Iran Ela ist nach Italien gekommen, um Kleidungsvorschriften und Zensur zu entkommen und endlich als Modedesignerin zu arbeiten. Doch der Neuanfang gestaltet sich schwierig
Die Islamische Republik Iran erfährt seit ihrer Gründung im Jahr 1979 einen Brain- Drain, die Abwanderung hochqualifizierter, talentierter und kreativer Bürgerinnen und Bürger in andere Staaten. In den 1980ern flohen vor allem junge Männer aus dem Land, um nicht für den Iran-Irak-Krieg eingezogen zu werden. Religiöser Extremismus warf die Arbeit von Frauenrechtlerinnen um Jahrhunderte zurück. Wirtschaft und Gesellschaft leiden immer noch unter der Politik des Ex-Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und den erst 2016 abgeschwächten EU-Sanktionen. Studierende, die 2009 gegen Ahmadinedschads umstrittene Wiederwahl protestierten, wurden von der paramilitärischen Sepah auf offener Straße ermordet. Das berüchtigte Evin-Gefängnis
is in Teheran ist so voll mit politischen Aktivistinnen und Aktivisten und Intellektuellen, dass es im Volksmund „Evin-Universität“ heißt. Es ist also kein Wunder, dass viele intelligente und kreative junge Iraner ihre Heimat verlassen, wenn sie nur können. Sie erhoffen sich bessere Lebensbedingungen in Europa, Nordamerika und Australien, aller Bürokratie und allem Rassismus zum Trotz.Ela ist Modedesignerin und eine der vielen Exil-Iranerinnen, die ich in Italien kennengelernt habe. Sie mischt Einflüsse traditioneller iranischer Malerei und Architektur mit Gothic- und Fetisch-Couture. In Iran zog sie damit die Aufmerksamkeit der Moralpolizei auf sich. Vor zwei Jahren kam sie von Teheran nach Norditalien, wo Bekannte von ihr bereits Ingenieurwesen studierten.David Bowie wäre FanIranische Studierende haben in Europa auch nach dem Ende der Sanktionen immer noch große Probleme, eine Wohnung zu finden oder ein Bankkonto zu eröffnen. Selbst an den namhaften italienischen Universitäten, die sich mit einem weltoffenen Profil rühmen, werden Studienplätze vor allem an EU-Bürger vergeben. Ela hat den Vorteil, dass ihre Eltern reich sind. Außerdem spricht sie inzwischen fließend Italienisch. Dennoch misstrauten ihr Vermieter. „Ich wollte ein Atelier mieten und dafür ein ganzes Jahr im Voraus bezahlen“, erzählt sie. „Zwölftausend Euro. Der Eigentümer sagte, dass trotzdem ein Italiener für mich bürgen soll. Wenn ich sage, wo ich herkomme, legen manche auch einfach auf.“Die 32-jährige Modedesignerin begann mit dem professionellen Entwerfen von Kleidungsstücken vor etwa acht Jahren, nachdem sie das Handwerk von ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester gelernt hatte. Weil ihr iranisch-australisches Modedesignstudium in Italien nicht anerkannt wurde, studiert Ela nun an einer renommierten Akademie für Design und Kunst in Norditalien. Elas aktuelle Kollektion ist eine Mischung aus traditioneller iranischer Kunst und galaktischer Gothic-Fetisch-Couture, die aussieht wie etwas, das David Bowie gern getragen hätte. Futuristisch anmutende hautenge Einteiler, ein halb transparentes schwarzes Hochzeitskleid mit farbenfroh betupfter, Galaxie-inspirierter Schleppe und ein edelsteinbesetzter Leder-Bolero.In Iran konnte Ela nicht einmal ihren Katalog mit konservativer Kleidung veröffentlichen. „Es gibt eine Cyberpolizei in Iran, die Fata heißt, und auch eine Moralpolizei“, erklärt Ela. „Die überwachen alles. Ich konnte meine Kollektion nicht mal Fetisch nennen, weil das Wort verboten ist. Ich habe sie dann Schmetterling genannt.“ Auch das Fotografieren stellte ein Problem dar, denn selten traute sich ein Model vor die Kamera. „Weil sie Angst vor der Regierung hatten. Modeln ist in Iran verboten.“Obwohl Ela die Gesetze der Islamischen Republik gebrochen hat, um ihrer Arbeit nachzugehen, sieht sie ihre Modedesigns nicht als politischen Protest. „Es geht einfach nur um Mode. Weil Menschen auf der ganzen Welt so etwas entwerfen.“ Modenschauen sind in Iran ebenfalls illegal, außer sie zeigen Stoffe zur Verschleierung der Frau. Obgleich die Besucherinnen dieser Modenschauen ohnehin mit Kopftüchern bedeckt sein müssen, ist es für Männer verboten, die Shows zu besuchen. Ela, die kein Kopftuch trägt, vereinfacht die Hidschab-Debatte so: „Wenn das Kopftuch in Iran nicht verpflichtend wäre, würden es nur die Frauen tragen, die es wollen, und die anderen eben nicht.“Die Akzeptanz der gesetzlich vorgeschriebenen Kopftuchpflicht in Iran ist für ein islamisches Land recht niedrig. Das hängt zum Teil damit zusammen, dass viele iranische Familien niemals zuvor eine solche Regelung in ihrer Kultur kannten und sich modern kleideten. Iran war auch schon vor 1979 islamisch geprägt, jedoch stand die Religion nicht über der Staatsmacht, wie es jetzt der Fall ist.