Buffet

A–Z Mit einer Variante des Mett-Igels machte die Berliner AfD neulich Schlagzeilen. Auch sonst sorgt diese Form des Speisens immer wieder für Irritationen. Das Wochenlexikon
Ausgabe 39/2016

A

All you can eat Dass China anders als Deutschland in der Lage ist, infrastrukturelle Großprojekte schnell und geräuschlos abzuwickeln, ist kein Geheimnis. Zunehmend beweisen die Chinesen das nun auch in gastronomischer Hinsicht. In jeder größeren deutschen Stadt entstehen mittlerweile gigantische Asia-Restaurants mit zum Teil Hunderten von Sitzplätzen, die sich um ein Riesenbuffet (➝ Bolschoi) von der Ausdehnung Rügens gruppieren.

Wird meist nach jenem „All you can eat“-Prinzip abgerechnet, das 1956 in Las Vegas das erste Mal auf den Plan trat, nutzt dieses Konzept die Innenarchitektur, um den Appetit der Gäste zu zügeln und so die Kosten im Rahmen zu halten. Das in grellen Farben gehaltene Interieur ist stilistisch ein Mix aus Motiven der asiatischen Geschichte, sozialistischem Realismus auf LSD, Discobeleuchtung und strategisch verteilten Goldfischaquarien, sodass nur ästhetisch extrem robuste Gäste dort unbeschwert essen können. Uwe Buckesfeld

B

Bolschoi Das Bolschoi-Theater in Moskau ist nicht nur die größte Bühne Europas, sondern auch ein Symbol für die russische Kultur und Küche. Man pflegt hier sowohl geistige als auch kulinarische Genüsse. Die Kombination aus den technisch perfekten Vorführungen und den vorher und während der Pausen stattfindenden Buffets erobert von jeher die Herzen der Zuschauer. Zwischen Ledersofas, Marmortischen und Kronleuchtern (➝ Möbel) werden Törtchen mit schwarzem Kaviar, teuerster Cognac, frische Beeren aller Art und die unterschiedlichsten Nachtischkreationen kredenzt. Wer nicht genug Hunger für das opulente Buffet hat, kann sich individuell auch kleinere Köstlichkeiten bestellen: Kaffee mit Zitrone, russische Piroggen oder Butterbrote für jeden Geschmack. Der Name „Butterbrot“, ein Lehnwort aus dem Deutschen, ist aber irreführend, denn hier liegen Lachs, roter Kaviar, Wurst oder Käse meist ohne Butter auf dem Brot. Für Naschkatzen sind die aus der Sowjetzeit berühmte Schokolade Aljonka oder Konfekt wie Rotkäppchen und Mischka (Bär) im Angebot. Anna Brazhnikova

Brunch Das Brunchen gehört längst zum deutschen Dolce Vita. Kurz vor zehn stehen sich sonntags geschniegelte Familienzusammenführungen die Beine in den Bauch, um das verspätete Frühstück einzunehmen. Brunch führt als Kofferwort Breakfast und Lunch zusammen, tischt also Bestandteile des Frühstücks wie des Mittagessens auf. Erfunden hat das ein englischer Jäger um 1900 als Kraftmahl nach dem Abschuss. Seinen Siegeszug in der Gastrokulturindustrie trat der Brunch ab den 1930ern dann von den USA aus an.

Wann genau in Deutschland trockenes Rührei (➝ Überwältigung) und kalter Toast am Buffet zum Renner wurden, ist nicht belegt. Sven Regeners Romanheld Herr Lehmann wehrt sich im gleichnamigen Bestseller jedenfalls schon Ende der 1980er gegen „die Frühstücker“. Die überfüllen jedes Wochenende seine Lieblingsgaststätte und zerstören die Aura fürs Frühbier. Was früh sei, ist aber nur eine gesellschaftliche Verabredung, meint Herr Lehmann. Und überhaupt: „Wenn es okay ist, dass hier so Volldeppen bis 17 Uhr frühstücken, dann wird es ja wohl auch okay sein, um elf Uhr einen Schweinebraten zu bestellen.“ Tobias Prüwer

