Castros Revolution

Dokumentarfilm Fidels Nichte kämpft für Geschlechtsumwandlung in „Transit Havanna“
Ausgabe 44/2016

Der revolutionäre Weltprozess brachte für die Emanzipation sexueller Minderheiten selten Fortschritt. So folgte nach der Oktoberrevolution auf eine kurze euphorisch befreite Phase schnell sexualpolitische Erstarrung. Und in der DDR gelang die Legalisierung der Homosexualität bekanntermaßen früher als im Westen, fand aber keinen Widerhall in entsprechender kultureller Akzeptanz. Vor diesem historischen Hintergrund ist es bemerkenswert, dass in Kuba nach langen Jahrzehnten der Verfolgung und „Umerziehung“ von Schwulen und Lesben seit einiger Zeit eine Frau aus dem engsten Führungszirkel den Kampf für sexuelle Emanzipation und LGBT-Rechte zu ihrer Sache macht.

Mariela Castro, Nichte von Fidel, weil Tochter von Staatschef Raúl und Vilma Espín, der einstigen Präsidentin der Frauenorganisation, leitet seit 1990 das Nationale Zentrum für sexuelle Aufklärung CENESEX. Dort kämpft sie mit einiger Energie für die Anerkennung sexueller Minderheiten als „kulturelle Bereicherung“ und „Stärkung unseres revolutionären Prozesses“ – ein Gesetz zur Legitimierung homosexueller Partnerschaften durchs Parlament zu bringen, gelang ihr bisher nicht. Mehr Erfolg hatte Castro mit einem Programm zur medizinischen Geschlechtsumwandlung für Transsexuelle, das seit 2008 in einer staatlichen Klinik durchgeführt wird.

Fünf OPs gibt es pro Jahr und fast zwei Dutzend Personen auf der Warteliste – drei von ihnen stehen im Fokus von Transit Havanna von Daniel Abma, darunter der erste offiziell anerkannte Transsexuelle Kubas. Eine Operation hat Juani – ein generöser älterer Herr mit Vollbart und liebevoll umhegtem Moped – schon absolviert, jetzt hofft er auf die nächste Etappe. Doch der euphorisch erwartete OP-Termin ist umzingelt von beschwerlichem Alltag. Und die beengte Wohnsituation in einem notdürftig abgetrennten Verschlag, den Juani mit dem Bruder teilt, ist ein schweres Handicap für ein entspanntes Liebesleben.

Auch die beiden anderen – jüngeren – Protagonistinnen kämpfen mit widrigen Umständen und Feindseligkeit ihrer Umgebung. Auch 55 Jahre nach der Revolution ist die katholische Morallehre in der Bevölkerung dominant. Und wenn Mariela Castro und ihre Aktivistinnen bei einer Demo „Homophobia no, socialismo si!“ skandieren, gucken die meisten Passanten eher ratlos. Eine der Mitstreiterinnen dabei ist Malú, die väterliche Übergriffe gegen ein Leben im Dienst der Sache tauschte (mit einem Geliebten im Knast) und mit Elan die kollektive Reise zu einem LGBT-Kongress in Santiago organisiert. Doch sie ist auch zermürbt durch jahrelanges vergebliches Warten auf einen OP-Termin.

Odette dagegen liegt aus nicht näher genannten Gründen im Clinch mit der CENESEX. Ihr Hauptkampfplatz ist aber das Zuhause, wo nach einem Suizidversuch Mutter und Großmutter auf Fügung ins „Gottgewollte“ drängen. Zum Lebensunterhalt hat Odette nun ein gnädiges Auskommen als Ziegenhirtin gefunden. Dabei folgt ihr die geduldige Kamera von Johannes Praus ebenso wie bei dem Versorgen der Großmutter, familiärem Streit und hysterischen Wutanfällen.

Ein Jahr lang wurde in Kuba gedreht. Auch noch, als die Nachrichten vom politischen Tauwetter mit den USA Odette vor dem Fernseher so ungläubig wie strahlend nach Luft schnappen lassen. Eine politische Entwicklung, die dem Film neuen Drive gibt, ohne überstrapaziert zu werden. Transit Havanna bleibt bei den Personen; die oft debattierte Frage, ob die operativen Eingriffe wieder der Geschlechter-Normierung Vorschub leisten, ist hier kein Thema.

Den atmosphärischen Rahmen geben Zeitlupen-Fahrten entlang von Menschen am Straßenrand oder, Standardsituation im Kubafilm, dem Malecon. Das Ergebnis ist eine lebendige Momentaufnahme aus einer Gesellschaft im Umbruch. Das am Ende durch den karibischen Himmel entschwebende Flugzeug ist da eine unnötige Metapher.

Info

Transit Havanna Daniel Abma D 2016, 93 Min.

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