Von Neuseeland über den Balkan bis in die USA: Impfskeptiker gibt es überall

Corona Proteste gegen die Pandemie-Politik und Skepsis gegenüber der Impfung gibt es nicht nur im deutschsprachigen Raum: Was fundamentalistische Christen, Maori und die radikale Rechte eint – ein Blick in Länder rund um den Globus
Ausgabe 49/2021
Von Neuseeland über den Balkan bis in die USA: Impfskeptiker gibt es überall

Illustration: der Freitag

Viel wird über die Beweggründe der Corona-Proteste hierzulande diskutiert: Wo stehen denn nun Impfgegner politisch? Wieso ist die Skepsis in Sachsen oder Bayern besonders groß? Da verfällt man schnell in Klischees und vorschnelle Erklärungsmuster. Um den Blick zu weiten, blicken wir auf die Situation in anderen Ländern – und finden dort ähnliches Misstrauen, aber andere Hindernisse

Neuseeland: Die Westentaschenversion vom Sturm auf das Kapitol

Lange blieb die Inselnation von der Pandemie verschont. Statt Corona breiteten sich QAnon und radikale Impfgegner aus. Ihr großes Vorbild: Trump und die „Anti-Vaxxers" in den USA

Das Parlament in Wellington hatte die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen seit 40 Jahren, als am 9. November Tausende ohne Masken in die Hauptstadt einfielen

Foto: Hagen Hopkins/Getty Images

Die Grenzen waren dicht, die Gefahr schien frühzeitig gebannt. Bis diesen August war Neuseeland ein Covid-freies Paradies. Seitdem ist auch Delta im Lande und Impfungen laufen auf Hochtouren. Doch während der Fünf-Millionen-Staat anderthalb Jahre lang pandemisch verschont blieb, breitete sich das Hirnvirus der Covid-Leugner und Verschwörungsgläubigen ungebremst aus: Von QAnon-Yoga-Mamas bis rechtsradikalen Impfhassern ist alles vertreten.

Als im August 2020 der faschistische Attentäter von Christchurch verurteilt wurde, spielte sich vor dem Gericht eine seltsame Protestkundgebung ab. Auf Plakaten prangten die üblichen Namen von Bill Gates bis Hillary Clinton, allesamt beteiligt an einer angeblichen Weltverschwörung – und Jacinda Ardern, die hinter dem Terroranschlag auf die Moscheen stecke, bei dem 51 Menschen umkamen. Es sei eine „false flag“-Attacke gewesen.

Das Gerücht, dass die Premierministerin genauso wie Michelle Obama in Wirklichkeit ein trans Mann sei, gehört zum Repertoire der wachsenden Schar der neuseeländischen QAnon- und Trump-Anhänger. Vor der letzten Wahl im September 2020 stellten sie gar eine eigene neu gegründete Partei, die jedoch nicht über ein Prozent kam. Wer sich länger hielt, war ihr Kopf Billy Te Kahika Jr – ein Musiker und Event-Veranstalter, der sich zum neuen Propheten der Corona-Leugner aufschwang.

Fällt ein Anführer, steht der nächste bereit

Enthüllungen über dubiose Finanzgeschäfte und seinen Lebenswandel kratzten bald am Image des christlichen Möchtegern-Politikers. Doch besonders bei der indigenen Bevölkerung hatte Te Kahika viele Fans. Er protestierte vor den Quarantäne-Hotels gegen angebliche „politische Gefangene“ und gerierte sich mehr und mehr als Märtyrer, bis er nach Lockdown-Verstößen vom Sockel fiel.

Die Lücke wurde schnell von „Bischof“ Brian Tamaki gefüllt, dem charismatischen Anführer der sektenähnlichen Destiny Church, die gegen Homosexualität und Abtreibung wettert. Während des letzten Lockdowns in Auckland organisierte Tamaki ein Massen-Picknick als Anti-Lockdown-Protest. Seit letzter Woche läuft eine Petition, ihm wegen Gesetzesverstößen und Verbreitung von Falschinformation den gemeinnützigen Status zu entziehen.

