Wenn alle paar Jahre die Bundesversammlung zusammentritt, um den Bundespräsidenten zu wählen, fragen sich viele, wofür dieses Amt eigentlich existiert. Seit Frank-Walter Steinmeier, dessen Mietvertrag für Schloss Bellevue nun verlängert wurde, lautet eine Antwort: Es ist eine prima Chance für Politiker, sich neu zu erfinden, als „Versöhner“.
Für die Vergesslichen: Steinmeier war ein Architekt der Agenda 2010; er koordinierte als Chef des Bundeskanzleramtes unter Gerhard Schröder die Durchsetzung jenes Klassenkampfes von oben. Darauf war er später noch stolz, schrieb 2010 mit Kurt Beck, nur die SPD habe die Kraft aufgebracht, „eine für das Land und die Menschen langfristig erfolgreiche Politik durchzusetzen“. Für ihren Mut habe die SPD mit der Entstehung der Linkspartei einen hohen Preis gezahlt.
Dieser Preis, den die tapfere SPD zu zahlen bereit war – die Linke – hatte nun mit Gerhard Trabert einen exponierten Sozialmediziner und Obdachlosenarzt als Konkurrenten zu Steinmeier aufgestellt. Trabert bekam 96 Stimmen, obwohl die Linke nur 71 Wahlleute stellte – ein Achtungserfolg, eine Anerkennung für sein Engagement.
Treffen auf Schloss Bellevue
Steinmeier sonnte sich im Glanz dieses Engagements, als er in seiner Rede nach der Wahl Trabert jovial für dessen Kandidatur dankte, mit der er auf „die Lage der Ärmsten und Verwundbarsten in unserem Land“ aufmerksam gemacht habe. Er bot eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Obdachlosigkeit an. Verständlich, dass Trabert darauf positiv reagierte, nur so kann er später vom Bundespräsidenten einfordern, den Worten Taten folgen zu lassen. Inzwischen haben Steinmeier und Trabert ein Treffen in Schloss Bellevue vereinbart.
Große Hoffnungen sollte man sich aber nicht machen. Salbungsvolle Worte in einem vor allem repräsentativen Amt kosten nichts. Die große Geste blieb im Kern zynisch: Steinmeier stand immer für die „langfristig erfolgreiche“ Agenda-Politik, deren langfristige Folgen Menschen wie Trabert zu lindern versuchen. Die soziale Spaltung, die der „Versöhner“ Steinmeier anprangert, hat der Regierungspolitiker Steinmeier selbst vorangetrieben.
Darauf hinzuweisen, ist nicht nachtragend. Nachtragend ist man, wenn etwas vergangen ist. Die Agendazeiten – Minijobs, Niedriglohnsektor, Hartz, also: Armut – aber sind die Gegenwart von Millionen Menschen, auch wenn die SPD gerne tut, als sei das Schnee von gestern.
Kommentare 22
Im Ländle ist es zur Normalität geworden, dass Menschen unter Brücken schlafen ... und ... oder in Papierkörben wühlen. Dass die schaumschlagende Wachstumsgesellschaft ihre Reste (gut verpackt und gut essbar) in Müllpressen entsorgt, scheint auch niemanden zu stören. Wenn das Bundespräteritum nur Präsentspflicht im Schloss-Homeoffice hat, sollte es reichen, wenn der Betroffene aus der Agentenfamilie 2010 und vom Stamm der Maidanesen ... auch mal unter einer Brücke schläft. Ich schlage Nähe Ostbahnhof vor!
Erst als Arschitekt von Harz4, die Menschen in den Armut versenken, um anschließend sie als warmherziger Präsident zu trösten. Scheinheiliger geht es wohl kaum, und nun muss man ihn auch um weitere 5 Jahre ertragen.
eine erkenntnis vor der sich viele drücken:
es gibt erfolgreiche spalter und welche, die im übel-nehmen
sich trösten....
