Buchempfehlung

Tipp Band zum Neoliberalismus bleibt Nuancen schuldig ...

Band zum Neoliberalismus bleibt Nuancen schuldig

Auf diesen kompakten 300 Seiten wird zum wiederholten Mal - Bücher über Neoliberalismus gibt es inzwischen im Dutzend - dargelegt, was diese Ideologie ausmacht und welche Folgen deren Siegeszug weltweit hat: für den öffentlichen Sektor, die Sozialpolitik, für die Demokratie selbst. Das Buch ist klar gegliedert, verständlich geschrieben, breitet geistiges Material in Hülle und Fülle aus. Woher rührt dann dieses zeitweilige Unbehagen bei der Lektüre? Neoliberalismus sei, so Ralf Ptak, eine weltweite heterogene Strömung, deren Ziel es sei, "eine zeitgemäße Legitimation für eine marktwirtschaftlich dominierte Gesellschaft zu entwerfen und durchzusetzen". Da auch manche linke kritische Geister Marktmechanismen für geeigneter als staatliche Planungen halten, um das Wirtschaftsleben sinnvoll zu steuern, stellt sich die Frage, wer nicht Neoliberaler ist. Zumal jeder ständig in der Gefahr schwebt abzustürzen, sei doch typisch für die gegenwärtige Situation, so Ptak weiter, "dass man neoliberale Argumentationsmuster im Einzelfall vertreten kann, ohne bewusster Parteigänger dieser Strömung zu sein". Dort, wo alles neoliberal ist oder jederzeit sein kann, verharrt der Autor beim Entlarven und kann keine Kraft mehr aufbringen für die Arbeit an der Unterscheidung und Differenzierung. So ist es dann keine Überraschung, dass später Konzepte des aktivierenden Sozialstaates und des bedingungslosen Grundeinkommens nicht im Detail kritisiert, sondern als per se neoliberal abgewiesen werden. Aber: Wenn der Neoliberalismus weltweit so durchsetzungsstark ist, warum schwächelt er dann ausgerechnet in den sozialen skandinavischen Staaten? Oder ist das alles auch purer Neoliberalismus? Das ist der Teil des Buches, bei dem der Leser glaubt, jede neue Seite bereits gelesen zu haben. Spannend wird es nur dort, wo Ptak einerseits davon ausgeht, dass die echten Neoliberalen rigoros keinen Staat wollen und den Markt über alles stellen, er andererseits festhalten muss, dass die deutschen Ordoliberalen sehr wohl einen starken Staat wollen, um Wettbewerb und einen gewissen sozialen Ausgleich herzustellen, er aber drittens trotzdem diese "Freiburger Schule" als neoliberal einsortieren will. Bei dem Slalom werden auch Geübte von dem einen oder anderen Argument aus der Kurve getragen.

Tim Engartner (Entwicklung öffentlicher Sektor) und Christoph Butterwegge (Sozial- und Demographiepolitik) bieten materialreiche und teilweise sehr differenzierte Analysen über Konzepte und Folgen einer Politik, die sich an Kriterien von betriebswirtschaftlicher Effizienz ausrichtet. Aber auch hier zeigt es sich, dass dieses Buch vieles von dem wiederholt, was bereits Allgemeingut ist: Dass die Privatisierung der Post nicht die Lösung ist, ist bekannt. Aber war der Staatskonzern Post eine? Welche Eigentumsformen kommen den Vorstellungen linker und am Gemeinwohl orientierter Politik denn am nächsten? So geht es ja nicht nur darum, die Privatisierung der Bahn zu verhindern. Man kann auch fragen, warum eine Bahn in deutscher öffentlicher Hand bis heute unfähig war, ein Unternehmen auf die Beine zu stellen, das auch nur annähernd so leistungsfähig wie das in der Schweiz ist.

Mit hohem Gewinn, inhaltlich wie sprachlich, lesen sich die Betrachtungen von Bettina Lösch über die Gefahren, die sich für Politik und Demokratie aus der neoliberalen Hegemonie ergeben. Sie widmet sich auch der ebenso spannenden wie hochbedeutsamen Frage, warum neoliberale Ansätze in so hohem Maße "anschlussfähig an das Alltagsdenken der Menschen" sind. Die Antwort wird hier jedoch nicht verraten, um die Verkaufschancen des Buches auf dem von Neoliberalen dominierten Buchmarkt zu erhöhen.

Wolfgang Storz

Christoph Butterwegge/Bettina Lösch/ Ralf PtakKritik des Neoliberalismus. Wiesbaden, 2007, 298 Seiten, 12,90 EUR


Protokolle von ganz unten und ganz oben

"Reicher Mann und armer Mann standen da und sah´n sich an. Da sagt der Arme bleich: ›Wär´ ich nicht arm, wärst du nicht reich.‹ " Diese Einsicht des Armen, im Jahr 1934 von Bertolt Brecht präsentiert, gilt nach wie vor. Dass auch heute die Armut des Einen etwas mit dem Reichtum des Anderen zu tun hat, weisen die Journalistin Dorothee Beck und der Metaller Hartmut Meine in ihrem zweiten Buch mit dem Titel Armut im Überfluss nach. Wie schon in ihrem vor zehn Jahren erschienenen ersten gemeinsamen Werk Wasserprediger und Weintrinker protokollieren die beiden minutiös, wie reich der Reichtum der Reichen und wie arm die Armut der Armen ist. So werden beispielsweise Namen und Vermögen der 100 Milliardäre in Deutschland detailliert aufgelistet.

Man erfährt aber nicht nur, wie es ist, wenn man am oberen Ende der Einkommensskala steht, sondern auch, was es bedeutet, zu den "Verlierern der Bereicherung" zu gehören. Menschen schildern, was einem widerfährt, wenn trotz harter Arbeit kein Urlaub mehr drin ist, wenn eine Minijobberin für 400 Euro putzen geht oder wenn man vom ALG-II-Regelsatz leben muss. In diesem Buch überzeugen die vielen Alltagsbeispiele, die hinter seelenlosen Statistiken Schicksale erkennbar machen. So ist nicht allein eine Chronik der wachsenden Ungerechtigkeit entstanden. Vielmehr werden auch deren Ursachen in Deutschland analysiert. Da wird gezeigt, wie Aktionäre und Manager rücksichtslos tricksen und höheren Renditen in immer kürzerer Zeit nachjagen.

Horst Schmitthenner

Dorothee Beck/Hartmut MeineArmut im Überfluss - Nachrichten aus einer gespaltenen Gesellschaft. Steidl Verlag 2007, 18,00 EUR

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