Die Köpfe von Neuseelands Querdenker-Szene stammen nicht nur aus dem erzchristlichen Maori-Lager. Als neue Führerin der Bewegung hat sich Anwältin Sue Grey aus Nelson etabliert, die die Outdoor-Partei leitet und sich früher für die Legalisierung von Cannabis stark machte. Sie versucht, gegen die frisch verhängten umstrittenen Mandate vor Gericht zu ziehen. In Lehr- und Gesundheitsberufen, auch bei der Feuerwehr, dürfen ab sofort nur noch doppelt Geimpfte arbeiten. Neuseeland hat eine vulnerable Bevölkerung: Maori und Pazifik-Insulaner haben eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, an Covid zu sterben. Zusätzlich ist das Gesundheitssystem mit nur vier Intensivbetten pro 100.000 Einwohner einer Covid-Welle nicht gewachsen – Deutschland hat 31. Die harten Maßnahmen stießen dennoch auf Gegenwehr. Ein Protestzug setzte sich symbolträchtig Richtung Waitangi in Bewegung – die bedeutungsvollste Stätte für Maori. Dass die „Anti-Vaxxer" ihren Aufmarsch dort abhielten, wo die indigene Bevölkerung extrem gefährdet ist, stieß progressiven Maori-Aktivisten auf, die ihr Volk zur Impfung bewegen wollen.

Ebenfalls abgeguckt: den Regierungssitz stürmen

Am 9. November kam es zur Westentaschenversion vom Sturm auf das Kapitol – statt in Washington in Wellington. Das Parlament hatte die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen seit 40 Jahren, als Tausende ohne Masken in der Hauptstadt einfielen: Trump-Fans, Esoteriker, Impfgegner – mit Hakenkreuzen, Verschwörungsplakaten und Galgen. Biker-Gangs waren dabei, die durch die Innenstadt knatterten, und Maori, die einen wütenden Haka hinlegten. Waffen wurden nicht gezogen, aber es flogen Tennisbälle mit der Aufschrift „hang Jacinda“ (erhängt Jacinda) auf Journalisten und Wachleute.

Eine der Regionen mit den niedrigsten Impfungen ist das ländliche Golden Bay – Mekka der Aussteiger, Hippies, Alternativen. Wer dort Maske trägt, wird schief angeschaut. Da es aber auch die Urlaubsregion vieler urbaner Kiwis ist, könnte Golden Bay sich in den kommenden Sommermonaten der Südhalbkugel – Weihnachten ist Hochsaison – in eine Superspreader-Destination verwandeln. Genauso Northland hoch im Norden, vorwiegend von Maori besiedelt. Auch da sind die Impfzahlen noch erschreckend gering. Dass viele Maori mit dem Impfen zögern oder in rechte Verschwörungsideologien abgerutscht sind, hat historische Gründe. Durch 150 Jahre Kolonialismus und Rassismus ist das Bildungsniveau geringer und das Misstrauen gegen Obrigkeit, Medien und Medizin groß. Es ist tragisch, dass das Umdenken bei manchen Minderheiten erst dann beginnt, wenn sie akut durch Covid gefährdet sind. Das könnte bald der Fall sein.

Von Anke Richter

Israel: Regierungskritik vermischt mit Verschwörungsglaube bis hin zur Holocaust-Gleichsetzung

Die Proteste gegen die Regierung in Jerusalem haben eine konkrete Grundlage: Tatsächlich wäre mehr Transparenz im Abkommen mit dem Pfizer-Konzern wünschenswert. Doch längst haben viele Demonstrantinnen die Grenze zu Verschwörungstheorie überschritten

Anders als in Deutschland sind in Israel viele Liberale und Intellektuelle unter den Protestierenden zu finden

Foto: Ahmad Gharabli/AFP via Getty Images

Noch auf dem Sterbebett blieb Hai Shoulian seiner Linie treu. „Es hat nichts mit dem Corona-Virus zu tun. Es hat nichts mit den Impfungen zu tun. Es hat mit Zwang zu tun“, schrieb der 57-jährige Mann auf Facebook, ehe er im September auf der Intensivstation des Wolfson Medical Center von Holon an den Folgen einer schweren Corona-Erkrankung starb. Über Monate hatte er gemeinsam mit Hunderten anderen Israelis gegen die Maßnahmen der Regierung in Jerusalem demonstriert. Mit Ausgangsbeschränkungen und massenhaften Booster-Shots war es ihr gelungen, die vierte Corona-Welle mit relativ wenig Toten zu überstehen.