G

Geschichte Erst Schnaps, dann Schnittchen – das ist, auf Häppchengröße reduziert, die Genesis des Buffets. Unklar bloß, wer’s erfunden hat. Napoleon soll ein Freund von Fingerfood gewesen sein und bereits im 18. Jahrhundert seine Gäste ohne exakte Speisenfolge bewirtet haben. Die Schweden berufen sich auf die „Branntweintafel“, auf der schon im 15. Jahrhundert Essen bereitstand, damit die Zecher nicht zu schnell darunter lagen. Bei der Weltausstellung 1939 feierte Schweden die synchrone Präsentation von Warm- und Kaltspeisen als Neuerung – Weg frei zum deutschen Käseigel. Wer konnte ahnen, dass dieser über das ➝ „All you can eat“-Buffet zurück in Richtung Barbarei führen würde? Susann Sitzler

I

Igel Der Mett-Igel ist eine scheue Spezies, die vor allem auf den Fleischplatten der 70er Jahre sein Zuhause hat. Unterarten des Mett-Igels sind der Jäger-Igel (mit Dosenpilzen), der Mett-Igel Hawaii (mit Ananasringen) oder der Wurst-Igel, der erst in Würstchenwasser getränkt und dann mit Bifi garniert wird. Bei der Wahlparty (➝ Pressekonferenz) der Berliner AfD ließ sich eine ganz besondere Variation begutachten: der AfD-Igel. Der hat zwar optisch keine Ähnlichkeit mit einem Igel, lässt sich aber eben nicht vom linksgrünen Mainstream vorschreiben, wie er auszusehen hat – und ist damit die optimale Wahl für die alten Herren von der AfD, die Hack fressen. Simon Schaffhöfer

M

Möbel Auch in der Möbelabteilung gibt es Buffets. Historisch (➝ Geschichte) eine Fortentwicklung der Truhe, war diese Mischung aus Kommode und darübergebautem Schrank über Jahrhunderte fester Bestandteil der „guten Stube“ oder der Küche – egal ob im großbürgerlichen Herrenhaus oder im einfachen Bauernhof. The place to be für Teller, Gläser, Tischdecken und ganz nebenbei auch noch Abstell- und Zubereitungsfläche. Dieser multifunktionale Pragmatismus hat allerdings seinen Preis: Buffets sind innenarchitektonische Wuchtbrummen.

In Zeiten des knappen Wohnraums haben sie darum einen schweren Stand. Sollte man sein Buffet nicht mehr unterbringen, findet sich im Netz aber sicher noch ein Abnehmer. Ein Gründerzeitbuffet ist immerhin eine waschechte Antiquität. Und sollte es doch nicht ganz so antik sein, dann hilft das Attribut shabby chic. Praktisch jedes zweite Buffet wird so angepriesen. Benjamin Knödler

P

Pressekonferenz Wes Brot ich ess, des Lied ich sing? Journalisten machen Meinung, und Unternehmen und Verbände wollen in der Öffentlichkeit gut dastehen. Daher werden Medienvertreter ordentlich umworben. Auf vielen Pressekonferenzen gibt es Essen, mit dem die oft trockenen Informationen etwas schmackhafter gemacht werden sollen. Das Buffet ist in der Regel nicht so vielfältig wie bei manchen Aktionärsversammlungen (➝ Terroristen), normalerweise gibt es Schnittchen mit Käse und Wurst.

Zur Bestechung der Journalisten ist das weniger geeignet, aber vielleicht verleitet es manch einen dazu, noch länger da zu bleiben und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Wer sich auskennt, kann sich in Berlin von morgens bis abends durchfressen. In quantitativer Hinsicht wird nämlich nicht gespart, sodass nach der Pressekonferenz Unmengen im Müll landen. Selbst mein persönlicher Buffetboykott konnte diesen Wahnsinn bislang nicht stoppen. Felix Werdermann

S

Schlacht Am Buffet heißt es „Homo homini lupus“, denn es gilt die Arbeitshypothese: Es wird nach diesem Buffet nie wieder etwas zu essen geben. Und so sind es oft unschöne Szenen, die sich dort abspielen. Im Überfluss lebende Bürger verhalten sich wie ein Schwarm hungriger Piranhas, zwischen die ein Tapir (in süß-saurer Sauce) gefallen ist. Kinder, die erstmals an Buffets teilnehmen, haben danach, sofern sie überleben (➝ Zustand), oft monatelange Albträume und nässen sich plötzlich wieder ein. Alte Menschen erzählen aus dem Krieg. Ich selbst lehne Einladungen zu Buffets mit dem Hinweis ab, der Geruch der Brennpaste unter den Warmhaltewannen erinnere mich an den von Napalm am Morgen und wecke mein altes Vietnam-Trauma. Uwe Buckesfeld