„In den 1960ern hätte man eine Iranerin anhand ihrer Kleidung nicht von einer US-Amerikanerin unterscheiden können“, findet Ela. „Nach der Islamischen Revolution hat sich alles geändert.“ Heutzutage tragen viele iranische Frauen starkes Make-up und das Land ist weltberühmt für seine Schönheitschirurgie-Kliniken, insbesondere für Nasen-OPs. Ela vermutet, dass diese Obsession mit perfekten Gesichtszügen daher rührt, dass die islamischen Kleidungsregeln für Frauen nur das Gesicht als Modestatement übrig lassen.Freiheit im InternetEin weiterer Grund für die mäßige Akzeptanz der islamischen Gesetzgebung bei der iranischen Bevölkerung ist neben der Kulturgeschichte auch die globale Vernetzung, die es insbesondere den jüngeren Generationen einfach macht, sich mit dem Rest der Welt zu vergleichen. Islamische Rechtskonservative sehen diese Entwicklung als Anzeichen schlechter westlicher Einflüsse. Darum ist es auch kein Wunder, dass die iranische Regierung an einem sogenannten nationalen Internet arbeitet, das nicht mit dem Rest der Welt verbunden ist. Nordkorea lässt grüßen. Im Gegensatz zu vielen anderen sozialen Medien ist Instagram in Iran nicht gesperrt und kann legal genutzt werden. Neben Telegram ist es ein sehr beliebtes Kommunikationsmittel, außerdem eine Plattform für modeinteressierte Iranerinnen und Iraner.Auch Ela hat ihre Produktionslinie auf Instagram präsentiert, bis die Cyberpolizei ihr Benutzerkonto hackte. Die vielen verschiedenen Polizeien, Geheimdienste und Paramilitärs schaffen eine Art begründete Paranoia, die einen noch lange nach Verlassen des Landes in Form von Albträumen und Verfolgungswahn begleiten kann. „Sogar bei den Untergrundshows muss man immer gewahr sein, dass zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern jemand von der Polizei sein könnte, der gekommen ist, um einen zu überwachen. Wird dann etwas wie Fetischkleidung präsentiert, hat man so viel Ärger am Hals.“Elas Freund bringt iranischen Tee mit Kandiszucker herein und setzt sich aufs Bett, um uns zuzuhören. Ich habe jetzt schon öfter gehört, dass man sich leicht Ärger einhandeln kann. Doch was ist damit gemeint? „Zum Beispiel“, klärt Ela mich auf, „habe ich damals Nähkurse gegeben und man hätte mein Zertifikat entwerten können, sodass ich nie wieder hätte lehren dürfen. Wenn man ein Geschäft hat, wird es geschlossen.“ Regelmäßig werden Models, Designer und Fotografen für ihre Aktivitäten in der Modeindustrie verhaftet.Eine davon ist die Fotografin, mit der Ela zusammengearbeitet hat. Ihre Website ist geschlossen und sie darf das Land nicht verlassen. Im vergangenen Jahr brach ein Kommando von zwanzig Männern und Frauen ihre Haustür auf. Bevor sie hineingelangten, warf die Fotografin eine Speicherkarte aus dem Fenster, sodass die Nachbarn sie verstecken und so einen Teil ihrer Arbeit retten konnten. Sie wurde verhaftet und ihr Foto-Equipment beschlagnahmt. Auf der Polizeistation wurde das Material durchsucht und man fand Fotos von Ela. „Sie wollten auch mir folgen. Doch die Fotografin antwortete, dass ich das Land bereits verlassen hätte.“Elas Professorinnen und Professoren in Italien waren begeistert von der letzten Präsentation ihrer Entwürfe. Doch Ela ist nicht nach Italien gekommen, um noch einmal zu studieren, sondern um zu arbeiten. „In Iran konnte ich kein Profi auf dem Gebiet der Haute Couture werden, doch in Italien ist das möglich. Ich möchte in bekannten Modestudios arbeiten.“ Ela war auch schon dazu eingeladen worden, im iranischen Fernsehen über ihre Arbeit zu sprechen, doch das TV-Format wurde abgesetzt, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. „Wenn alle Medien zensiert werden, hast du keine Möglichkeit, den Leuten zu sagen, was in der Welt des Designs passiert.“ Im Mai dieses Jahres wurde Präsident Hassan Rohani wiedergewählt, der als gemäßigt und das kleinere Übel gilt. Religionsführer Ayatollah Ali Chamenei blockiert Reformen im Land, sodass die Distanz zwischen der religiösen Führung und dem Volk weiter wächst. Und weiter Menschen das Land verlassen.Ela ist sich nicht sicher, ob sie einmal in ihr Heimatland zurückkehren kann, um dort zu arbeiten. Oder ob sie das will. „Das Problem ist, dass Iran wegen all dieser Einschränkungen dem globalen Markt hinterherhinkt. Es ist mir egal, ob Iran eine islamische Republik oder sonst was ist. Was ich brauche, ist, dass die Gesellschaft meine Designs akzeptiert.“
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