Bitte um Erläuterung dieser kryptischen Worte.
steini kann sich als repräsentant der-größten-groko-ever in schland
geben ! nur kleine splitter säumen seinen weg !
aus einer triumphalen caesarischen position heraus
reicht er die hand denen, die über-rollt im straßen-graben liegen...
Alles klar. Zustimmung.
So isses! Er ist der Vater von Hartz IV, die rechte Hand von Schröder`s Agenda 2010, ein Altvorderer par excellence! Er kennt auch die peak oil Studie der Bundeswehr 2010, lag in seiner Schublade! Es gibt Herren & Knechte!
Obdachlose hat es vor Steinmeier gegeben und wird es auch nach Steinmeier und nach Hartz IV weiter geben.
Wenn es um Obdachlosigkeit geht, dann braucht es ganz anderer Ansätze.
Hartz IV war kein Programm zur akuten Bekämpfung von Armut und Obdachlosigkeit. Die Schere zwischen Arm und Reich kann und konnte Hartz IV nicht beeinflussen.
Hartz IV hat vielen eine Basissichrrung gegeben, die längst ergänzt hätte werden sollen und vor allem im sozialpsychiatrischen Bereich und bei Untergruppen wie Alleinerziehenden und bestimmten Migrantensubgruppen zu wenig bewirkt.
Wer bessere Vorschläge hat, der ist nun eingeladen. Trabert wird gute Vorschläge machen, um die Unterstützung von Obdachlosen und ihre Integration zu verbessern. Steinmeier hat angekündigt, Traberts Anliegen unterstützen zu wollen.
Konkrete Verbesserungen sind auch ohne Abschaffung von Hartz IV schon lange möglich. Wer "unten" mal in diesem Bereich gearbeitet hat, der kann das auch wissen.
Der Kommentar läuft ins Leere.
Der Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" wurde auf der Berlinale 2022 ausgezeichnet, u.a. mit dem Preis der besten Schauspielerin. Daran ist sicher nichts zu kritisieren, jedoch wird der Name des damaligen Kanzleramtsministers Frank-Walter Steinmeier nicht genannt, der im Fall Kurnaz eine wichtige aber sehr unrühmliche Rolle spielte. Seine Nennung wäre kurz vor der Wiederwahl sicher ein bedeutendes Zeichen gewesen. Man erkennt in diesem Fall eine ziemlich breite Spur, die der Spalter da hinterlassen hat.
Breite Spur hinterlassen. Auch als Aussenminister. Minsker Abkommen für innerukrainische Verhandlungen hat er ganz vergessen. War auch gegen Spaltung. Aber nicht nur er vergessen, auch seine Wahlagenten.
Es wäre ja so schön, wenn die Christen alle christlich wären und die Sozialisten sozial und die Politiker*innen politisch.
Soweit ich weiß, gab es auch damals die wählenden Wähler*innen.
Es ist Niemand einen Vorwurf zu machen, der seine gegenwärtige Erkenntnis entsprechend umsetzt.
Humane Humanisten schein es gar keine zu geben? Vielleicht keine passende Farbe? Rot zu schön und schwarz zu hässlich?
"Hartz IV war kein Programm zur akuten Bekämpfung von Armut und Obdachlosigkeit. Die Schere zwischen Arm und Reich kann und konnte Hartz IV nicht beeinflussen."
Dem möchte ich nicht widersprechen. Es sind tatsächlich zwei verschiedene Dinge.Zu Steinmeier: Es war nicht alles schlecht, was er gesagt und getan hat... Und ich traue ihm Besserung zu. Trotz Alledem!
Immerhin hat der Filmkritiker Daniel Kothenschulte in der FR verdienstvollerweise darauf hingewiesen, dass der Name in dem Film nicht auftaucht, wie wir beide als [u.a.] Leser der Zeitung wissen… ;-)
Ob vielleicht die Vergabe von Filmfördergeldern damit zu tun hat? Nur so ein Gedanke.
Vergessen wir nicht: der Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator ließ Murat Kuraz Jahrelang in Guantanamo schmoren und sonstwie foltern. Die progressiven Neoliberalen feier zur Zeit den Film über seine Mutter.