Shoulian bestritt das noch in den letzten Stunden seines Lebens. Um „einen Versuch, sein Leben auszulöschen“ handele es sich bei seiner Erkrankung, die er auf Rat von impfkritischen Ärzten mit Atemübungen und Teeinhalationen bekämpfte. Vergebens. Sein Bruder Avi bedauerte bei der Beerdigung, dass er Shoulian und seine Mitstreiter nicht daon überzeugen konnte, sich impfen zu lassen. Inzwischen gibt es erste Fälle der südafrikanischen Variante in Israel, die fünfte Welle hat begonnen.

Anders als in Deutschland sind in Israel viele Liberale und Intellektuelle unter den Protestierenden zu finden. „Die Impfgegnerschaft zieht sich in Israel durch alle sozioökonomischen Schichten und Bildungsniveaus“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Nathan Stolero von der Universität Tel Aviv, der die digitalen Diskurse zum Thema Impfen verfolgt. „Bei diesem Thema geht es sehr stark ums Vertrauen, und ich nehme an, dass es in Israel viele Menschen gibt, die dem System misstrauen.“

Zwar findet sich auch hier das weltweit bekannte Gerede von Verschwörungstheoretikern über fremde Mächten, die die Pandemie steuerten. Doch stehen auch tatsächlich zweifelhafte Entscheidungen der Regierung in der Kritik. So ist bis heute ungeklärt, unter welchen Bedingungen der damalige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor gut einem Jahr Millionen Impfdosen des Herstellers Pfizer bezog. Offenbar war mit diesem Deal eine weitreichende, kaum an datenschutzrechtliche Kriterien gebundene Weitergabe personenbezogener Informationen verbunden.

Hinzu kommt, dass Netanjahu im ersten Jahr der Pandemie Bevölkerungsgruppen durch die drakonischen Maßnahmen seiner Regierung gegeneinander ausspielte. Einerseits gab er dem Druck seiner ultraorthodoxen Koalitionspartner nach und erlaubte für Gottesdienste Ausnahmeregelungen vom allgemeinen Versammlungsverbot. Andererseits rechtfertigte er mit eben diesem Versammlungsverbot ein verschärftes Vorgehen gegen die Proteste vor seiner Residenz in Jerusalem.

Auch nach dem Amtsantritt der neuen Regierung von Premierminister Naftali Bennett im Juni hielten die Proteste gegen Netanjahus Korruptionsskandale an – und unter die Demonstranten in Jerusalems Balfour-Straße, dem Standort der Residenz des Premierministers, mischten sich immer mehr Impfgegnerinnen. Darunter der im September an Corona verstorbene Hai Shoulian.

Die Demonstranten fordern mehr Transparenz, etwa die Veröffentlichung der Protokolle von Israels Corona-Kabinettssitzungen sowie der Offenlegung der Abkommen mit dem Pfizer-Konzern. Doch längst mischen sich diese Proteste mit Verschwörungsglaube: So beschuldigen sie etwa die Regierung, Daten über angeblich an Impfungen Verstorbene zurückzuhalten. Demonstranten mit gelben Sternen an der Brust, die die Covid-Beschränkungen mit dem Holocaust vergleichen und Regierungsberaterinnen als „Nazi-Mörder“, „Kinder-Vergifter“ und „Tochter des Teufels“ beschimpfen, bestimmen inzwischen das Bild der Bewegung.

