Büro

A–Z Als es im 19. Jahrhundert aufkam, versprach es Aufstieg und Freiräume, die Trennung von beruflich und privat. Dann kamen der Computer und Corona. Was folgt? Unser Lexikon
Ausgabe 07/2021
Büro

Foto: der Freitag

A

Angestellte Vom Arbeiter trennt den Angestellten die vorrangig geistige Arbeit. Erst als in der Industrieproduktion das Maschinenüberwachen die körperliche Arbeit ersetzte, wurde diese Unterscheidung hinfällig. Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Angestellten, die Produktion zu organisieren. Sie markierten den Übergang von der Fabrik zum Büro der Moderne. Ein Heer von Kleinbürgern suchte den Aufstieg. Sie wähnten sich in der Mittelschicht, aber befanden sich an deren unterem Ende. Für Siegfried Kracauer bestand die (Weimarer) „Angestelltenkultur“ in dem Versuch, Werte und Lebensstil der Oberschichten zu übernehmen. Diese falsche Selbsteinschätzung macht Angestellte bis heute so flexibel wie mobilisierbar – und unsolidarisch. Hauptsache, sie dürfen dazugehören.

In der Epoche der Digitalisierung (und einer Pandemie) wird das Ende des Büros beschleunigt. Angestellte ziehen ins Homeoffice, aus ihnen werden Mikroarbeiter. Tobias Prüwer

B

Bürgerliche Frauen Vom Klavier zur Schreibmaschine hieß eine frühe feministische Studie über das Aufkommen weiblicher ➝ Angestellter. Der Titel verwies auf das Schicksal bürgerlicher Frauen, die es nach dem Ersten Weltkrieg statt auf den Klavierschemel ins Büro verschlug. Mit ihrer eingeübten Fingerfertigkeit schienen die jungen Frauen „ganz natürlich“ für den Schreibsaal prädestiniert (➝ Tippse). Sie ersetzten die männlichen Bürohengste mit ihren Ärmelschonern, billige „Schmutzkonkurrenz“ einer Gattung, die sich für etwas Besseres hielt. Dass die Privatsekretärin den Chef heirate, sei allerdings eine Erfindung von Romanautoren, entlarvte der unter Pseudonym schreibende Kurt Tucholsky in der Zeitschrift Uhu. Die Privatsekretärin entledige sich ihrer Gefühlsüberschüsse außerhalb des „Ladens“, alles andere schade nur Arbeit, Teint und Liebe. Ulrike Baureithel

C

Cubicle Was haben die Matrix, der Fight Club und Being John Malkovich gemeinsam? Das Cubicle, diesen mit „Kabine“ nur unzureichend übersetzten Aufbau auf den Schreibtischen eines Großraumbüros, hinter dessen Trennwände sich die jeweiligen Verschwörer vor den Blicken der anderen wegducken können, um im Flüsterton ihre Quellen zu befragen. Oder auch, um sich im Triumph darüber zu erheben und das Klappern der Schreibmaschinen übertönend „Hold the press!“ in den Raum zu rufen. Spätestens daran, dass auf den meisten Filmausschnitten mit Cubicle die Helden ein Telefon mit Schnur in der Hand halten, erkennt man die untergegangene Welt. Die Neunziger waren das letzte große Jahrzehnt der „Cubicle-Filme“, in denen das Arbeiten in diesen immergrauen, wabenähnlichen Zellen gleichbedeutend für Demütigung und Depression stand, aus denen man sich per Faustkampf (Fight Club) oder schräger Exzentrik (Being John Malkovich) herausfantasierte. Aus der Perspektive der mit Sitzsäcken ausgestatteten „Open Space“-Büros von heute (➝ Zukunft) strahlt das Cubicle aber geradezu Gemütlichkeit aus. Barbara Schweizerhof

E

Erotik Dann heirat’ doch dein Büro, sang Katja Ebstein in den Achtzigern – abfällig gemeint, traf es dennoch den positiven Kern: Das Büro bot Abstand von nörgelnden und fordernden Partnern, ermöglichte es, andere Rollen auszuprobieren – endlich dominant! –, sich Freiräume zu schaffen und erotische Abenteuer zu erleben. Oder (neue) Lebenspartner zu finden. Mit dem Homeoffice fällt das alles weg. Kein aufregendes Knistern in der Teeküche. Für Singles unbefriedigend; für Paare hingegen die Chance auf einen Quickie zwischen zwei Videokonferenzen – falls nicht das ewige Aufeinanderhocken in Jogginghose die Libido erstickt. Für Paare mit Kindern im Homeschooling bleibt nicht mal dies. Kirsten Reimers

