Was sich jetzt zuträgt an den Hochschulen, ist Klassenkampf.« Enttäuschung scheint in den Augen von Beate Jörger auf. Die junge Frau ist Beraterin für oder besser gegen das bezahlte Studieren beim Unabhängigen AStA der Universität Freiburg. Eben hat das Bundesverwaltungsgericht über eine Variante von Studiengebühren entschieden. Das Urteil: Gebühren für so genannte Langzeitstudenten sind rechtmäßig. »Diese Entscheidung«, so Beate Jörgers Prognose, »wird in die Lebenspläne vieler junger Leute eingreifen. Auch, wenn sie es noch gar nicht wissen.«
Was viele Studenten nicht wissen: Studiengebühren wie sie das Land Baden-Württemberg seit 1998 erhebt, treffen nicht nur Bummelstudenten. Sie ver
n. Sie verändern die akademische Ausbildung systematisch. Im Südwesten ist das schon heute so: Die verletzte Sportstudentin, die sich nicht beurlauben ließ, wird ebenso aus der Uni vertrieben wie der Studierende, der sich zwei Semester um seinen kranken Vater gekümmert hat. Wer mehr als vier Semester über die Regelstudienzeit hinaus studiert, muss zahlen. Zu Tausenden hat das Land so mit Gebühren von 1.000 Mark pro Semester Studierende auf die Straße gejagt - ohne Abschluss. Und ohne zu berücksichtigen, dass es gerade ehemalige Bafög-Empfänger trifft. Der Teufelskreis ist immer der gleiche: Die Studienförderung allein reicht nicht, man muss jobben, das Studium verzögert sich, dann läuft das Bafög aus, man muss ausgerechnet in der Examensphase noch mehr jobben - und dann kommt die Studiengebühr. Der Sinn der Langzeitgebühr, darauf ist Ministerpräsident Erwin Teufel richtig stolz, besteht darin, die Unis zu säubern.Die große Überraschung der vergangenen Woche aber war, dass urplötzlich auch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) stolz auf die Langzeitgebühr war. Noch ehe der Spruch der obersten Verwaltungsrichter in Berlin bekannt war, orchestrierte die bislang eherne Gegnerin des Bezahlstudiums mit einem echten Kontrapunkt: Sie habe »kein Problem« mit dem Gebührenmodell Baden-Württembergs. Und zur Zementierung dieser Kehrtwende kündigte die Bundesbildungsministerin zwei Tage später ein Gesetz an, das Studiengebühren für Langzeitstudierende ausdrücklich ermöglicht. Bulmahn brach damit ihre eigenen, immer wieder repetierten Versprechungen, Studiengebühren verbieten zu wollen; und sie verstieß gegen grundsätzliche politische Verabredungen der Regierungs-Koalition. Allgemein galten unter grünen und SPD-Politikern Gebühren, gleich welcher Art, als verpönt. Publikumswirksame Ausnahme war Niedersachsens Wissenschaftsminister Thomas Oppermann. Nun ticken die Uhren anders.Die politischen Konsequenzen des Urteils, vor allem aber der gebührenpolitischen Kehrtwende der Bildungsministerin sind absehbar. Das Saarland ist bereits dabei, Langzeitgebühren in seinem Landeshochschulgesetz zu verankern - andere Länder werden folgen. In den roten und grünen Wissenschaftsministerien fühlt man sich indes von Bulmahn vor den Kopf gestoßen. Denn die Alternativmodelle der Studienbeschleunigung, die man dort in den Schubladen hat, Bildungsgutscheine und Studienkonten, sind fürs Erste diskreditiert - aus dem eigenen politischen Lager. In Mainz, Hamburg und Berlin fallen aber bisher nur hinter den Kulissen harte Worte über die Ministerin.»Dass Bulmahn diese Gebühren gut findet, verstehe ich nicht«, sagt indes Beate Jörger, »sie weiß doch, wie die soziale Lage an den Hochschulen ist.« Ja, die Ministerin hätte es wissen müssen, weil sie gerade die erschütternden Zahlen der »16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks« erfahren hat. Eine Woche, bevor ihr einfiel, ein bezahltes Studium als hinnehmbar, ja erstrebenswert hinzustellen, hatte sie von einer schweren sozialen Schieflage an den Hochschulen berichten müssen. Das gibt ihrem spontanen Umdenken bei den Studiengebühren seine eigentliche politische Dimension. War es nur ein persönlicher Aussetzer der Ministerin, binnen weniger Tage zwei so unvereinbare Dinge wie »Mehr-Arbeiterkinder-an-die-Uni« und gleichzeitig Langzeitgebühren zu fordern? Oder gibt es die politische Absicht der Mitte-Links-Regierung, nach einer halbwegs gelungenen Aufbesserung des Bafögs tatsächlich in Richtung allgemeiner