Filme, die das politische Leben abbilden, sind mit demselben Problem konfrontiert, vor dem die Medien täglich stehen: Um an die eigentliche Geschichte ranzukommen, muss man dem Hang zu Skandal und Sensation widerstehen und ein wenig Langeweile in Kauf nehmen. Da Letzteres im Kino fast noch mehr verpönt ist als im Journalismus, zeigen gefühlte 99 Prozent aller Filme den Politiker als eitlen, oft korrupten Zyniker, dessen Beruf nur Fassade ist für heimliche Treffs hinter eingefärbten Autoscheiben oder in Hotelsuiten.
Die Politik als solche, jenes Geschäft, dem die Röslers, Schröders und Brüderles nachgehen, bleibt dabei unerschlossen. Ein Film über die Auseinandersetzung um das Betreuungsgeld ist bislang nur als Doku-Feature im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorstellbar. Allenfalls noch als Serie – das immerhin haben Autoren und Showrunner wie Aaron Sorkin (West Wing) oder Annette K. Olsen (Borgen) erfolgreich belegt.
Der Franzose Pierre Schoeller hat sich für Der Aufsteiger an den Letzteren orientiert. Er will die Politik dort zeigen, wo sie stattfindet: in Handygesprächen während des Autofahrens, in Telefonaten aus einem Kabinett voller Mitarbeiter heraus, die dem Minister abwechselnd Antworten ins Ohr flüstern, im ständigen walk and talk auf den Fluren. Der moderne Politiker als Schnittstelle von Kommunikation.
Katastrophenbewältigung durch Mitgefühl
Dabei beginnt Der Aufsteiger mit einem Augenzwinkern an die Sensationslust des Thrillers: Eine Szene, in der eine nackte Frau in den Schlund eines Krokodils kriecht, stellt sich als Albtraum eines biederen Verkehrsministers heraus. Dieser Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) wird aus dem Schlaf geholt, weil ein Schulbus verunglückt ist. An den Ort des Unglücks geflogen, erleben wir ihn in einer der Königsdisziplinen des Polit-Geschäfts: der Katastrophenbewältigung durch öffentliches Darstellen von Mitgefühl und Tatkraft. Wobei es Schoeller nicht auf das Entlarven von gespielten Gefühlen ankommt – man begreift, dass es Teil des politischen Berufs ist, eine bestimmte Haltung zu zeigen.
Saint-Jean, von Olivier Gourmet mit Underdog-Charme gespielt, ist zu Beginn des Films ein relativer Neuling im Polit-Zirkus. Das bedeutet, er hat noch eine Karriere zu verfolgen beziehungsweise zu verlieren. Und dieses vage Ziel, es noch „weiter“ bringen zu wollen, stellt sich als untergründig äußerst wirksamer Handlungsantrieb heraus. Es beeinflusst etwa die Wahl des Chauffeurs. Als der gewohnte Fahrer ausfällt, besteht Saint-Jean auf die Anstellung eines Langzeitarbeitslosen. Der äußerst schweigsame Martin (Sylvain Deblé) aber eignet sich weniger als Stand-in für den „gemeinen Mann“, als es dem Minister anfangs vorschwebte.
Das Schöne an Der Aufsteiger ist, dass er die Einzelgespräche seines Ministers nie in Soap-Manier auflädt und überschätzt, sondern dass er die Dauerkommunikation als Mosaik zeigt, dessen Muster sich erst langsam verfertigt. Leider gelingt es Schoeller dabei nicht, den Zuschauer für das Thema seines Plots, in der es um das Projekt einer Bahnhofsprivatisierung geht, zu engagieren. Manches Detail – etwa die Klage, dass der Minister zwar 4.000 Kontakte, aber keinen einzigen Freund in seinem Smartphone verzeichnet hat – kommt als Klischee daher. Aber in ihrer sorgfältig beobachteten Fülle sind die Einzelheiten das eigentlich Interessante am Film – das Menü, das hier ein Politprofi für den anderen zubereitet, oder auch die Tatsache, dass vom Präsident stets als „le père“ die Rede ist.
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