Die während des ersten Lockdowns gewährte finanzielle Unterstützung müssen Soloselbstständige und andere Mini-Unternehmen in Nordrhein-Westfalen nicht zurückzahlen. Entsprechende Bescheide sind rechtswidrig, entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf in einem wegweisenden Musterverfahren zugunsten dreier Betroffener. Geklagt hatten der Inhaber eines Schnellrestaurants, die Betreiberin eines Kosmetikstudios sowie ein Steuerberater, der seine Einkünfte überwiegend in der Aus- und Fortbildung erwirtschaftet. Tausende weitere Prozesse auch bei anderen regionalen Gerichten stehen aus; sie werden voraussichtlich mit ähnlichen Ergebnissen enden.
Das „größte Hilfsprogramm in der Geschichte des Landes“ (Selbstlob der Pressestel
Pressestelle des zuständigen Landeswirtschaftsministeriums) ist damit endgültig zur Farce geworden. Von der „NRW-Soforthilfe“ profitiert hatten 430.000 Kleinstbetriebe mit höchstens fünf Mitarbeitern, der finanzielle Gesamtumfang betrug 4,5 Milliarden Euro. Die Zahl klingt hoch, erzeugt aber ein schiefes Bild. Denn die meisten Antragstellenden mussten die zugesagten 9.000 Euro zurückzahlen. Lediglich 2.000 Euro durfte eine kleine Minderheit, die ihren Antrag früh genug gestellt hatte, zur Kompensation der durch die Corona-Maßnahmen verursachten Verluste nutzen. Musikerinnen, Messebauer oder kleine Lichttechnikfirmen, die der besonders hart getroffenen Veranstaltungswirtschaft zuarbeiten, half das wenig: Wegen abgesagter Events waren sie teils monatelang mit einem Totalausfall ihrer gewohnten Einnahmen konfrontiert.In den Corona-Jahren 2020 und 2021 habe sich die Lage von selbstständigen Erwerbstätigen deutlich verschlechtert, heißt es im aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Jeder dritte Befragte erklärte, in der Pandemie seine Tätigkeit reduziert zu haben, zwei Drittel erlitten Nachteile durch die gesetzlichen Vorgaben zur Pandemiebekämpfung. Ein Viertel der Betroffenen verbucht Umsätze unter 1.500 Euro im Monat. Kein Wunder, dass die Motivation zur einst gepriesenen „Ich-AG“ rapide gesunken ist: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellt in einer Studie fest, die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus hätten zahlreiche freiberuflich Tätige zur Aufgabe gezwungen. Ein Viertel sei komplett ausgestiegen, elf Prozent suchten eine feste Stelle, 15 Prozent seien „inaktiv“, darunter vor allem Frauen. Hunderttausende haben sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren bei Jobcentern gemeldet, beziehen seither die Grundsicherung Hartz IV.Klammheimlich geändertAuch Daten der Kreditauskunft Schufa und der Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts belegen, dass Selbstständigen und Kleinstunternehmen durch die Pandemie-Politik teilweise die Geschäftsgrundlage entzogen wurde. Zu einer Belastung mit enormer Abschreckungswirkung entwickelten sich dabei die staatlichen Forderungen, die Hilfen zurückzuzahlen. Schon im April 2020 änderten zum Beispiel die Behörden in NRW klammheimlich die Förderkriterien. Auf der erläuternden Internetseite hieß es plötzlich, lediglich betriebliche Fixkosten könnten bei der Endabrechnung geltend gemacht, die Unterstützungsgelder keinesfalls zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts verwendet werden. Nach dieser neuen Lesart war keine Rede mehr von „einem Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss“: So hatte es der heutige Kanzler und damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wenige Wochen zuvor bei seinen „Bazooka“-Auftritten vollmundig versprochen.Wohlwollend betrachtet ging es von nun an um einen kurzfristigen Kredit. In penibel nachforschenden Onlineformularen sollten Betroffene einen „Liquiditätsengpass“ belegen, ihre Ausgaben mussten in der Schlussaufstellung die Einnahmen überschreiten. Sonst hieß es schlicht: Geld zurück. Aus der „unbürokratischen Hilfe“ wurde so ein Damoklesschwert. Denn viele Soloselbstständige, etwa freiberufliche Dozenten, Fitnesstrainerinnen oder Schauspielerinnen, haben kaum Kosten, die sie geltend machen könnten. Große Teile ihrer Arbeit bereiten sie im Homeoffice der eigenen Wohnung vor, die Investitionen in „Betriebsmittel“, wie sie in der Fachsprache der Finanzämter heißen, sind relativ gering.Der Denke der Ministerialbürokratie – und der Politik – ist diese Art des kleinstunternehmerischen Wirtschaftens offenbar völlig fremd. Aus dieser Unkenntnis entstand eine gigantische staatliche Fehlsteuerung, die an der Lebenswirklichkeit der Betroffenen völlig vorbeiging. Die Konsequenz lautete: (Zurück)fordern statt fördern. Dieser Praxis hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf nun einen ersten Riegel vorgeschoben. Weitere Urteile mit ähnlichem Tenor dürften in den nächsten Monaten folgen.Die Konsequenzen für den Etat des bevölkerungsreichsten Bundeslandes sind dennoch überschaubar. Denn alle, die in Nordrhein-Westfalen keinen Widerspruch gegen ihre Rückzahlungsbescheide eingelegt haben – weil sie wegen der absehbar hohen Prozesskosten das Risiko einer Klage nicht eingehen wollten –, dürften leer ausgehen. Trotz der Erfolge in den Musterentscheiden sind ihre Anträge juristisch längst abgehakt, im Nachhinein können sie keine Ansprüche mehr geltend machen. Allerdings werden nach Schätzungen weitere 2.000 bis 2.500 Verfahren noch verhandelt. Bei gleichem Ausgang kommen auf NRW Rückerstattungen beziehungsweise ausbleibende Einnahmen von rund 20 Millionen Euro zu.Druck auf Mona NeubaurAus der Perspektive der Öffentlichkeitsarbeit bleibt die peinliche Niederlage vor Gericht dennoch ein guter Deal. Unbeeindruckt kann sich die Landesregierung weiterhin damit brüsten, Kleinstbetriebe mit Milliardenbeträgen unterstützt zu haben – ohne die je real verbuchen zu müssen. Weniger als ein Prozent der Empfänger:innen hätten geklagt, jubelte selbstgewiss Christoph Dammermann, inzwischen abberufener Staatssekretär von Ex-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), schon vor dem Düsseldorfer Prozess.Eine Gleichbehandlung aller Hilfsanträge wäre nach wie vor möglich. Doch dazu bedarf es eines politischen Signals. Verdi hat daher eine Online-Petition gestartet, mit Kooperationspartnern will die Gewerkschaft Druck auf Pinkwarts grüne Nachfolgerin Mona Neubaur ausüben. Kernforderung des Aufrufs: „Die Landesregierung soll die Rückzahlungsforderung der Corona-Soforthilfen stoppen und bereits rücküberwiesene Summen erstatten.“ Die Chancen der Aktion sind gering; die neue NRW-Wirtschaftsministerin ist vorrangig mit der Bewältigung der Energiekrise beschäftigt. Besondere Sensibilität für die Nöte von Künstlerinnen, Gastwirten, Yogalehrerinnen oder anderen kleinen Selbstständigen lässt sie bisher nicht erkennen.Die Hilfsprogramme sind ein unübersichtlicher föderaler Flickenteppich. In jedem Bundesland ist die Förderung anders geregelt. Auch Hamburg, Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz leiteten nach anfänglicher Direktzahlung später Prüfungen ein und forderten Geld zurück. Der Umgang mit den Kleinstunternehmen in der Krise dokumentiert ein politisches Versagen. Fahrlässig wurden Existenzen ruiniert, großspurige Zusagen nicht eingehalten, Betroffene getäuscht oder mit Trostpflastern abgespeist. Die daraus entstandenen Interessenkonflikte müssen nun die Justizbehörden klären. Die Revision in der nächsthöheren Instanz, beim Oberverwaltungsgericht Münster, haben die Düsseldorfer Urteile ausdrücklich zugelassen.