F

Flur Als Praktikantin einer Zeitung am Berliner Alexanderplatz streifte ich Ende der Neunziger durch die Flure des Verlags, nach Feierabend, wenn sie still waren und leer. Wenn nur Besessene noch im Büro saßen und in den Computer hämmerten. Meist lagen Stapel vor den Bürotüren, gerade bei Kulturleuten – Bücher und Bildbände, die unbenutzt aussahen. Einmal fand ich eine CD, das Cover bestand aus einer schlichten braunen Pappe, auf die schwarze Lettern geklebt waren: Francesco De Gregori. Ich nahm das Album einfach mit. Vor ein paar Jahren habe ich De Gregori in einem Bergdorf in Piemont live gesehen. Wie konnte man ihn aussortieren? Maxi Leinkauf

K

Konferenztisch Ein machtvoller Ort ist der Konferenzraum: An seinem Tisch werden Entscheidungen gefällt, hitzige Diskussionen geführt, ahnungslose Kontrahent:innen hinübergezogen oder durch langatmige Monologe Kolleg:innen gepeinigt. Die Verkürzung „Konfi“ verschleiert ganz unschuldig die trockene Luft und den nicht funktionierenden Beamer. Die niederländische Künstlerin Jacqueline Hassink schaute mit ihren Fotografien hinter jenen Schleier. Im Zuge ihrer Arbeit „The Table of Power“ besuchte sie 1993/94 und nach der Finanzkrise 2008 die Konferenzräume der mächtigsten Konzerne. Unheimlich sehen die schweren, glänzenden Tische auf ihren leeren Fotografien aus. Deren versteckt-verdrahtetes Innenleben lässt sicher am Ende des Tisches (hierarchische Sitzordnung!) einen krawattentragenden Bildschirm herausfahren. Welche Knebelverträge werden bei der Konferenz mit Übersee beschlossen? Susann Massute

M

Macht Einer meiner bisher dümmsten und lukrativsten Zeitarbeitsjobs: Assistenz des CEO eines Werbefestivals, das in London vorbereitet wird und alljährlich in Cannes stattfindet. Es ist längst nicht so glamourös wie das berühmte Filmfest, sondern naturgemäß viel schnöseliger (Werbung), aber mein Job beinhaltete immerhin drei Wochen Côte d’Azur.

Wie im letzten Jahrhundert in Mode, waren die Schreibtische der beiden Festivalmanagerinnen, denen ich auch assistierte, zusammengestellt. Ich war seitlich am Katzentisch platziert, die Tür im Rücken (Flur). Lisa hatte Haare auf den Zähnen, mein Französisch sorgte jedoch für respektvollen Abstand. Für den CEO, einen frappierend tapsigen Australier, hatte ich Zettel abzutippen, die über eine Postmappe zur Freigabe zu ihm zurückgingen und dann als E-Mail von meinem Desktop versendet wurden. Ein Vorgang von etwa drei Stunden. Ich schätze, es war die Zeit, als die Macht so mancher Männer zu bröckeln anfing. Katharina Schmitz

R

Regeln Es gibt ein altes Radiofeature, das Sie noch auf Klassikradio hören können: Die wahre Geschichte. Wenn Sie gerade wehmütig an Ihr Büro zurückdenken, kann ich Ihnen sagen, der Gesetzgeber überlässt hier nichts dem Zufall. Neben dem staatlichen Recht gibt es auch das autonome Recht der Unfallversicherungsträger. Da gibt es Vorschriften, Regeln und Grundsätze in Hülle und Fülle und differentem Verbindlichkeitscharakter. Aber: Das Schutzziel muss immer erreicht werden! Ob Beleuchtungsstärke, Mobiliaraufteilung oder der Abstand Ihrer Augen zum Bildschirm – alles ist geregelt. Kennen Sie etwa die G37-Angebotsvorsorge? Sie sollen sicher an Ihrem Bildschirmarbeitsplatz Wertschöpfung leisten – das ist die wahre Geschichte. Jan C. Behmann

