Cantina magica

Bedienung in der Volxwirtschaft Stehe ich doch eines Tages im "8/2". Oder besser: im ehemaligen "8/2". Denn inzwischen wurde der Name mehrfach geändert. Irgendwann hieß das Lokal ...

Stehe ich doch eines Tages im "8/2". Oder besser: im ehemaligen "8/2". Denn inzwischen wurde der Name mehrfach geändert. Irgendwann hieß das Lokal mal "Volxwirtschaft", wenn ich mich recht entsinne. Die letzte Änderung hinterließ etwas, das italienisch klingt. Dass ich mir´s nicht merken kann, hat gewiss seine Ursache darin, dass kein Detail am Interieur auch nur entfernt an Bella Italia erinnert. Schade eigentlich. Zumindest fand ich den vorigen Namen originell, weil ich annahm, der gemeine Bruch verweise entweder auf die Hausnummer oder aber den durchschnittlichen Umsatzbetrag pro Gast.

Es ist Mittag und ich habe Hunger.

Musik dröhnt aus den Boxen. Der einzige Gast sitzt am ersten Tisch vor einem halbleeren Glas Bier, das Gesicht hinter einer riesigen Zeitung verborgen. Ich setze mich an den zweiten, werfe einen Blick in die Speisekarte und die nächste Viertelstunde immer mal wieder einen in Richtung Küche, aus der kein Laut zu hören ist. Wenn einem der Magen knurrt, kommt man auf die komischsten Gedanken. Womöglich ist der Wirt wegen völliger Überarbeitung ohnmächtig zusammengebrochen und benötigt Hilfe? Vielleicht hat er sich auch an dem auf der Karte annoncierten Eintopf verbrüht und bringt vor Schmerzen keinen Laut heraus. Ich stehe auf, gehe zum Tresen. Durch den schmalen Türspalt ist nichts zu erkennen. Ginge ich jetzt nachschauen, käme womöglich just in diesem Moment jemand, hielte mich für einen Einbrecher, den er auf frischer Tat ertappt habe und holte die Polizei. Ratlos setze ich mich wieder und betrachte die Umgebung.

Das also ist das Schaufenster des Hauses der Demokratie. Und der Menschenrechte. Ich entsinne mich des Menschenrechts auf Nahrung. Bis etwas in dieser Richtung passiert, könnte ich mich jenem auf Bildung widmen und etwas aus dem langgestreckten, ungeordneten Haufen aus alten Flugblättern und abgegriffenen Zeitschriften hervorwühlen, der den Gast im Eingangsbereich willkommen heißt. Doch erstens schwinden meine Kräfte, und zweitens brauche ich zum Lesen ein Mindestmaß an Atmosphäre. Die wellige braune Tischplatte sorgt auch nicht eben für den begehrten Wohlfühl-Effekt. Nicht abgewischt ist sie und übersät mit kreisrunden Rädern, derweil der Aschenbecher das hinreißende Aroma kalten Rauchs verströmt.

Ich sehne mich nach einem Lesecafé mit aufmerksamer Bedienung, die dreimal die Stunde die Lektüre ordnet und aktualisiert. Habe ich mal in Wien erlebt. Die europäische Tagespresse ist stolz und glücklich, in diese Etablissements gratis ihre Postvertriebsstücke liefern zu dürfen. Mit jeweiligem Zeitungshalter, der für Ordnung sorgt und anzeigt, wenn ein Exemplar entwendet wurde. Ein Anruf beim Verlag genügt. Aber das hier ist kein Wiener Kaffeehaus, sondern das der Demokratie im Zentrum der deutschen Kapitale. Auch meine im Hinterhaus sitzende Redaktion verfügt übrigens über Zeitungshalter. Doch der hiesige Wirt hat nie nach unserer Zeitschrift gefragt.

Weitere zehn Minuten später. Der Mann am Nachbartisch hat sein Bier ausgetrunken. Wer hat den eigentlich bedient? Unvermittelt öffnet sich die Tür. Drei schicke junge Frauen betreten heiter plaudernd das Lokal. Kaum, dass sie Platz genommen haben, faltet der Mann seine Zeitung zusammen und geht hinüber, um zu fragen, was er ihnen bringen darf.


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