Gerne gelesen- meine den Text-wäre besser, wenn es Herr Steinmeier nicht geworden wäre.
Auch gerne gelesen.... Herr Steinmeier muss sich eben auch fragen lassen, was war dann und dann,da hat er zu ätzende Pflöcke eingerammt,heute im RBB Kultur Interview mit dem verstorbenen Herrn Merseburger, daß Skepsis kritische unverblendete Menschen kennzeichnet.So sinngemäß äußerte er sich im Interview....
Ich sehe mir skeptisch Herrn Steinmeier und sein Wirken an....
Was den Konflikt Rußland- Ukraine-USA- Europa etc. betrifft,die Nennung der Länder entspricht nicht meiner Wertigkeit,hat der Bundespräsident keine Kerze hell auf der Friedenstorte angezündet.Wer in der Position so in das Horn Konflikt- Beistand- Krieg trötet,den schätze ich nicht.Wie kann ich dann glauben, wenn er die sozialen Lebensumstände von Obdachlosen bedenkt, daß er da ehrlich unterwegs ist und dazu kommt noch, daß er Sozialamterlasse 4 unterstützt hat. Wie gesagt, ich mißtraue ihm...
Danke für diesen Denkanstoß. Unsere Sprache bietet aber sehr präzise Begriffe. So wähle ich kritische Vorsicht. Mißtrauen fußt für mich nicht auf kritischer Sachlichkeit, sondern eher des Vorurteils.
Z.Z. ist die politische Kriegshetze zu VERurteilen! Wer Frieden will sucht nicht die kriegshetzerische Sprache! Ätzende Pflöcke werden mit schwerem Kriegssprachmaterial eingeschlagen.
Ich bin Pazifistin und überzeugt, dass es nichts gibt, was einen Krieg rechtfertigt!
An Obdachlosigkeit ist nicht maßgeblich Hartz 4 Schuld. Obdachlosigkeit kann jeden treffen, wenn ungünstige Umstände eintreten. Unserem Staat muss man den Vorwurf machen gegen Obdachlosigkeit keine wirksamen Programme zu haben und das Feld weitgehend Ehrenamtlichen zu überlassen. Wenn Herr Trabert sein Engagement Ernst nimmt, dann ergreift er die Hand des Bundespräsidenten, weil sie Unterstützung seines Engagements bedeuten kann und damit Hilfe für seine Schützlinge.
PS: Ich bin überhaupt kein Freund dieses Präsidenten, aber aus anderen Gründen.
Stimmt. Sein Verhalten in der Causa Kurnaz ist für mich der Hauptgrund Herrn Steinmeier seine Wandlung vom Politapparatschik Schröders zum mitfühlenden Präsidenten nicht abnehme und ihn nicht als Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland wünsche.
Mir ist der Atem gestockt, als sich Steinmeier an Trabert wandte. So viel Zynismus kann einfach nicht sein. Beziehungsweise, ist er selten so öffentlich. Dem Artikel ist wenig hinzuzufügen. Ausser vielleicht, dass fast alle Medien mitgemacht haben bei der salbungsvollen Selbstbeweiräucherungs - Feier: Hier und da mal eine Erinnerung an diverse Folter und Datenmissbrauchs - Skandale: Das war's. Steinmeier ist der perfekte Vertreter für diese Klientel. Lichtjahre entfernt von sämtlichen Lebensrealitäten des normalen Menschen.
Ja,da sprechen Sie sehr weise- Mißtrauen-kritische Sachlichkeit-Vorurteil....Dankeschön- ich habe Ihre Antwort gerne gelesen- philosophisch.
Ich verstehe Ihre Meinung. Die Nachfrage meinerseits ist die, wieviel Engagement wird aktiv durch Herrn Steinmeier umgesetzt und das ohne sich zu schmücken oder seine Person aufzuwerten.Gut das sehe bzw. erfahre ich dann, wenn Herr Trabert sich abwendet sozusagen.So eine Umarmung kann ja sehr innig ausfallen und ebend auch dem Zweck der Aufpolierung dienen.Ich werde sehen...