 2.000 Mark auf 950 gesenkt werden. Dann kann man es gelassen auf 1.200 Mark hoch subventionieren. Übrigens: Die erste Zahl kann Politikern, die einfach so daher schwätzen, einmal zeigen, was im richtigen Leben verdient wird, die zweite Zahl könnte ihnen deutlich machen, was sie mit ihrem Geschwätz anrichten.