T

Terroristen Seit im Juni dieses Jahres die Polizei gerufen werden musste, weil ein Anleger bei der Daimler-Hauptversammlung die Würstchen vom Buffet plünderte, ist die Bockwurst zum Zeichen der Rebellion gegen gierige Aufsichtsräte geworden. Die da oben denken vielleicht, sie könnten die Aktionäre mit ein paar Würstchen abspeisen. Aber der Buffetterrorist weiß, dass die Bockwurst nur das Opium fürs Volk ist. Nun greift er einfach das ganze Catering ab. Bis erst die Kassen und dann die Mägen so leer sind, dass niemand mehr zu Daimler kommen will. Dann werden die da oben (➝ Warren) merken, dass ihr größtes Problem nicht die Steuerfandung, sondern hungrige, mit Tupperdosen bewaffnete Schwaben sind. Simon Schaffhöfer

Ü

Überwältigung Mit nutzlosen Methoden versuchen Werber und Politiker von jeher den Menschen von irgendetwas zu überzeugen. Nichts aber versetzt diesen verlässlich in eine solche Ekstase wie die Überwältigungsästhetik – und hier wühlen wir bereits mit beiden Händen tief im Buffet. Was den Menschen auszeichnet, ist seine Faszination für große Mengen und hohe Stückzahlen. Das Chaos nach Naturkatastrophen ist letztlich das Pendant zu kiloweise Rührei (Brunch) oder Myriaden von Bratwürstchen. Der Mensch weiß, dass er diese Mengen nie wird verstehen oder verarbeiten können, aber er staunt, schaudert und erkennt die Begrenzungen seiner übersichtlichen Existenz. Mahlzeit. Timon Karl Kaleyta

W

Warren „Ich bestehe zu einem Viertel aus Coca-Cola“, kommentierte Warren Buffett einmal seinen Speiseplan. Dreieinhalb Liter der Koffeinbrause kippe er täglich in sich hinein, die erste schon zum Frühstück. Würde Buffett ein Buffet ausrichten, erschallte „Hurra!“ von allen Kindertischen. Denn der Investor und Multimilliardär folgt einem einfachen Ernährungsprinzip: „Ich habe die Versicherungsstatistik gecheckt und die niedrigste Sterberate gibt es bei den unter Sechsjährigen. Also habe ich entschieden, mich wie einer zu ernähren.“

Neben den fast 200 Gramm Zucker, die er allein durch die Cola täglich zu sich nimmt, sind Kartoffelchips feste Buffett-Menü-Größe. An Eiscreme kommt der Investor sowieso nicht vorbei, die gibt es auch schon mal direkt nach dem Aufstehen. „Absolut ungesund!“ (➝ Igel), wird jeder Arzt warnen. Das dürfte den Börsenspekulanten nicht beunruhigen, immerhin feierte dieser im August seinen 86. Geburtstag. Wahrscheinlich genoss er seine Coke in einem Bällebad. Tobias Prüwer

Z

Zustand Flugzeuge werden regelmäßig von „Buffet“ heimgesucht – einer bestimmten Umströmung der Tragflächen, die in unregelmäßigen Abständen auftritt und durch eine periodische Schwingung von Auftrieb und Widerstand hervorgerufen wird. Das Flugzeug kann so ebenfalls in Schwingung, sogenanntes Buffeting, geraten, was schlimmstenfalls dazu führt, dass Teile der Maschine kaputtgehen.

Bei Passagierjets wird darauf geachtet, dieses Buffeting in jedem Zustand des Flugs zu vermeiden, denn auch die ungefährlichen Vibrationen sind für die Passagiere spürbar. Sie werden deshalb so gebaut, dass der Effekt erst über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auftreten würde. In kleinerem Umfang kommt Buffet auch bei Autos, Markisen und allem anderen vor, was mit Luftströmungen zu tun hat. Nur ist es dann nicht so gefährlich (➝ Schlacht). Sophie Elmenthaler

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