Ins Netz gegangen

Wandel Online-Verlage wie vitolibro entwickeln sich zur ernsthaften Alternative, weil sie qualifizierter anbieten als Traditionsverlage

Wer sich hierzulande für einen geistigen Menschen hält, schimpft schnell mal auf das Internet. Doch verantwortlich für die Dummheit, die einem dort auch entgegenschlägt, ist nicht das Medium, sondern sein Gebrauch. Dieselbe Entwicklung, in deren Folge die meisten Menschen statt Bücher nur noch Postings lesen können, hat dazu geführt, dass die Liebhaber des Buches inzwischen eher im Netz als im Laden gut bedient werden. Während die Auslagen der Buchhandlungen, Antiquariate ausgenommen, immer unansehnlicher werden – weil die Best-seller in ihnen lieblos aufgetürmt sind wie Stapelware –, bewährt sich das Internet als qualifizierter, gut sortierter Dienstleister für alle, die mehr und anderes als das lesen, was man angeblich lesen muss. Das Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher (ZVAB) ist längst von einem bloßen Serviceangebot zum literarischen Gedächtnis geworden, das die Erinnerung an Werke bewahrt, von denen selbst Wikipedia nichts weiß. Und die Online-Verlage entwickeln sich zur ernsthaften Alternative zu den an kurzfristigen Verkaufszahlen orientierten Traditionsverlagen.

Ein Beispiel für diese Entwicklung ist der Online-Verlag Vitolibro, dessen Bücher auf Bestellung sowie in ausge-wählten Buchläden erhältlich sind. Sein Gründer, Vito von Eichborn, heißt nicht zufällig wie der unlängst verblichene Verlag. Vielmehr hat er ihn 1980 gemeinsam mit Matthias Kierzek, dem ehemaligen Miteigentümer der Fuldaer Verlagsanstalt, gegründet. Vorher war Vito von Eichborn Lektor bei Fischer, bei Eichborn blieb er 15 Jahre, in denen der Verlag sich mit intelligenter humoristischer Lite-ratur, ebenso kluger wie unterhaltsamer Belletristik und den bibliophilen Ausgrabungen der von Hans Magnus Enzensberger verantworteten „Anderen Bibliothek“ einen Namen gemacht hat.

Fünf Jahre nach Vito von Eichborns Ausscheiden, im Jahr 2000, ging der Verlag an die Börse, 2011 meldete er Insolvenz an. Im selben Jahr wurden Name und Rechte an Bastei Lübbe verkauft, die „Andere Bi-bliothek“ wird unter dem Dach des Aufbau-Verlags weitergeführt. Außer in ihr lebt der Geist des Hauses nur bei Vitolibro weiter, wo Vito von Eichborn, der heute als Literaturagent sein Geld verdient, neben einem kuriosen Bestand an Literatur über Mallorca zu Unrecht in Vergessenheit geratene und unveröffentlicht gebliebene Romane publiziert. Zu den interessantesten Neuauflagen gehören die von Enzensberger einst in der „Anderen Bibliothek“ herausgegebene Sammlung Nie wieder! Die schlimmsten Reisen der Welt sowie Leonard Wibberleys 1959 von Jack Arnold verfilm-ter komödiantischer Science-Fiction-Roman Die Maus, die brüllte.

Der vielleicht schönste Fang, der sich bei Vitolibro machen lässt, ist aber Götz Thomallas erst 1998 bei Rowohlt erschienener, seither völlig vergesse-ner Roman Die Angst der Fische in der Tiefe, eine psychotische Ich-Erzählung und zugleich einer der besten Kriminalro-mane in deutscher Sprache. Die dilettantische und unübersichtliche Internet-Seite des Verlags sollte in diesem Fall also nicht davon abhalten, sein Programm zu studieren. Dass das Beste des Büchermarkts heute der Obhut prekär beschäftigter Liebhaber überlassen bleibt, ist trotzdem zu bedauern.

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