Von Markus Bickel

Spanien: Wer Familie in Brasilien und Mexiko hat, lässt sich gerne impfen

Die hohe Impfquote auf der iberischen Halbinsel hat historische Gründe: Viele Spanierinnen und Spanier haben Freunde, Verwandte oder Kolleginnen in Lateinamerika, das Massensterben ist hier sehr präsent. Auch die Folgen des fehlenden Impfstoffs gegen Kinderlähmung in der Franco-Diktatur sind im kollektiven Gedächtnis

Das Werk des italienischen Street Artists TvBoy an einer Mauer in Barcelona fasst die Einstellung vieler Spanier zum Impfstoff zusammen: In Spanien wird der Impfstoff wertgeschätzt

Foto: Josep Lago/AFP via Getty Images

Spanien guckt ungläubig auf die gerade aus Deutschland gemeldete Inzidenz von über 400, sorgt es sich doch wegen einer auf über 100 gestiegenen Inzidenz im Lande. Trotz aller Unkalkulierbarkeit der Entwicklung – wichtige die Dynamik bestimmende Faktoren sind ja nach wie vor unbekannt – darf man sich über diese Umkehrung der Verhältnisse zwischen beiden Ländern in weniger als einem Jahr wundern. Ein wichtiger Faktor ist sicher die Impfquote. In Spanien sind inzwischen 90 Prozent der „impfbaren“ Zielgruppe geimpft und 80 Prozent der Gesamtbevölkerung (die Differenz machen die „Nicht-Impfbaren“ aus: kleine Kinder und Kontraindikationen).

Was ist mit den ca. zehn Prozent Impfberechtigten, die sich bisher nicht haben impfen lassen? Nach Umfragen ist die Quote der „Zögerer“ und „Zweifler“ zwischen Juni 2020 und Mai 2021 von 33 auf 4 Prozent zurückgegangen. Auch die restlichen 6 Prozent können nicht ohne weiteres den „Negationisten“ zugerechnet werden. Ein erheblicher Teil sind junge Leute, die sich bisher aus „Faulheit“ oder „Trägheit“ nicht zu einer Impfung aufgerafft haben, andererseits aber wegen ihrer Vorliebe für spontane Massenpartys („botellones“) zur Verbreitung des Virus erheblich beitragen.

„Querdenker"? Gibt es, aber sie sind wenige

Bleibt die Frage nach den „Negationisten“. Weit entfernt von der Präsenz der deutschen „Querdenker“-Community ist diese Gruppe klein und überschaubar. Die letzte Demo, organisiert vom „Kollektiv bewusster und freier Menschen“, fand am 23. Januar in Madrid statt. Nach Polizeiangaben gab es ca. 1.300 Teilnehmer, die nach Recherchen die extreme Rechte mit Bussen aus ganz Spanien herbeigeschafft hatte. Experten ordnen diese Impfverweigerer neben der extremen Rechten der Welt der Esoterik, der Naturmedizin und einer hispanischen Variante der Verschwörungstheorien zu. Sie propagieren etwa die Einnahme von Chlordioxid, das in Bolivien und Peru als Medikament zugelassen wurde. Hinter dessen Verbot in Spanien ständen dunkle Geschäftsinteressen der Pharma-Multis.

Trotz ihres intellektuell eher dürftigen Niveaus können sich diese Negationisten mit Prominenz schmücken: bekannte Sänger wie Miguel Bosé, Carmen Paris oder Enrique Bunbury sind in ihren Reihen. Nun ja, das Negationistenvirus macht eben auch vor den Gehirnen von „Prominenten“ nicht halt. Es gibt aber auch kulturelle und historische Erklärungen für die geringe Anhängerschaft der Impfverweigerer im Land. Ein kultureller Faktor: In Spanien (wie auch in Portugal) haben viele Menschen familiäre, berufliche oder freundschaftliche Beziehungen zu Lateinamerika, aufgrund der Einwanderung, der Auswanderung oder der jüngeren Geschichte (viele Exilanten in Mexiko während der Franco-Diktatur). Die Berichte über Massengräber in Brasilien, die Corona-Toten in Mexiko oder den endlosen Lockdown in Argentinien sind den Leuten daher näher gegangen als in Deutschland: Bergamo an vielen Orten der Welt.

