Chimäre

Ausgleichsmasse Die Grünen wollen Volkspartei werden

Immer, wenn ein Parteitag einer Westpartei im Osten ausgetragen wird, hat das symbolische Gestalt. Dieses pionierhafte "Komm, gehn wir mal rüber und geben ein Zeichen". Obwohl die Zwischenzeit längst vorüber sein sollte, wie man anzunehmen geneigt ist, sich aber immer wieder getäuscht sieht und schließlich fragt: Wann hört das auf?! Obwohl die Parteitagsausrichter auf regelmäßige Wiederkehr achten: Die Parteitage haben immer noch das Flair des ungebetenen Fremden, der sich wo einlädt, rumfläzt und in die Ecke kackt, sich zankt und große Tücher schwenkt und wieder abhaut, nachdem er einen großen Haufen Müll und zu viel öffentliche Wahrnehmung hinterlassen hat. Die Grünen sind nicht so, die trennen den Müll, die schimpfen leiser, friedlich, die bringen Blumen mit, die häkeln nur schneller, wenn andere anfangen zu schreien. Die Grünen haben einfach Niveau, die fühlen sich ein. Nur in den Osten gehören sie nicht. Niemand will sie, niemand braucht sie, nicht mal zum Auslachen sind sie mehr gut, die Ökologischen, seit sie regieren. Sie sind der pure Westen, ein Kunstprodukt der von Wirtschaftswunder und Deutschem Herbst erschöpften Bundesrepublik; sie schwören auf Wurzeln, obwohl die Äste dauernd weg vom Stamm wollen und sie im Osten nicht mal Boden haben. Dafür eventuell noch Ideale. Unter dem Verdacht ist natürlich gleich gar nichts zu holen.

Und jetzt das. Schon "Parteitag" ist ein Reizwort, und jetzt reden sie in Rostock, wo Grün in der Hauptsache für Pfefferminzlikör steht, über den Krieg. "Wir akzeptieren, dass unsere Abgeordneten mehrheitlich der Bereitstellung von Einheiten der Bundeswehr zur Bekämpfung des internationalen Terrors zugestimmt haben. Wir halten es für richtig, dass die vorhandene Kritik an dem Einsatz, die in unserer Partei ihren Platz hat, in der Abstimmung zum Ausdruck gebracht wurde." Leckt mich am Arsch, würde ich sagen.

Natürlich sind die Grünen seit dem letzten Wochenende keine Kriegspartei, wie die Junge Welt es, mit Dank für ein stabiles Feindbild, nennt. Genau so wenig, wie sie bis zum letzten Wochenende eine Friedenspartei waren. Außer der Biertrinkerbewegung kenne ich keine Partei, die das ist. Ob die Grünen untergehen oder nicht, ist inzwischen egal; und wenn es das nicht ist, kann es eigentlich auch nicht passieren. Denn dafür sind sie auf die Welt gekommen, 1979: dass es länger nicht egal ist. Um die unterrepräsentierten Strömungen des politischen Alltags zu bündeln und zu vertreten, um als Mittler zwischen APO und Parlament zu fungieren. Die Ausgleichmasse war grün. Bündnis 90 war nicht erfunden. Frustrierte Sozialdemokraten, linke Liberale, Christ-Demokraten mit Eisen-Kobalt-Nickel- und PVC-Allergie, Körnerfresser, Strickmaschinen und ein ganzer Haufen sogenannter Achtundsechziger, von denen damals schon niemand mehr wusste, wofür ´68 eigentlich steht. Es ist Anfang diesen Jahres im Bundestag kurz noch einmal aufgefrischt worden, dann kam Rinderwahn, dann Frühling, Sommerloch und der letzte 11. September - und plötzlich war Krieg. Einer, der trotz gegenteiliger Behauptung nur zeigt, dass seit Ende des diffizilen Gleichgewichts der Systeme kein Frieden in der Welt gewesen ist.

Aus den unterrepräsentierten Strömungen ist eine unterrepräsentierte Partei geworden, die Anhängerschaft ist in der Bevölkerung diffundiert, die Ausgleichmasse ist so überflüssig wie der gelbe Schleim der FDP, und eigentlich stünde eine konzeptionelle Wiedergeburt an. Die ist ausgeblieben, und solange das so ist, wird die Friedenspartei, die Pazifistenpartei, die Partei für soziale Gerechtigkeit und wahrscheinlich auch bald die für ökologische Gerechtigkeit, PDS heißen. Sehr komisch.

Den älteren Parteien kann man nicht beim Altern, Wegsterben, Einknicken und Umdrehen zusehen, das haben die längst hinter sich. So haben die Grünen, die im Osten immer noch mit Anführungszeichen aufgeschrieben werden und im Westen wahrscheinlich bald wieder, die Last der Chimäre alleine zu tragen. Diese Chimäre, die den sogenannten Volksparteien, zu denen doch eigentlich alle in den Bundestag gewählten zählen müssten, ist das Ziel. Die Idee. Leitidee, wie CDU-Fraktionschef Merz es nennen würde. Und die Chimäre ist nicht nur das Trugbild, sie ist auch das Fabeltier mit Löwen-, Ziegen-, Schlangenkopf, das wegen seiner Vielgestalt zum Sprichwort wurde.

Es lässt sich nicht sagen, dass am Rostocker "Kriegsparteitag" irgendwas Besonderes war. Opportunismus siegt, das war abzusehen! Scheitern als Chance ist verpasst.

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