Freie Software als Keimform einer alternativen Ökonomie Der Erfolg von Linux ist ein Indiz dafür, dass die Konkurrenzgesellschaft anfängt, sich nach dem Prinzip freiwilliger Assoziation neu zu formieren ...
Der Erfolg von Linux ist ein Indiz dafür, dass die Konkurrenzgesellschaft anfängt, sich nach dem Prinzip freiwilliger Assoziation neu zu formieren
Im Jahre 1979 war es noch keinesfalls die Regel, dass an jedem Arbeitsplatzrechner ein eigener Drucker angeschlossen war. Nicht selten mussten sich mehrere Abteilungen einen Drucker teilen. So hatte die Forschungsgruppe über Künstliche Intelligenz am Bostoner Massachusetts Institute of Technology (MIT) von der Firma Xerox einen hochmodernen Laserdrucker gestiftet bekommen. Verantwortlich für die Wartung war damals Richard M. Stallman. Da die Druckaufträge von den entfernten Arbeitsplatzgeräten an den Drucker gesendet wurden, bemerkte man die häufigen Fehlfunktionen meist erst nach geraumer Zeit. Stallman wa
tallman war es leid, dass der wichtige Drucker so lange ruhte und wollte den Druckertreiber so umschreiben, dass dieser ihn bei einer Fehlfunktion automatisch per E-Mail benachrichtigte. Dazu aber brauchte er den sogenannten Quelltext, den entscheidenden Programmbestandteil des Druckertreibers. Zu Stallmans Erstaunen weigerte sich Xerox aber, diesen herauszugeben. Schließlich fand er zwar einen Programmierer an der Carnegie Mellon University, der den Quelltext hatte, ihn aber aufgrund einer Vereinbarung mit Xerox nicht weitergeben durfte. In einem Interview mit dem Online-Magazin Telepolis erzählt Stallman 1999 rückblickend: Anfang der achtziger Jahre "gab es auf einmal keine Möglichkeit mehr, ohne proprietäre (eigentumsrechtlich geschützte) Software einen Computer auf den aktuellen Stand der Technik zu bekommen, ihn zum Laufen zu bringen und zu nutzen. Es gab zwar unterschiedliche Betriebssysteme, aber sie waren alle proprietär, was bedeutet, dass man eine Lizenz unterschreiben muss, keine Kopien mit anderen Nutzern austauschen darf und nicht erfahren kann, wie das System arbeitet. Das ist eine schreckliche Situation, in der Individuen hilflos von einem "Meister" abhängen, der alles kontrolliert, was mit der Software gemacht wird. Vielleicht haben viele Leute, die damals begannen, sich mit Computern zu beschäftigen, einfach nur diesen Weg gesehen und ihn akzeptiert. " Stallman dagegen wollte sich diesem Diktat nicht beugen und gründete 1984 die Free Software Foundation (Stiftung für freie Software), die sich das Ziel setzte, ein freies Betriebssystem zu schaffen. Frei im Sinne der Free Software Foundation bedeutet, dass derjenige, der die Software erhält, sie ganz erhält: mitsamt den Quelltexten, mit dem Recht, diese zu verändern, sogar mit dem Recht, die Software - ob verändert oder nicht - an Dritte weiterzugeben. Stallman wendet auf Software/Information die gleichen Prinzipien an wie auf "harte Ware" wie etwa Computer und Autos, die man nach Belieben (sofern sie einem gehören) auseinandernehmen, verändern, zerteilen, verschenken und verkaufen darf. Widerstand gegen das Prinzip vom "geistigen Eigentum" ist also geboten. Doch verwirft Stallman nicht einfach das "Copyright". Er dreht es um - ins "Copyleft": Freie Software in diesem Sinne untersteht einer speziellen Lizenz, die dem Besitzer sämtliche Rechte inklusive Veränderung und Weitergabe garantiert - und zugleich bestimmt, dass etwaige Kopien ebenfalls nur mit dieser Lizenz weitergegeben werden dürfen. Der neue Besitzer erhält also die Software mitsamt dem Quelltext, darf diesen verändern und seinerseits die Software weitergeben. Freie Software darf und soll von vielen besessen werden, aber niemandes Eigentum sein.Der Tüftler aus Finnland Tatsächlich hatte es die Free Software Foundation bis Anfang der neunziger Jahre geschafft, ein fast komplettes, GNU genanntes Betriebssystem zu entwickeln. Allein der eigentliche Betriebssystemkern fehlte. Hier kommt nun Linus Torvalds ins Spiel. Im März 1991 begann der junge finnische Informatikstudent die Fähigkeiten des Intel-80386 Prozessors in seinem neuen PC zu studieren. Im September 1991 war ein kleines funktionsfähiges Betriebssystem entstanden. Die ersten Versionen stellte er ins Internet. Was zunächst niemand ahnte, wurde schon bald zur Gewissheit: Mit der Arbeit von Linus Torvalds war der im GNU-Projekt noch fehlende Kern eines freien Betriebssystems entstanden. Linus selbst wollte ursprünglich seinem Produkt den Namen Freax geben. Weil aber der Administrator des Internet-Servers, auf dem sein Betriebssystem ursprünglich lag, ein Verzeichnis namens Linux verwendete, wurde dieser Name schließlich von allen Beteiligten übernommen. Seit 1992 steht Linux für das erste, komplett frei zur Verfügung stehende Betriebssystem.Mittlerweile wurde Linux auf vielen Rechnern weltweit installiert, an die jeweiligen Verhältnisse angepasst und weiterentwickelt - es ist ebenso ein Kind des Internet und der egalitären Kommunikation, wie die Infrastruktur des Netzes selbst auf freier Software basiert. Die Anzahl der Benutzer ist schwer schätzbar, da die meisten verkauften PCs Windows vorinstalliert haben und Linux erst