Der Umgang mit Polio wirkt nach

Ein zeitgeschichtlicher Faktor: Wie erst jetzt allmählich aufgearbeitet wird, starben in den fünfziger und sechziger Jahren tausende von Kindern an Kinderlähmung, eine damals weitgehend totgeschwiegene Epidemie. Immer noch leiden 35.000 Menschen an den Spätfolgen, die sogenannten „Polio-Kinder“. Obwohl es schon in den fünfziger Jahren einen in den USA von Jonas Salk entwickelten Impfstoff gab, wurde dessen Existenz in Spanien weitgehend verschwiegen oder war nur den reichen Familien zugänglich. Stattdessen setzte das Regime auf die Entwicklung eines eigenen Impfstoffs, um dessen Kommerzialisierung dann die faschistischen Falangisten und ein „katholischer“ Sektor des Militärs rivalisierten. Für die Impfungen wurde nämlich „abkassiert“. Inzwischen kämpfen die Opfer der Spätfolgen der Kinderlähmung im Kollektiv „Jungen und Mädchen der Poliomielitis“ um Entschädigung und die juristische Aufarbeitung dieses weiteren „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ während des Franco-Regimes. Wohl auch deshalb ist die gut funktionierende Corona-Impfkampagne für die meisten Spanier schlicht und einfach eine Errungenschaft.

Von Eckart Leiser

Kolumbien: Gegen das Virus ist kein Kraut gewachsen

Die Verschwörungen über die Pandemie reichen bis in die entlegensten Dörfer und der lange Lockdown konnte die Infektionen nicht eindämmen. Das Vertrauen in die Regierung schwindet. Statt der Impfung verlassen sich deshalb viele auf Kräuter

Kolumbien griff in der Coronakrise zu harten Maßnahmen – unter anderem zu einem sechsmonatigen Lockdown

Foto: Luis Robayo/AFP via Getty Images

Finaler Countdown. Menschenschlangen winden sich an Impfzentren in Kolumbiens Drei-Millionen-Metropole Medellín. Es wird ernst. Im Dezember geht es nur noch mit Nachweis, der die doppelte Impfung bestätigt, in Restaurants, Metro, Büroarbeit. Aber: Erst 45 Prozent der 51 Millionen Kolumbianer sind geimpft. Impfgegnern droht der Home-Lockdown. Covid-Leugner feiern auch in Lateinamerika fröhliches Erstarken, wenngleich anders.

Besonders im ländlichen Outback teilen sich die Meinungen. Während in San Jerónimo die 77-Jährige Doña Aurora ihre Booster-Spritze empfing, wurde Don Julio zu Grabe getragen. Gegen Virus und Impfung hatte er lautstark polemisiert. Halb Kolumbien hat kein Vertrauen in den Staat. Um so mehr dafür in Familienweisheiten, alte Traditionen, Mythen.

Viele behandeln Covid-Symptome mit traditioneller Kräutermedizin. Für Indigene Amazoniens und der Karibik ist das Moringa (Lebensbaum), aber gegen Viren ist die Naturapotheke machtlos. Nur eines funktioniert, erfuhr der Wissenschaftsjournalist Andrew Wight: Wenn medizinisches Personal Dörfler im Dialog von der Infektionsgefahr und Abwehr überzeugt.

Auch in Kolumbien polarisieren die sozialen Medien

Allerdings steht da ein noch mächtigerer Antagonist im Weg. Selbst entlegenste Urwälder penetriert die Flüsterpost der sozialen Netzwerke, etwa dass Ärzte für jeden Infektionstoten einen Bonus über 2.800 Dollar kassieren. Wofür und von wem – weiß keiner, vielleicht Bill Gates? Mit dem Siegeslauf der Impfungen raunte es sogleich Abenteuerliches auf Straßen und Bergpfaden: „Alarm! Spione und Außerirdische. Einschleusung per Spritze!“ – „Gegen diese Fakes sind wir Journalisten machtlos“, sagt die Journalistin Angela Posada-Swafford über die Wirkung von Facebook & Co. Für ihren Profit würden sie Polarisierung schüren. „Unterstützt von verdeckten Agitatoren“, ergänzt Wissenschaftsdozent Daniel Meza. Damit rütteln sie an den Demokratien Lateinamerikas und des globalen Südens.