S

Simulation Wer wie ich geräuschempfindlich ist, hat in Großraumbüros heftige Konzentrationsprobleme (Cubicle). Potenziert werden diese in Co-Working-Spaces, in denen kollaboratives Arbeiten möglich ist, räumlich und zeitlich flexibel. Ohne teure und langfristige Gewerberaumverträge schließen zu müssen.Ursprünglich für kleine Start-ups und Freiberufler*innen aus unterschiedlichen Berufszweigen gedacht, die, fast wie im Büro, in der Gemeinschaft voneinander profitieren und Infrastruktur teilen können, hat sich das Modell verselbstständigt. Geringe Verbindlichkeit und Kosten erlauben Unternehmen bei umfangreichen Projekten, in denen eine größere Zahl externer Mitarbeiter*innen gebraucht wird, die fremden Flächen eines Co-Working-Space zu nutzen. Elke Allenstein

T

Tippse Sie wurden als „Knattermutti“ verspottet. Oder eben als Tippse. Dabei eröffnete die Schreibmaschine Frauen den Zugang zum Büro (Bürgerliche Frauen). Der Apparat feminisierte die Bürowelt und bedeutete eine Aufstiegschance. Lange war die Sekretärin aufs servile Dienen beschränkt. Wie ihre Darstellung in der Popkultur – ergänzt durch die Rolle der umsorgenden Mutterfigur oder des Sexobjekts. Wunderbar verkörpert von Allison in Mad Men: Von der schüchternen Rezeptionistin wird sie zum verlässlichen Orgatalent mit Bereitschaft zum Gelegenheitssex. Der Aufstieg zur Chefsekretärin wiederum bedeutet besondere ➝ Macht: Sie entscheidet, wer beim Chef vorgelassen werden darf. Tobias Prüwer

U

Umnutzung Die Corona-Krise wird vieles verändern. So werden wohl weniger Büros benötigt. Denn auch einige Arbeitgeber*innen haben festgestellt, dass Homeoffice gar nicht so doof ist. Was bleibt, sind leere Büroetagen. Für die hat das „Bündnis Soziales Wohnen“ jüngst einen Vorschlag gemacht. Demnach ließen sich viele der Büros in Wohnungen umwandeln. Wo einst der Ficus den über Jahre im Teppich eingesickerten Kaffeefleck verdeckte, könnte schon bald die Wohnzimmercouch stehen. Es gebe Potenzial für rund 235.000 Wohnungen bis zum Jahr 2025. Die Umwandlung wäre deutlich günstiger als Neubau und damit Teil einer Antwort auf den Mangel an bezahlbaren Wohnungen gerade in den Großstädten. Die Folge der einen Krise könnte Antwort auf eine andere sein. Aber Obacht, das Kapital schläft nicht. Das Bündnis warnt jedenfalls schon einmal im Voraus: „Es kann nicht sein, dass Büros in attraktiven Innenstadtlagen durchweg zu Luxus-Citylofts umgebaut werden.“ Benjamin Knödler

Z

Zukunft Ein Ziel, das man meist sogar mit beschlagener Brille erreicht, ist der eigene Schreibtisch. Zumindest bis das begann, was „new work“ heißt. Bürofläche ist teuer, „desk sharing“ der Euphemismus für eine Sparmaßnahme, bei der es mehr Beschäftigte als Arbeitsplätze gibt. Die erste „challenge“ des Tages besteht darin, einen Platz zu ergattern. Mit Rollcontainer für Laptop, Kaffeetasse und Kaktus im Schlepptau zockelt man durch die Bürolandschaft. Blitzblanke Schreibtische verströmen sterilen Labor-Charme, zum Triggern des kreativen Outputs gibt es bunte Sitzwürfel, die jede Kita schmücken würden. Für Telefonate geht es in die „phone box“, für konzentriertes Arbeiten bucht man den „focus room“. Selbst schuld, wenn der Arbeitstag im Voraus nicht minutiös geplant wurde, suggeriert das Interieur. Und natürlich auch: Kein Arbeitsplatz ist sicher. Martina Mescher

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