Cancún gescheitert

Kommentar Der Süden bietet dem Norden die Stirn

Tumult vor dem Eingang des Convention Centres in Cancún. "The negotiations have collapsed" rief ein kenianischer Delegierter. Während Entwicklungsländer und NGO-Vertreter den Fehlschlag als Erfolg werten, sind Industrieländer und Unternehmenslobbyisten zutiefst enttäuscht. Die Proteste auf der Straße waren nicht so massiv wie 1999 in Seattle, aber die Arbeit im Vorfeld offenbar um so wirkungsvoller.

Die seit Ende 2001 laufenden Vorverhandlungen - immer wieder als Entwicklungsrunde bezeichnet - hatten bei den Entwicklungsländern die Erwartung geweckt, dass der Norden endlich auch an seine eigenen Märkte die Maßstäbe anlegt, die er dem Süden empfiehlt. Der am vorletzten Konferenztag herausgegebene Entwurf einer Abschlusserklärung enthielt allerdings keinerlei substanzielle Zugeständnisse. Vor allem blieb die Forderung unerfüllt, Exportsubventionen im Agrarbereich abzuschaffen. Westafrikanische Länder etwa, die sich auf dem Baumwollmarkt benachteiligt fühlen, wurden schlicht übergangen.

Mit dem Scheitern von Cancún haben es die Entwicklungsländer geschafft, im Agrarbereich und bei der weiteren Zollsenkung für industrielle Güter dem Druck des Nordens zu widerstehen. Sie entgehen damit Auflagen, ihre Märkte radikal zu öffnen, wie sie noch im letzten Entwurf für die Abschlusserklärung standen. Die Krise der WTO ist offen zu Tage getreten. Der Süden hat so viel Selbstbewusstsein entfaltet, dass die Interessen der EU, der USA und ihrer jeweiligen Unternehmen künftig einem echten, das heißt mehrseitigen Verhandlungsprozess unterworfen werden. Die Zeiten, in den Druck und Erpressung allein für das gewünschte Resultat sorgten, sind vorbei. Das Scheitern von Cancún ist aber nicht nur ein Sieg für die Entwicklungsländer, sondern auch eine Ermunterung für die Zivilgesellschaft, für NGOs und soziale Bewegungen. Sie haben gekämpft und mit ihrem andauernden Protest innerhalb und außerhalb der Cancúner Hotelzone, in Mexiko und in anderen Teilen der Welt den Verhandlungsleitern aus den widerständigen Ländern den Rücken gestärkt.

EU-Kommissar Pascal Lamy dagegen sieht die WTO mittlerweile als eine Organisation "mit mittelalterlichen Verfahren". Der Abstimmungsprozess sei dringend zu reformieren. Demokratie und Gleichberechtigung sind seine Sache nicht. Noch deutlicher der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick: Er will zukünftig noch stärker auf regionale und bilaterale Freihandelsabkommen setzen. Was die Europäer angesichts solcher Drohungen tun sollten, liegt eigentlich auf der Hand: Lamy in die Wüste schicken und mit den Entwicklungsländern einen fairen, multilateralen Interessenausgleich suchen.

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