nachträglich installiert wird. Es liegt jedoch nachweislich bei den Serverbetriebssystemen auf Platz zwei und ist das am schnellsten wachsende Betriebssystem überhaupt. Und auch im Desktopbereich (den privat oder im Büro genutzten Computern) hält Linux inzwischen einen geschätzten Marktanteil von vier Prozent.Der Kommerz als VerbündeterFreie Software stellt eine quasi unermessliche Bibliothek menschlichen Wissens dar, allerdings zunächst nur für denjenigen, der sie zu benutzen, das heißt eben auch zu lesen und anzupassen weiß. Weil das die meisten potenziellen Nutzer aber nicht können, treten hier die sogenannten "Distributionen" auf den Plan, deren Funktion darin besteht, für den gewöhnlichen Nutzer ein arbeitsfähiges System zusammenzustellen und mit einer Installationsroutine zu versehen. Im Gegensatz zu Debian, einer Distribution, die von über 900 Ehrenamtlichen weltweit entwickelt wird, sind die meisten der großen Distributionsfirmen, wie SuSE, RedHat, Caldera, TurboLinux und Mandrake kommerziell. Die kommerziellen Distributoren leben von Dienstleistungen im Umfeld von Linux und anderer freier Software.Wollte man diese Firmen nun als Parasiten betrachten, die lediglich die Früchte der Arbeit anderer ernten, läge man falsch. Alle diese Unternehmen haben ein vitales Interesse an der Weiterentwicklung freier Software. Sie fördern einzelne Projekte und bezahlen Entwickler. Doch die Investition in freie Software kommt der Allgemeinheit zugute - und mit dieser auch den Konkurrenten. Der ehemalige RedHat-Chef Bob Young hat in diesem Zusammenhang das Kunstwort von der "Cooptition" kreiert - eine Melange von "Cooperation" und "Competition". Diese Firmen besitzen nicht mehr das, was die Betriebswirte den "stragischen Wettbewerbsvorteil" nennen (abgesehen von den jeweiligen Installationsroutinen, die aber, wie etwa beim Marktführer RedHat, oftmals ebenfalls frei sind). Ökonomisch ist dies Modell von der "Cooptition" freilich nur so lange denkbar, wie der Markt für freie Software derart rasant wächst, dass das einzelne Kapital die Konkurrenz nicht zu fürchten braucht. Fraglich ist, was passiert, wenn ein "strategischer Wettbewerbsvorteil" über das Überleben einer Firma entscheiden mag. Die Versuchung wird groß sein, die vormals freie Software zu schließen und zu proprietarisieren, also in (privates) Eigentum zu überführen. Ob es der Entwicklergemeinde gelingt, dies zu verhindern wird der erste Prüfstein sein für die Verbindung von nicht-warenförmiger Produktion und Kommerz.Der Kampf um Software und GeneDer Erfolg von Linux ist ein Indiz dafür, dass die ins Unendliche beschleunigte, globale und digitalisierte Konkurrenzgesellschaft anfängt, sich nach dem Prinzip freiwilliger Assoziation und Selbstorganisation neu zu formieren und die Warenförmigkeit aufzuheben. Marx hatte davon bereits eine vage Ahnung: "Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muss aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchwerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes." In Keimform entwickelt sich gewissermaßen eine sozialistische Wende des Neoliberalismus. Der moderne (Informations-)Arbeiter ist nicht mehr im doppelten Sinne frei, frei von der Scholle und frei von Produktionsmitteln, sondern besitzt die Mittel seiner Produktion zumindest tendenziell: Die PCs in der Firma unterscheiden sich nicht von seinem PC zu Hause. Seine Tätigkeit ist eine allumfassende, insoweit er tatsächlich fast unmittelbaren Zugriff auf das Arbeitsvermögen aller anderen hat: über das Internet auf die frei verfügbaren Informationen und das Wissen - und, nicht zu vergessen, auf freie Software. Wo die Informationen nicht frei verfügbar sind, wird dies als Manko begriffen und bekämpft. Die Kämpfe gegen Software-Patente und gegen die Patentierung des menschlichen Erbguts sind gewissermaßen moderne Klassenkämpfe. Eine auf Schöpfung, Austausch und kooperativem Einsatz von Wissen gegründete "Wissensgesellschaft" muss sich im eigenen Interesse von der Logik der Waren-, Geld- und Kapitalbeziehungen befreien."Wissen ist Macht!" - dieser alte Slogan der Arbeiterbewegung erhält in der Gegenwart eine völlig neue Bedeutung. Bereits jetzt ist absehbar, dass der Kampf gegen freie Software vornehmlich auf der Ebene des Copyrights und des Patentrechts geführt werden wird. Es gibt ähnliche Diskussionen über die Patentierbarkeit von Software wie über die Patentierbarkeit von menschlichem Genen, die von Biologen als Software des Menschen begriffen werden. Auch im Bereich des biologischen und medizinischen Wissens könnte der Imperialismus unter neuem Vorzeichen thematisiert werden, wenn eigentlich billig zu produzierende, lebensrettende Medikamente nicht produziert werden können, da die Lizenzgebühren nicht bezahlbar sind. Aber auch die Forscher in den Industrieländern selbst dürften irgendwann eine Situation, die ihnen den Zugriff auf bereits vorhandenes Wissen verwehrt, nicht länger hinnehmen.Oliver Heins studiert Sozialwissenschaften in Hannover und ist Mitorganisator von www.sopos.org: "Informationsdienst für subversive Politik in Theorie und Praxis".
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