Alles wird teurer – auch die Ablenkung davon, dass sich die Welt so entwickelt, dass man sich offenbar in Bälde immer weniger von ihr wird leisten können. Nach Sonnenblumenöl, Rohstoffen, Strom und Treibstoff zieht nun auch der Fußball in seinen Preisen an. Diese eilen der Inflation voraus, um fast zehn Prozent haben sie sich in Deutschland innerhalb von fünf Jahren nach oben entwickelt. Und jetzt, so befürchten viele, geht es erst richtig los. Noch hallt uns ja Uli Hoeneß mit seiner Tirade von der FC-Bayern-Jahreshauptversammlung 2008 in den Ohren: „Für sieben Euro in der Südkurve, das ist dann nicht mehr zu machen.“
Die legendären sieben Euro waren freilich ein Subventionspreis, schon vor 14 Jahren. Auf besagten Betrag kam nur, wer für die Südkurve im Müchner Stadion eine Stehplatz-Jahreskarte hatte und sie für alle 17 Bundesliga-Heimspiele nutzte. Der Rabatt war möglich, weil der FC Bayern in seinen VIP-Bereichen unverschämt viel Geld umsetzte. Man hätte fast verlangen können, dass die sogenannten aktiven Fans dafür entlohnt werden müssten, dass sie für das Spektakel eine Kulisse bilden.
Den auf die vergangenen fünf Jahre berechneten Preisanstieg bei Fußball-Tickets dürfte die Corona-Pandemie zunächst abgefedert haben. Es gab Phasen – zu Beginn der Saison 2020/21 und 2021/22 nach Aufhebung der Geisterspiel-Verordnungen –, in denen die Klubs es ihrer Kundschaft schmackhaft machen mussten, überhaupt ins Stadion zu kommen. Die Kapazitäten waren verringert, Stehplätze durften gar nicht genutzt werden, das Publikum sollte möglichst im Schachbrettmuster sitzen. Vereine fürchteten die Blamage, selbst eingeschränkte Ticketkontingente nicht vollends absetzen zu können – und so Daten zu liefern, die auf ein großflächig nachlassendes Interesse am Premiumprodukt Fußball schließen lassen würden. 50-Euro-Karten kosteten auf einmal nur noch 15 Euro, gerne wurden auch Preise genommen, in denen sich die Tradition eines Klubs ausdrückte. Zum 1909 gegründeten Ballspielverein Borussia Dortmund zu gehen, kostete 19,09 Euro.
Dauerkarten oft ungenutzt
Doch dieses Entgegenkommen endet jetzt. Die Bundesliga wird sich Großzügigkeit nicht mehr leisten können. Sie muss ja irgendwo ausgleichen, dass sie zwei Corona-Jahre lang kaum Spieltagserlöse erzielen konnte. Die Fans, die ins Stadion kommen, sind ja auch Kundschaft in anderen Bereichen, am Kiosk, im Souvenirshop. Im Wirtschaftsbetrieb Bundesliga ist einiges zum Erliegen gekommen, es besteht insofern ein Aufholbedarf. Außerdem: Die stärkste Säule des Geschäftsmodells hat auch ein paar Risse abbekommen. Beim neuen Vertrag über Fernseh- und Medienerlöse gab es kein Wachstum mehr, sondern einen leichten Rückgang. Der Gürtel wird enger geschnallt – wenngleich an einem dicken Bauch.
Es wird aber kaum zu einer Fan-Rebellion kommen, auch dann nicht, wenn die Ticketpreise weiter steigen. Die deutsche Bundesliga bietet im europäischen Vergleich, vor allem dem mit dem überteuerten England, immer noch ein gesundes Verhältnis.
Ob das auch woanders gilt? In England sind die Preise nach einer Umschau des Reiseanbieters Flugladen binnen fünf Jahren um satte 32 Prozent gestiegen, in den Niederlanden um 18 und in der obersten belgischen Liga gar um astronomische 55 Prozent. Doch Fans sind nun einmal großzügig im Umgang mit ihren Klubs. Das äußerte sich schon in der Pandemie, als es das Recht gab, sich die Dauerkarten auszahlen zu lassen, weil man sie nicht nutzen konnte. Zumindest hierzulande haben viele darauf verzichtet. Sie durften sich dann als kleine Sponsoren fühlen, die den Betrieb am Laufen hielten.
