Bunt, friedlich, laut

G7-Protest Tausende demonstrieren gegen den Gipfel – und das geplante TTIP-Abkommen
Ausgabe 24/2015
Sprechchöre für wenige Zuhörer: die Polizeieskorte und ein paar Almbewohner
Sprechchöre für wenige Zuhörer: die Polizeieskorte und ein paar Almbewohner

Foto: Johannes Simon/Getty Images

„Was für ein Auftakt“, staunt ein Demonstrant und schaut sich zufrieden um. Es ist Donnerstag und bis Barack Obama landet, sind es noch drei Tage. Auf dem Stachus, einem Platz in der Münchner Innenstadt, strömen Zehntausende zur Auftaktkundgebung vor der großen Demo. Am Ende werden die Veranstalter von 40.000 Menschen sprechen. „Das macht Mut für die nächsten Tage“, sagt der Aktivist da noch.

Er meint die Aktionen des bevorstehenden Gipfel-Wochenendes. Die standen unter einem schlechten Stern: Ein Camp in Garmisch erstritten die Demonstranten erst in letzter Sekunde vor Gericht. Mehr als 20.000 Polizisten sollten den Protestierern gegenüberstehen. Straßensperren, (Grenz-)Kontrollen, ein unüberwindbarer Zaun um das Schloss Elmau, dazu Innenpolitiker, die verbal aufgerüstet haben. Kurz: Die Lust zum Demonstrieren war vielen vergällt.

Doch jetzt quillt der Platz über. Kann sich die Stimmung noch ändern und ein breiter Protest auch vor Ort in den Alpen gelingen? Auf den Straßen von München sieht es danach aus. Hier tummeln sich Studenten, Alt-Hippies, Bohemiens aus Schwabingen. Kinder sitzen auf den Schultern ihrer Väter, auf dem Platz wehen die Fahnen von Linkspartei und Grünen. Aktivisten von Greenpeace, Oxfam und Attac verteilen Flugblätter. Von den tausenden Autonomen, vor denen die Polizei gewarnt hatte, ist nichts zu sehen. Das merken auch die Beamten, halten sich zurück und verteilen am Rand der Demo Wasserflaschen an Demonstranten und die eigenen Leute.

Etwas abseits parkt Walter Mauk seinen Traktor. „Von Bad Tölz aus waren es eineinhalb Stunden Fahrt“, erzählt er. Trotzdem wollte er heute dabei sein. „Ich bin Landwirt und wenn TTIP kommt, ist meine Existenz bedroht.“ Deshalb sei er gekommen.

Gegen die „Kriegstreiber“

Besonders das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA zieht die Massen auf den Platz. Das merkt auch die angereiste Polit-Prominenz. Anton Hofreiter, Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion, warnt daher in seiner Rede: „Durch die TTIP-Schiedsgerichte wird Klimaschutz unterwandert. Unternehmen können gegen Klimaauflagen klagen.“

Am Samstagmittag wird die Kritik an den G7 dann grundsätzlicher: Die nächste Demo richtet sich gegen den Gipfel, sie findet in Garmisch-Partenkirchen statt, in der Nähe des Gipfels. Das Publikum ist jünger als zwei Tage zuvor in München. Zudem sind wesentlich weniger gekommen, rund 4.000 Personen zählen die Veranstalter. Umringt von einem Polizeispalier zieht die Demo durch die kleine Alpen-Stadt. Die Aktivisten rufen: „A, Anti, Anti-Capitalista!“ Auch Sätze wie diesen hört man oft: „Die G7 sind Kriegstreiber, die Nato kämpft für ihre wirtschaftlichen Interessen.“ Bei einer Zwischenkundgebung kommt es zu kleineren Konflikten mit Polizisten.

Zeitgleich am Münchner Königsplatz: Mehrere große NGOs haben Promis auf die Bühne gebracht, unter anderem den Schauspieler Jan Josef Liefers, den Sänger Usher und den Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). „Yes we can“, ruft der Minister und versucht sich an einer leidenschaftlichen Rede für das Zwei-Grad-Ziel. Der Platz bleibt halb leer. Ein paar hundert Gäste stehen vor der überdimensionierten Bühne, hinter der die Propyläen, ein klassizistisches Tor, fast verschwinden.

Am Sonntagmorgen blinzelt gerade die Sonne über die Berge in den Talkessel von Garmisch, als sich die Aktivisten auf den Weg machen: Zwei Demo-Züge und ein Fahrradkorso sollen vor das Schloss Elmau ziehen – oder wenigstens so weit wie möglich kommen. Auf einer der angemeldeten Routen wandern 300 Aktivisten los. Es geht steil bergauf, über Feldwege und saftige Almwiesen. Nur selten heben die Protestierer zu Sprechchören an. Schließlich gibt es nur wenige Zuhörer: die Polizeieskorte und ein paar Almbewohner. Dann endet die Wanderung plötzlich und doch vorhersehbar. Der Sicherheitszaun, der durch den Wald gezogen wurde, blockiert den Weg. Das Schloss Elmau liegt bloß ein paar Kilometer weiter und ist doch unerreichbar.

Auf das absehbare Ende scheint trotzdem keiner vorbereitet. Die Aktivisten setzen sich, machen Picknick, lassen die Beine in einen Bergbach baumeln – und tröpfeln nach einer Stunde zurück ins Tal.

Ferdinand Otto ist freier Journalist in München

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