Christiane Overkamp

Die »Erlassjahr-2000-Kampagne« war ein Erfolg Wirtschaftspolitische Alphabetisierung

1997 hatte sich das Bündnis Erlassjahr 2000 - Entwicklung braucht Entschuldung als deutsche Sektion der internationalen Jubilee-2000-Kampagnen gegründet. Es sollte eine Entschuldung der Länder des Südens bis zum Jahrtausendwechsel erreicht werden - ein Thema, das gerade auch auf dem G 8-Gipfels von Genua eine Rolle spielte. Mit der »Ziel 2000« wollte die Initiative ihr Mandat selbst zeitlich befristen. Inzwischen erfolgte die Gründung des Nachfolgebündnisses erlassjahr.de. Anlass zum kritischen Rückblick auf eine Kampagne, bei der Pro und Contra weit auseinander liegen.

Nach mehr als drei Jahren intensiver Kampagnenarbeit stellt sich für viele die Frage, was Erlassjahr 2000 eigentlich erreicht hat. Auf der Haben-Seite der Bilanz steht zweifellos, dass es gelungen ist, die Verschuldung des Südens wieder als Thema der politischen Debatte zu verankern. Es ist unumstritten, dass nur durch den konzertierten Druck der Jubilee-Kampagnen die Entschuldung der ärmsten Länder zu einem Thema des Kölner G 8-Gipfels von 1999 wurde, der sich dazu veranlasst sah, einer begrenzten Zahl von Ländern aus der Gruppe der HIPC (Heavily Indebted Poor Countries) einen Schuldenerlass anzubieten. Damit sei - so hieß es damals - die Forderung der Jubilee-Kampagnen erfüllt und die Schuldenkrise des Südens gelöst. Der entscheidende Schwachpunkt der Kölner Entscheidung - nämlich die Begrenzung auf eine nach willkürlichen Kriterien der Gläubiger zusammengesetzte Ländergruppe - ging dabei unter.

Die internationale Erlassjahrbewegung war dabei kein Netzwerk zur Entschuldung ausschließlich der HIPC. Gerade die deutsche Kampagne forderte einen weitreichenden Schuldenerlass für alle mäßig oder hoch verschuldeten Staaten mit niedrigem oder mittlerem Bruttosozialprodukt. Doch muss heute selbstkritisch gefragt werden, ob dieses Ziel offensiv genug verfochten wurde. Für die HIPC-Länder selbst blieb der Ertrag der Kölner Initiative eher begrenzt. Sicher konnte bei vielen die Schuldendienstquote deutlich gesenkt werden. Mit einem Anteil der Rückzahlungen an den Exporterlösen zwischen fünf und zehn Prozent näherte sich diese Quote den Forderungen der Kampagne. Doch war dies weniger das Resultat einer Orientierung an schlüssigen Tragfähigkeitskriterien, sondern freiwilliger (und damit letztlich unkalkulierbarer) bilateraler Vereinbarungen.

Außerdem gab es Zweifel, ob die Entlastung der HIPC wirklich von Dauer ist. Wer die rosaroten Prognosen der Weltbank analysierte, musste feststellen, dass der Schuldenerlass bei vielen Ländern von völlig irrealen Erwartungen über künftige Wachstumsraten ausging. Insofern war es sicher ein cleverer Schachzug der Gläubiger, seinerzeit in Köln das Junktim Entschuldung plus Armutsbekämpfung zu verkünden. Eine wesentliche Forderung der Erlassjahr-Kampagnen war damit zumindest auf deklamatorischer Ebene aufgegriffen.

Angesichts des bis dato unumstößlichen Postulats, allein klassische Strukturanpassungsprogramme (als Gegenleistung für Entschuldung) würden automatisch zu einer verbesserten Lage der Armen führen, war das mehr als ein Achtungserfolg. Doch der Geburtsfehler des Schuldenerlasses der G 8 - das hat die Erlassjahrkampagne von Anfang an deutlich kritisiert - lag im ungebrochenen Einfluss von IWF und Weltbank. Auch wenn im Süden selbst Armutsbekämpfungsprogramme unter Beteiligung der Zivilgesellschaft entwickelt wurden, blieb es weiterhin IWF und Weltbank vorbehalten, eingehend zu prüfen, ob diesen Programmen eine »vernünftige Wirtschaftspolitik« zugrunde lag. So begrenzten viele Länder Armutsbekämpfung auf zusätzliche Maßnahmen im sozialen Bereich - gravierende Änderungen der Wirtschaftspolitik wurden gar nicht erst in Betracht gezogen.

Zweites Kampagnenziel war ein modifiziertes Schuldenmanagement im Sinne eines fairen, transparenten Verfahrens. Diese Forderung resultierte aus der grundlegenden Kritik an den Machtverhältnissen im internationalen Finanzsystem und zielte auf Entmachtung der Gläubiger im Pariser Club, in IWF und Weltbank. Zunächst gelang es der Kampagne kaum, dafür Gehör zu finden. Sicher lag das auch daran, dass die Forderung lange als Sonderthema der deutschsprachigen Kampagnen galt. Dank politischer Hintergrundarbeit war es jedoch möglich, dies in die Debatte zu tragen. So behandelte der UNCTAD-Bericht 2000 (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) das Thema ausführlich, und UN-Generalsekretär Kofi Annan setzte sich für eine Reform ein. Erste Schritte, die man in ihrer politischen Bedeutung nicht überschätzen darf. Dennoch scheint die Reformdebatte bis in den Vorstand des IWF hinein unwiderruflich eröffnet.

Jenseits des direkten politischen Ertrags war Erlassjahr 2000 so vor allem ein Projekt der wirtschaftspolitischen Alphabetisierung, wie das im Gründungsjahr 1997 niemand erwartet hätte. Die beachtliche Mobilisierung von über 2.000 Mitträgern für die Initiative allein in Deutschland wirkte ohne Zweifel ermutigend, weil es gelang, einen Handlungszusammenhang herzustellen, in dem bundesweite, lokale, kirchliche und nichtkirchliche Gruppen zueinander fanden.

Christiane Overkamp (Misereor) war Sprecherin von Erlassjahr 2000.

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