Studiengebühren zu marschieren? Angesichts der gerade erschienen Sozialdaten kann sich jedenfalls niemand auf Nichtwissen zurückziehen.Das soziale Bild der Studierenden fällt viel schlechter aus als erwartet. Es bestätigt im Grunde statistisch, was Beate Jörger als Klassenkampf beschreibt. Die Bildungsbeteiligung der so genannten unteren sozialen Herkunftsgruppen nimmt laut der Studie beharrlich ab, die höchste Gruppe dagegen hat zwischen 1982 und 2000 ihren Anteil an den Unis auf ein Drittel verdoppelt. Soziale Herkunftsgruppen bestimmen sich in der Sozialstudie nach den Indikatoren Bildungsherkunft und Einkommen. Sieht man sich diese genauer an, wird das Bild umso klarer - und dramatischer. Nur zwei Beispiele: Väter, die selbst an der Hochschule waren, zeichnen diesen Bildungsgang auch für ihre Kinder vor. Das ist ganz normal, aber das Muster hat sich in den letzten Jahren verschärft. Von 100 der 19- bis 24-Jährigen haben 20 Väter mit einem Hochschulabschluss - und 16 davon nehmen ein Studium auf; 40 von 100 haben Väter mit Hauptschulabschluss - aber nur fünf von ihnen beginnen zu studieren.Auch der wirtschaftliche Indikator zeigt eine zunehmende soziale Segregation in der Uni - die Zahl der »Kleine-Leute-Kinder« sinkt rapide. Im Jahr 1997 stammte noch ein Drittel der Studenten aus Elternhäusern, die über 4.000 Mark Nettoeinkommen im Monat verfügten; im Jahr 2000 war es nur noch ein Viertel. Interessant macht diese Zahl der Vergleich mit den Zöglingen aus begüterten Häusern - ihr Anteil an den Unis wächst und wächst. 34 Prozent der Studenten kamen im Jahr 2000 aus Familien mit einem Monatsnetto über 6.000 Mark. Das ist nicht nur ein Zuwachs von mehr als sechs Prozentpunkten seit 1997. Darin steckt vor allem eine krasse Differenz zum Anteil der 6.000-plus-Gruppe in der Gesamtbevölkerung: Er liegt bei nur 19 Prozent.Solche Erkenntnisse mussten eigentlich ein gefundenes Fressen für jeden ordentlichen Sozialdemokraten sein. Also skandalisierte Hanns-Dieter Rinkens, der Präsident des Studentenwerks, die Zahlen zu dem Satz: »Auf dem Weg in die Universität findet eine soziale Selektion statt.« Und Rinkens sagte auch, was in dieser Situation ganz wichtig sei - dass es keine Studiengebühren gebe. Die Arbeiterkinder nämlich sind äußerst sensibel. Nur etwa die Hälfte der Studis aus Familien mit einem Einkommen unter 3.000 Mark beanspruchen das ihnen zustehende Bafög überhaupt. Sie scheuen die Schulden. Sie reagieren auch viel schneller auf vermeintliche Risiken - und sei es nur die Ankündigung von Studiengebühren.Die Bildungsministerin ficht dies nicht an. Sie lächelte, als Rinkens mit seiner Sozialstudie in Händen eindringlich vor Gebühren warnte - und begrüßte eine Woche später genau diese Gebühren. Bulmahn, die von Schröder einmal als Linke ins Kabinett geholt wurde, versteckt hinter ihrer »Mehr-Arbeiterkinder«-Rhetorik ein technokratisches Verständnis vom sozialen Kosmos Universität. Wenn sie heute eine Bafög-Reform verabschiedet hat, glaubt sie, dass buchstäblich morgen alle sozialen Probleme der Hochschulen gelöst seien. Das ist natürlich nicht so. 16 Jahre Bafög- und Universitätsniedergang unter Helmut Kohl haben ihre Spuren hinterlassen. Selbst wenn die neue Kampagne ein voller Erfolg sein sollte, wird das Land immer noch weniger Bafög-Bezieher aufweisen als 1995: rund 300.000.Edelgard Bulmahn versucht mit ihrem Gebühren-Bekenntnis eine Kehrtwende in der Hochschulpolitik. Die Frage ist, ob sie in der Regierung für ihren Kurs Rückhalt bekommt. Gerade auf die Reaktion der Grünen, die sich als Modernisierer mit eingebautem Sozialpuffer verstehen, darf man jetzt gespannt sein. Für die Hochschulen aber ist seit der Sozialerhebung des Studentenwerks und dem Gebühren-Gewitter von vergangener Woche eine neue Zeit angebrochen. Der lange Zeit so hohle und phrasenhafte Begriff von Chancengerechtigkeit wird an den Unis wieder einen politischen Sinn bekommen. Beate Jörger, die Gebührenberaterin in Freiburg, drückt es so aus: »Gewonnen haben jetzt jene, die schon gegen die Bildungsexpansion der sechziger Jahre waren, die die Hochschulen für ihresgleichen reservieren wollen.«
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