Cash-and- Harry

Linksbündig Beim neuen Harry Potter interessieren nur noch Rekorde

Der Hype um Harry Potter kennt kein Maß und keinen Vergleich. Seit Wochen haben sich die Medien, die Feuilletons über Harry Potter and the Deathly Hallows ereifert und einander mit immer neuen Spekulationen übertroffen. Am letzten Samstag dann, Punkt 0.00 Uhr (Greenwich-Zeit), öffneten endlich die Kassen, so wie es weltweite Verträge vorschrieben.

Ein großes Werk verlangt große Aufmerksamkeit. Mag sein. Über das Buch selbst soll hier nicht geurteilt werden. Der Inhalt, seine Geschichte wird vom aufgeregten Trubel ohnehin in den Hintergrund gedrängt. Für derlei interessieren sich die Kleinaktionäre, wozu auch Feuilletonleser im Geist längst mutiert sind, nicht mehr. Viel interessanter sind Rekorde, Kennzahlen und Dumpingpreise. Denen, die die Werbetrommel rühren, geht es in diesem Cash-and-Harry zuerst um Cash, dann erst um Harry. Es werden phantastische Potter-Partys organisiert und neue Begriffe wie der "Schlussverräter" kreiert. Die vielleicht kurioseste Verbeugung vor dem globalen Werbemarkt lieferte ein israelischer Rabbi. In der Jerusalem Post entkräftete er eilends die Drohung des ultraorthodoxen Industrieministers Eli Yishai, dass der Buch-Verkauf am Sabbat unter Strafe stehe und entsprechend geahndet werde. Mit Hilfe des Rabbi soll gemäß Jerusalem Post die Potter-Party in Tel Aviv ein voller Erfolg gewesen sein.

Dass wir uns richtig verstehen. Gegen die Lektüre von "Harry Potter", am besten aller sieben Bände hintereinander, ist rein gar nichts einzuwenden. Wenn nur zehn Prozent der bisher über 300 Millionen verkauften Exemplare wirklich gelesen wurden, dürfte das bei den Leseförderern Wohlgefallen auslösen. Zumal "Harry Potter" ein sehr gemischtes Publikum anspricht, eingeschlossen auch Männer im mittleren Alter. Das allein grenzt an Zauberei.

Die künstliche Aufregung um "Harry Potter" hat leider aber nur wenig mit dem Buch, und noch viel weniger mit dem Lesen zu tun. Lesen an und für sich erfordert Zeit und ist marktökonomisch weitgehend uninteressant. "Fragen drängen sich auf", schrieb Peter Bichsel dazu einmal: "Fördert Lesen das Bruttosozialprodukt oder gefährdet es das Bruttosozialprodukt? Ist eine Gesellschaft, die nichts anderes will als Reichtum und Wachstum, auf Leser angewiesen?" Über die Antwort machte er sich keine Illusionen. Genau deshalb dreht sich der Harry-Hype nicht um das Leseabenteuer, sondern bloß um das Leseprodukt. Gewissermaßen um den Vorfilm zum bombastisch-kitschigen Film, der demnächst in die Kinos kommt. Das kolossalste Missverständnis der vergangenen Tage ist aus Japan gemeldet worden, wo sich eine Frau dafür rühmen ließ, für den neuen Potter nur gerade mal 47 Minuten benötigt zu haben. Bravo! Großartig! Ist es auch Unsinn, so hat es doch Methode.

Werbung für Werbung für Werbung. In dieser selbstreflexiven Schlaufe kulminiert die Konsumgesellschaft. Die Sache selbst tritt demütig in den Hintergrund. So wird eine virtuelle Sphäre etabliert, die es allein auf den Output abgesehen hat: die gute alte "Tonnenideologie" in neuem Gewand. Hauptsache produziert. Diese Form der Virtualität bleibt freilich dumpf manipulativ, weil sie für ihre Kundschaft keine kollaborativen Elemente mehr vorsieht.

Der Hype um "Harry Potter" ist im Grunde nur ein prägnantes Beispiel, wie sich die Werbemaschinerie verselbständigt im Kampf um das beschränkte Gut "Aufmerksamkeit". Vergleichbare Mechanismen greifen gerade auch in der Literaturszene um sich. Es mehren sich die Fälle, wo Autoren für eine Lesung in einer Buchhandlung nicht mehr ein Honorar erhalten, sondern bloß das Angebot einer Gratis-Werbebühne, auf der sie Werbung für ihr Buch machen dürfen - idealerweise mit einem kurzen Abstract, damit das Buch nicht auch noch gelesen werden muss. Alle werben und keiner weiß mehr wofür.

Doch es gibt auch gute Nachrichten. Der neue "Harry Potter" umfasst 600 Seiten, das macht je nachdem 15 - 30 Stunden Lesezeit. Es fordert ein, was Peter Bichsel schrieb: "Lesen braucht Lange-Weile, lange Zeit." Derart beweisen viele Leser und Leserinnen, dass es auch in Zeiten der Totalvermarktung ein Bedürfnis nach müßigem Tun gibt. Sie lesen das dicke Buch, obwohl es im Feuilleton in Unkenntnis der Sache längst kurz-weilig abgehandelt wurde. Aber Feuilletons liest ja ohnehin keiner mehr.


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Geschrieben von

Beat Mazenauer

Autor, Literaturkritiker und Netzwerker.

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