Ohnehin hat sich die Zuschauerschaft von der Vorstellung verabschiedet, ein Stadion-Abonnement auch immer komplett ausreizen zu müssen. Eine Dauerkarte hat man inzwischen, um bei den Topspielen garantiert ins Stadion zu gelangen. Partien gegen die grauen Mäuse lässt man schon seit längerer Zeit gern mal ausfallen. Den Vereinen ist diese Rosinenpickerei längst aufgefallen, sie lassen die Besucherdaten analysieren. Vor der Pandemie hatte sich in den deutschen Stadien die „No-Show-Rate“ auf zehn Prozent eingependelt. Auch dort, wo die Sprecher stolz „restlos ausverkauft“ verkündeten. Sogar in Fanklubs des FC Bayern München wird oft händeringend nach Leuten gesucht, die eine Dauerkarte nutzen wollen.
Ja, alles wird teurer. Der Fußball hat den Vorteil, dass man sich über ihn nicht empören wird. 90 Minuten Eskapismus werden auch weiter eine Drittel Tankfüllung wert sein.
Kommentare 4
Man müsste mir 1000 € zahlen, damit ich 90 lange Minuten in irgend einer Südkurve aushalte.
Jeder Balletttänzer hat mehr Kraft, mehr Körperbeherrschung, mehr Ausdauer, mehr Eleganz und nicht zuletzt mehr Schönheit als diese Ansammlungen testosterongesteuerter Ultra-Machos, die, wenn einer von ihnen dann endlich ein mühsames Tor geschossen hat, in einen Zustand verfallen, der anmutet, als würden sie sich auf die besonders harte Tour einen runterholen: Die Hände zu Fäusten geballt, die angewinkelten Arme mit hektischen Pumpbewegungen beschäftigt, Gesäß und Becken in halber Kniestellung vorwärtsgeschoben.
Auch in der Variante, wo diese Typen nach einem geschossenen Tor übereinander herfallen, um sich ekstatisch zu umklammern, erinnern sie eher an Affen, die Bäume bespringen, denn an Menschen, die von überschäumender Freude erfüllt sind. Aber so sieht er eben aus, der Rausch des Triumphs - und nicht nur im Fußball.
Auf den Tribünen das tausendfach multiplizierte Stöhnen, das anschwellende Geheul bei einer missglückten oder missratenen Attacke, das Gebrüll, die aufgerissenen Mäuler und Augen. Und dann, wenn's endlich klappt, wenn es endlich geschossen ist, das mit Inbrunst herbeigeflehte Tor: das Platzen in einem infernalischen Geschrei - Erlösung, Taumel, Sieges-Gesänge und Fahnen-Geschwenke.
Ja, so sieht er eben aus, der Rausch des Sieges - nicht nur im Fußball. Und natürlich will das alles teuer bezahlt werden.
Was den Eskapismus betrifft, beschränkt er sich wahrscheinlich nicht nur auf die dürftigen 90 Minuten, an denen tage- und wochenlang genuckelt werden muss, sondern dürfte eine praktikable "Lösung" auch für den Rest ihres Daseins sein, das anders wohl a) nicht auszuhalten ist und b) auch nicht anders verdrängt werden kann. Jede Sucht muss teuer bezahlt werden. Wozu dann Empörung über astronomische Preise?
Aber mein Gott: So viel Geld für ein derart barbarisches Vergnügen.
Ein durchaus denkwürdiger Artikel zu einer der Lieblingsbeschäftigungen vieler Deutschen, dem Ballspiel mit den Füßen in aktiver oder auch passiver Form als Zuschauer vor der TV-Glotze.
Denkwürdig insofern, dass es offenkundig nur wenigen Bürgern und Journalisten im Lande der sozialen Medienlyriker und Längsdenker auffällt, dass die meisten Fußballfans nicht explodieren, wenn die Ticketpreise explodieren.
