Chronik einer angekündigten Sezession

Fakten zum Kosovo Status laut Standard Juni 1999 Die UN-Resolution 1244 bestätigt nach dem Ende der NATO-Intervention die territoriale Integrität der Bundesrepublik ...

Status laut Standard
Juni 1999
Die UN-Resolution 1244 bestätigt nach dem Ende der NATO-Intervention die territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien, kann aber den Widerspruch zwischen dem Souveränitätsanspruch Belgrads und dem Willen der Kosovo-Albaner, sich selbst zu regieren, nicht lösen. Zugleich wird ein NATO geführtes, multilaterales Sicherheitskorps (KFOR) von zunächst 45.000 Mann in der Provinz stationiert sowie eine von der UNO getragene Übergangsverwaltung (UNMIK) eingerichtet. Serbische Militärs müssen das Kosovo räumen.

Standards vor Status
2000 - 2004

Besonders geprägt durch den deutschen Diplomaten Michael Steiner wird von den UNMIK eine Politik verfolgt, die auf die Formel "Standards vor Status" setzt. Das heißt, es sollen erst demokratische Verhältnisse etabliert sein, bevor über den künftigen Status des Kosovo entschieden wird. Diese Option ist der Versuch, das Recht auf Selbstbestimmung nicht ausschließlich als ethno-nationales Kollektivrecht zu deuten.


Status vor Standards
März 2004
Bei einem Massenaufruhr Zehntausender Kosovo-Albaner gegen die serbische Minderheit kommen im Kosovo 20 Menschen ums Leben. Es gibt etwa 900 Schwerverletzte - 36 serbisch-orthodoxe Kirchen und Klöster werden beschädigt und KFOR-Soldaten massiv angegriffen. Daraufhin wird die Formel "Standards vor Status" ad acta gelegt. UN-Generalsekretär Kofi Annan beauftragt die Diplomaten Kai Eide (Norwegen) und Martti Ahtisaari (Finnland) mit Serben und Kosovo-Albanern Sondierungen und später Verhandlungen aufzunehmen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Status ohne Standards
Februar - Dezember 2007
Martti Ahtisaari erreicht bei den Gesprächen mit den beiden Konfliktparteien keinen Konsens, legt aber dem UN-Sicherheitsrat Ende Februar seinen Plan für eine Regelung des Konflikts vor (s. rechts), der eine Rückkehr des Kosovo in den serbischen Staat definitiv ausschließt und für eine international überwachte Selbstständigkeit der Provinz plädiert. Der zu gründende Staat soll zu einem umfassenden Minderheitenschutz verpflichtet werden und kann mit einer späteren UN-Mitgliedschaft rechnen.

Serbiens Regierung lehnt den Ahtisaari-Plan ab - die 2006 verabschiedete neue Verfassung schreibt den Anspruch auf das Kosovo fest.Um Verhandlungen eine letzte Chance zu geben, soll (laut Beschluss des UN-Sicherheitsrates) die Troika aus den USA, Russland und der EU unter Leitung des deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger in 120 Tagen bis zum 10. Dezember 2007 versuchen, eine einvernehmliche Lösung mit Serben und Albanern zu finden. Schon am 6. Dezember informiert die Troika den UN-Generalsekretär - sie sei gescheitert.


Für alle Einwohner

UN-Resolution 1244 vom 10. Juni 1999
"Der Sicherheitsrat ermächtigt den Generalsekretär, mit Hilfe der zuständigen internationalen Organisationen eine internationale zivile Präsenz im Kosovo einzurichten, um eine Übergangsverwaltung für das Kosovo bereitzustellen, unter der die Bevölkerung des Kosovos substantielle Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien genießen kann und die für eine Übergangszeit die Verwaltung wahrnehmen und gleichzeitig vorläufige demokratische Selbstverwaltungsinstitutionen schaffen und deren Entwicklung überwachen wird, um die Bedingungen für ein friedliches und normales Leben für alle Einwohner des Kosovos sicherzustellen."(Auszug)

Eigene Fahne und Hymne

Der Ahtisaari-Plan vom März 2007
Das Kosovo wird souverän, erhält das Recht, internationale Verträge zu schließen und internationalen Organisationen beizutreten.

Das Kosovo kann eigene Sicherheitskräfte rekrutieren, es hat das Recht auf eine eigene Fahne und Hymne.

Die UN-Verwaltung (UNMIK) übergibt ihre Kompetenzen an die bisher provisorischen Institutionen der Selbstregierung.

Die Kosovo-Serben erhalten im Kosovo weitreichende Autonomie und Minderheitenschutz.

Orthodoxe Kirchen und Klöster werden zu speziellen Schutzzonen und stehen unter internationaler Kontrolle.

Die serbische Minderheit darf besondere Beziehungen zu Serbien unterhalten. Namentlich ist eine doppelte Staatsbürgerschaft vorgesehen.

Um die Implementierung des Plans zu überwachen, löst eine große EU-Mission mit Kontroll- und Sanktionsbefugnissen (nach dem Vorbild des High Representative in Bosnien-Herzegowina) die UNMIK ab, während die KFOR-Verbände weiterhin unter dem Kommando der NATO bleiben.


Sezession und Souveränität

Sezessionen und damit die Abspaltung aus einem souveränen Staat sind völkerrechtlich außerordentlich heikel, da sie stets als Präzedenzfall gelten und oft nur durch die Macht sowie die Interessen direkt beteiligter Dritter durchgesetzt werden. Dies gilt um so mehr, wenn eine Sezession nebst einer sich darauf berufenden Unabhängigkeitserklärung durch andere Staaten anerkannt wird. Die einseitige völkerrechtliche Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die BR Deutschland 1991 war ein Katalysator für die innerjugoslawische Sezession und den Bürgerkrieg.

Eine Unabhängigkeit des Kosovo bewegt sich daher im Spannungsfeld zwischen dem grundlegenden Recht auf territoriale Integrität eines Staates, wie es in der UN-Charta seit 1945 verankert ist, und dem Recht jedes Volkes auf Selbstbestimmung, wie es gleichfalls in der UN-Charta und den beiden Menschenrechtspakten von 1966 zu finden ist. Ob das Selbstbestimmungsrecht auch das Recht zur einseitigen, unter Umständen auch gewaltsamen Abspaltung aus einem vorhandenen Staatsverband umfasst, ist umstritten. Als gangbarer und mit dem Völkerrecht vereinbarer Weg kann sich eine Autonomieregelung erweisen, die Ausdruck einer innerstaatlichen Selbstbestimmung ist und durch internationale Garantien abgesichert wird. Eine unwiderrufliche Sezession kommt nur bei andauernden massiven Menschenrechtsverletzungen in Betracht.

Wenn sich ein UN-Mitgliedsstaat dazu entschließt, einen durch Sezession entstandenen Staat anzuerkennen, muss die neue Entität lebensfähig sein, über ein eigenes Staatsvolk verfügen sowie auf einem Staatsgebiet autonome Gewalt ausüben können. Die Frage, ob das im Kosovo mit den Protektorats ähnlichen Regelungen (Schirmherr EU) der Fall ist, erscheint berechtigt.

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