Chronik der Gefühle

Reduktion In Aki Kaurismäkis trübseliger Retrowelt kommt mit der „Anderen Seite der Hoffnung“ Realität an
Ausgabe 12/2017

Nachts in Helsinki, zwei junge Männer lehnen am Geländer eines unwirtlichen Einkaufszentrums. „Du siehst so fröhlich aus“, sagt Khaled (Sherwan Haji), der aus Syrien geflüchtet ist, zu seinem Freund Mazdak (Simon Hussein Al- Bazoon), der aus dem Irak geflüchtet ist. „Die Trübseligen werden zurückgeschickt, deshalb sehe ich fröhlich aus“, gibt Mazdak zurück. Die Szene stammt aus Die andere Seite der Hoffnung, dem neuen Film von Aki Kaurismäki – eine kleine Selbstironie.

Denn in Filmen von Aki Kaurismäki sehen die Menschen selten fröhlich aus. Sie haben vielmehr eine Ungerührtheit kultiviert, mit der sich dem Trübsinn, den das Leben bietet, am besten und ausdauernd begegnen lässt. Deshalb ist Khaleds Bemerkung, wenn man länger drüber nachdenkt, gar nicht so falsch: Weil Kaurismäkis Figuren immer ungerührt scheinen, muss sich dann und wann auch das Gefühl von Fröhlichkeit hinter dieser Miene verbergen.

Oder Zugewandtheit, Sympathie. Im Vergleich zu den anderen lakonischen Kaurismäki- Figuren wirkt die Entscheiderin, der Khaled seinen Asylantrag begründen muss, fast schon emotional. Eine steife Frau, die so aufgeräumt aussieht wie die kargen Bürowelten, in denen sie sitzt: gedeckte Farben, wenig Mobiliar (bei der Polizei arbeiten sie sogar noch mit Schreibmaschine), keine Unordnung. Aber die Frau kann zuhören, und weil bei Kaurismäki alle Gefühle so reduziert sind, bekommt schon dieses Zuhören eine besondere Qualität. Man meint, darin so etwas wie Mitleid zu entdecken.

Khaleds Erzählung ist nicht nur deshalb einer der Höhepunkte in Die andere Seite der Hoffnung. Der Mechaniker aus Aleppo war bis nach Danzig geflohen, wo er sich vor ein paar Nazis auf einem Schiff versteckt hatte und als blinder Passagier zufällig nach Finnland gelangte. Dort beantragt er nun Asyl bei der steifen Frau.

Die Welt, die Khaled verlassen hat, wird nicht mit Bildern von blutigen Kämpfen und Krieg illustriert. Sie entsteht durch den nüchternen Bericht Khaleds, die Chronik der Ereignisse. Wie seine Verlobte schon zu Beginn des Kriegs umgekommen ist, wie das Haus in Aleppo zerstört war, als er von der Arbeit nach Hause kam, wie er seine Familie tot aufgefunden hat, wie er nach Europa kam, wie er in einem unruhigen Moment in Ungarn von seiner Schwester getrennt wurde, die er danach gesucht hat, weshalb er kreuz und quer durch Europa gefahren ist. In den künstlich, stilisiert wirkenden Umgebungen eines Kaurismäki-Films erscheint dieser Bericht mit einem Mal ziemlich realistisch.

Abgelehnt wird das Asylgesuch dennoch. Es sei nicht gefährlich genug in Syrien, um dem Wunsch auf Schutz zu entsprechen, heißt es bei der Polizei. Die andere Seite der Hoffnung kommentiert diesen Bescheid durch die Szene, die unmittelbar darauf folgt: durch einen Fernsehbericht, den die Bewohner des Asylbewerberheims von Khaled interessiert verfolgen. Der erzählt nämlich eine ganz andere Geschichte von der Sicherheit in Syrien.

Seiner Abschiebung entkommt Khaled fürs Erste, indem er in den anderen Erzählstrang von Kaurismäkis Film wechselt. Darin geht es um Herrn Wikström (Sakari Kuosmanen), einen Hemdenvertreter, der seine Frau, sein altes Leben verlassen hat, um ein Restaurant zu kaufen. Wikström übernimmt es samt verhärmtem Personal, die Hauptspeise sind Sardinen aus der Dose, Pellkartoffeln und saure Gurken. Ein gutes Beispiel für die Unaufgeregtheit und den skurrilen Humor des Films.

Khaled wird Teil von Wikströms utopischer Schicksalsgemeinschaft, die an den Mut zur Veränderung glaubt. Wie Khaled träumt Wikström von einem anderen Leben, das lässt die Verbindung der beiden wenig paternalistisch erscheinen. Auf unsentimentale Weise kommt so die hitzig diskutierte Flüchtlingsthematik im stoischen Kaurismäki-Kosmos an.

Info

Die andere Seite der Hoffnung Aki Kaurismäki FIN/D 2017, 98 Minuten

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