Die Verbreitung dieser Verschwörungstheorien bringen den Glauben der Campesino-Bauern an schwarze Magie und Hexerei hervor. Für die Grundfrequenz sorgt bereits der Teufelsglaube der katholischen Amtskirche. Kritisches Nachdenken geht hierüber verloren und alles Komplexe findet in dieser mythologisch-christlichen Zange einen vermeintlichen Sinn. Das strahlt aus – ja, verstrahlt. Ein weltweit erfahrener Arzt, der anonym bleiben will, immunisiert sich und seine Familie mit chlorhaltigen Mitteln gegen das Virus. Dazu riet Trump. Die Botschaften der Autokraten des Kontinents verstärken den viralen Giftcocktail.

Die Maßnahmen wirken nicht

Dabei hat Kolumbiens konservative Regierung unter Präsident Duque ein beachtliches Krisenmanagement erbracht. Tägliche TV-Experten-Runden über aktuelle Trends und Abwehrstrategien, die in einen sechsmonatigen kompletten Lockdown mündeten, einer der längsten mit gravierenden wirtschaftlichen Schäden für das innovativ-quirlige „Puma“-Land. Städte und Kreise schotteten sich ab, der Verkehr kam fast zum Erliegen, Einkaufen nur zweimal die Woche. Das alles blitzschnell, ohne Masken-Debatte, Demos – mit „preußischer Disziplin“, staunten ausländische Beobachter.

Gleichwohl blieb das Land ein Hotspot mit über fünf Millionen Infektionen und 120.000 Corona- Toten, erheblich stärker betroffen als Mexiko, das so gut wie nichts zur Covid-Eindämmung unternahm. Das erschüttert den Glauben an Evidenz von Wissenschaft und Medizin des globalen Nordens und putscht Verschwörungswahn weiter hoch. In der Tat: So surreal, wie die Pandemie über Kolumbien und die Welt hereinbrach und weiterhin wütet, samt Fragezeichen über Herkunft und Ausgang – hätte dieses Szenario nicht der Fantasie des kolumbianischen Nobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez entspringen können? Magischer Realismus heißt das Genre.

Bei allen Rätseln, die rekordartige Entwicklung von Impfstoffen ist für den Arzt Pedro Obesso ein Riesensieg der Wissenschaft und des „Homo sapiens im jahrhundertelangen Krieg gegen die Mikro-Invasoren“. Dem hätten Zweifler, Manipulanten nichts Faktisches entgegenzusetzen und das Zerbröseln der Widerstände sei absehbar, prophezeit er.

Zuvor haben die feier- und tanzfreudigen Kolumbianer die größte Herausforderung zu meistern: den Weihnachtsmonat Dezember, Höhepunkt des Jahres mit Urlaubsreisen, unzähligen Festivitäten. Bestanden? Die Impf- und Infektionszahlen im Januar werden das unbestechlich beantworten.

Von Wolfgang Chr. Goede

Japan: Bitten statt verbieten

Kein Lockdown, keine Verbote: Die Regierung hat auf das Vertrauen der Bevölkerung und deren soziale Vernunft gesetzt – mit Erfolg

Impfung und die Maßnahmen gegen die Pandemie wurden in Japan nie als Angriff auf individuelle Freiheiten und Rechte politisiert – sondern vielmehr in den Alltag integriert

Foto: Carl Court/Getty Images

Lockdowns wie in Europa hat es in Japan nicht gegeben und es wird sie auch nicht geben. Die Verfassung verbietet Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bevölkerung. Deshalb enthält der Text zum Ausnahmezustand, der wegen der Corona-Pandemie erstmals im April 2020 ausgerufen wurde, keine Regeln, Verbote oder Anweisungen. Es sind lediglich Empfehlungen und Bitten an Gesellschaft und Wirtschaft. Das Tragen von Masken wird empfohlen, Unternehmen werden gebeten, ihre Angestellten von zuhause arbeiten zu lassen. Einzig den Restaurants wurde vorgeschrieben, früher zu schließen und keinen Alkohol auszuschenken. Darüber hinaus hat es bis heute keine Einschränkungen des öffentlichen Lebens gegeben.