Die Antwort auf die Frage bleibt offen: Ist das die Ruhe vor dem Sturm oder die Tatsache, dass der Gürtel enger geschnallt wird, "wenngleich an einem dicken Bauch", wie es so schön im Artikel formuliert wird?
Oder sind die Deutschen mehrheitlich autoritätsgläubige Bücklinge und opportunistische Untertanen, wie man nicht zuletzt bei den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie sehen konnte? Fangen viele Deutsche erst dann mit dem Nachdenken an, wenn wieder einmal alles in Schutt und Asche liegt wie dies nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war?
Ich war gestern mal wieder mit dem Auto unterwegs. Der Auto- und Lkw-Verkehr hat jedenfalls nicht merklich abgenommen, obwohl sich die Spritpreise in Deutschland in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt haben und am 13.05.2022 der Durchschnittspreis für einen Liter Superbenzin E10 bei 2,04 Euro lag.
https://www.benzinpreis.de/statistik.phtml?o=4&cnt=50&so=b.order_total
Auch die Werbung in den privaten TV-Sendern für Hamburger von McDonalds, Lidl, Zalando, Geschirrspülmittel, Haarshampoo, carglass, Kitkat, Goldbärchen, 1&1, das allerneueste Samsung-Smartphone, Amazon prime video usw. ist nicht weniger geworden, obwohl es doch seit dem 24. Februar 2022 angeblich einen schlimmen Krieg in der Ukraine bzw. Europa gibt.
Vielen Deutschen geht es hierzulande immer noch gut, offenkundig viel zu gut.
Den Kapitalismus in seinem Lauf halten weder Krieg noch Klimawandel und auch keine explodierenden Preise auf. In diesem Sinne: Genießen wir die explodierenden Preise, das schöne Spiel mit dem Fußball aka "rundes Leder" und die wunderbaren Folgen des Klimawandels.
Wenn der Mensch die Krönung der Schöpfung ist, vielleicht ist der Krieg dann die Krönung der Marktwirtschaft und der Klimawandel der kapitale Endsieg?
Was sagen Jeff Bezos aka Mr. Amazon, Susanne Klatten, Elon Musk, Helene Fischer, Günther Jauch, Joachim Gauck, Markus Lanz, Frank Plasberg und der Flaschensammler mit den nicht mehr ganz neuen Schuhen, der in der Fußgängerzone immer die Abfalleimer nach Pfandflaschen durchwühlt, zur "Krönung der Schöpung" und zum Endsieg des Kapitalismus?
Mich interessiert Fußball nicht, aber ich hätte ganz gerne zum Jugoslawien Beitrag den Spiegel verlinkt: »Brennend nach Aktion« - DER SPIEGEL
In der Branche scheinen Mafia-Methoden zu herrschen, wenn mittlerweile dem bestbezahlten Fußballer Messi ein Jahreseinkommen von mehr als 100 Millionen Euro attestiert werden.
Wir haben in Deutschland hochverschuldete Vereine rsp. Firmen, die trotzdem als seriös angesehen werden, bspw. Schalke 04:
WDR vom März 2022:
>>Im Ergebnis steht konzernweit ein Verlust von 17,8 Millionen Euro. Dieser entspräche der im Zwischenbericht kommunizierten Prognose, teilte der Verein in seiner Mitteilung am Dienstag mit. Er liegt deutlich unter dem Vorjahresverlust von 52,6 Millionen Euro. Gleichzeitig sei es gelungen, die Gesamtverbindlichkeiten im selben Zeitraum von rund 217 Millionen Euro auf 183,5 Millionen Euro und die Finanzverbindlichkeiten von 149 Millionen Euro auf 140,6 Millionen Euro zu senken.<<
Das scheint die Fans dieses Clubs nicht zu stören. Hauptsache Aufstieg, Hauptsache 1. Liga.
Immerhin gab es ein Insolvenzverfahren in der 3. Liga. Türkgücü München legte am 31. Januar 2022 seine Pleite offen und ist aus dem laufenden Spielbetrieb ausgeschieden. Alle Spiele, an denen dieser Verein beteiligt war, wurden annuliert.