Die politischen Weichen waren schon auf der Konferenz Mitte des Jahres in Bonn gestellt, doch noch blockierten Hindernisse die Strecke. Nun, nach Marrakesch, kann der Zug endlich anfahren, doch es wird nur ein Bummelzug sein - und der könnte zu spät ankommen.
Es ist oft gesagt worden, der Klimawechsel ist wahrhaft globaler Art: die bisherige wie künftige Industrialisierung und Urbanisierung bringen das Klimasystem aus seiner Balance. Die Erde erwärmt sich, und das könnte wahrhaft gewaltige Folgen haben. Die Wissenschaft hat dazu in drei "Sachstandsberichten" des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ihr drastisches Urteil abgegeben. Die auf einen ersten Blick forsche Antwort der Politik trägt seit 1997 die Bezeichnung "Kyoto-Protokoll" - formuliert i
l" - formuliert im Auftrag der Vereinten Nationen.Doch schon der Entwurf des Dokuments war nur noch eingeschränkt multilateral - es wurde zwischen mehreren Staatengruppen unterschieden, zudem das Ziel eines globalen Klimaschutzes stark differenziert. Man hätte auf nationale Selbstverpflichtung und aktiven Klimaschutz vor Ort setzen können. Stattdessen begab man sich auf das Terrain internationaler Zielvorgaben und international anwendbarer Instrumente. Das führte zu einem jahrelang nicht enden wollenden Streit, nicht nur zwischen den Mega-Gruppen - Industrieländer hier, Entwicklungsländer dort -, sondern auch und vor allem innerhalb der großen Staatenverbände, sprich zwischen der EU und der sogenannten "Regenschirmgruppe" (Japan, USA, Kanada, Australien, Neuseeland), zwischen der G 77 und den AOSIS-Ländern (Delta- und Inselstaaten). Dabei ging es nicht nur um die quantitativen Ziele der Reduzierung der Treibhausgase, es ging auch und besonders um die Instrumente: den Handel mit Emissionszertifikaten (emissions trading), die gemeinsame Umsetzung von Maßnahmen (joint implementation) und den Mechanismus zur Verbreitung sauberer Technologien (Clean Development Mechanism).Auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag Ende 2000 stand das Kyoto-Protokoll vor dem Scheitern, bei der Fortführung der Konferenz in Bonn Mitte 2001 kam der Durchbruch. Doch erst jetzt, nach der 7. Vertragsstaatenkonferenz in Marrakesch, kann der Klimazug Fahrt aufnehmen, weil letzte technische Hindernisse aus dem Wege geräumt wurden. In Bonn waren die in Kyoto für die erste Verpflichtungsperiode bis 2012 vereinbarten 5,2 Prozent an Emissionsreduzierung (gegenüber 1990) durch großzügige Anrechnung natürlicher Senken (Wälder und Weiden) auf matte 1,8 Prozent reduziert worden. Weil die USA sich einer multilateralen Klimapolitik schon vor Bonn verweigerten und bis Marrakesch nicht einlenkten, kam es besonders auf Japan und Russland an, um das nötige Quorum für das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls überhaupt erreichen zu können - 55 Staaten und mindestens 55 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen aller Industrieländer.Entsprechend lange wurde auch diesmal gepokert: Japan setzte durch, dass die Sanktionsmaßnahmen bei einer Nichteinhaltung von Reduktionszielen weniger verbindlich und folgenreich sind als zuvor geplant. Russland konnte sich einen höheren Teil seiner Wälder als Klimaschutzbeitrag anrechnen lassen (insgesamt ein Äquivalent von 33 Millionen Tonnen Kohlenstoff) als ursprünglich vorgesehen. Doch die USA wollten nicht über ihren Schatten springen, sie nahmen nur als Beobachter in Marrakesch teil. Immerhin: ein Regelwerk zum Emissionshandel kam zustande. Die Überprüfung von Angaben zu den Schadstoffemissionen und zur Absorptionskapazität der natürlichen Senken wurde möglich, die Sanktionierung von säumigen Ländern bleibt möglich. Nun sollte das Kyoto-Protokoll im nächsten halben Jahr - jedenfalls vor dem UN-Gipfel über nachhaltige Entwicklung im September 2002 in Johannesburg - in Kraft treten. Der Zug von Marrakesch, leider ein Bummelzug, ist unterwegs. Doch wird man die "...Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau..., auf dem eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert wird" (Artikel 2 der UN-Klimakonvention), nicht erreichen, wenn nicht zwei Lokomotiven hinzukommen: die USA als größter Treibhausemittent, die sich dem Kyoto-Protokoll bisher verschließen, und die globale Ökonomie, deren Ressourceneffizienz um einen Faktor vier besser werden muss. Das eine scheint nur ein politisches, das andere nur ein ökonomisches Thema zu sein: doch eine nachhaltige Welt wird es nicht geben, wenn Politik und Wirtschaft die Ökologie weiterhin so vernachlässigen, wie es trotz aller Risikodiskurse weiter der Fall ist - wenn Unilateralismus die Weltpolitik dominiert und die Forderung nach Multilateralismus auf die Bekämpfung des Terrors beschränkt bleibt.Für Deutschland (und die EU) hat das Konferenzergebnis von Marrakesch einige besondere Konsequenzen: Zunächst einmal sollte das Kyoto-Protokoll jetzt so schnell wie möglich vom Bundestag ratifiziert werden. Außerdem müsste die Markteinführung erneuerbarer Energieträger beschleunigt werden - und dies aus ökologischen und aus ökonomischen Gründen. Schließlich sollten unsere Umweltwissenschaftler und -diplomaten sich umgehend auf die Verhandlungen zur nächsten Klimapolitikperiode nach 2012 vorbereiten, auf dass ehrgeizigere Reduktionsziele vereinbart werden, um so nichttolerable Klimaänderungen vermeiden zu können.