Da der Ausnahmezustand keine wirklichen Vorschriften enthält, gibt es außerdem keine Strafen für diejenigen, die sich den Empfehlungen widersetzen. Trotzdem ging die Anzahl derjenigen, die sich jeden Morgen in die vollen Züge quetschen, um zur Arbeit zu kommen, im April schlagartig um 60 Prozent zurück.

Anstatt von oben Vorgaben zu machen, wirbt die Regierung um Vertrauen in die Maßnahmen und versucht, die Bürger*innen von deren Notwendigkeiten zu überzeugen. Durch die japanische Sozialkultur, die der Gemeinschaft einen hohen Stellenwert zuordnet, reichen Empfehlungen an der Stelle auch aus. Der soziale Druck, nicht aus der Gruppe herauszustechen, insbesondere durch Verhaltensweisen, die anderen schaden können, ist enorm. Wenn die Gemeinschaft geschützt wird, weil alle Maske tragen und sich regelmäßig die Hände desinfizieren, steht das nicht zur Debatte. Die Masken waren in Japan ohnehin nicht neu. Schon Jahre vor Corona trug, wer erkältet das Haus verließ, selbstverständlich eine Maske. Die Proteste gegen die Maskenpflicht in Deutschland oder den USA stoßen auf absolutes Unverständnis. Und: Wenn sich alle impfen lassen, lässt man sich selbst in der Regel auch impfen.

So ist Rino Endo, die aus Japan kommt und in Berlin lebt, studiert und arbeitet, sichtlich entsetzt: „Ich frage mich immer, warum so viele Leute in Deutschland gegen die Impfung sind.“ Natürlich gebe es auch in Japan Menschen, die die Impfung konsequent ablehnen, „aber das ist ein geringer Anteil und sie üben kaum Einfluss auf den Rest der Gesellschaft aus.“

Von der Impfskepsis zum Erfolg

76 Prozent der Japaner*innen sind inzwischen vollständig geimpft. Dass die Impfkampagne so erfolgreich sein würde, war zu Beginn allerdings nicht abzusehen. Bevor die ersten Dosen Japan erreichten, gab Umfragen zufolge knapp die Hälfte der Bevölkerung an, sich nicht impfen lassen zu wollen. Das überraschte deutlich weniger als die aktuell hohe Impfquote, denn die Japaner*innen haben ein sehr geringes Vertrauen in Impfungen, die nicht lange erprobt und medizinisch anerkannt sind. Die Angst vor Nebenwirkungen ist hoch.

Japan hat deutlich später als die meisten Industriestaaten begonnen, die Bevölkerung zu impfen. Während die Impfkampagne in Deutschland bereits Ende 2020 anlief, wurde der Impfstoff von Biontech/Pfizer dort erst im Februar 2021 zugelassen. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet und Japan weist die höchste Impfquote der G7-Staaten aus. Vorschriften oder Impfpflichten fehlen, ein Konzept wie „2G“ gibt es nicht. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass die Impfkampagne anfänglich, für Japan relativ ungewohnt, im Chaos versank: Offizieller Beginn war im Februar, so richtig los ging es aber erst im Mai. Es haperte an der Organisation und an der Verteilung. Oft kam der Impfstoff in Massen dort an, wo er nicht gebraucht wurde. Wo die Nachfrage höher war, fehlte er. Keine zwei Monate vor Olympia lag die Impfquote noch bei 3,5 Prozent. Ab Mitte Juni stieg die Zahl der Impfungen dann auf eine Million pro Tag. Täglich veröffentlichte die Regierung die Menge des gelieferten Impfstoffs, die am Anfang schon gering war und zusätzlich verknappt wurde, weil die falschen Spritzen bestellt worden waren. Die berühmte „letzte Dosis“ konnte deshalb nicht aus den Ampullen gezogen werden.

Die Japaner*innen konnten also über Monate zusehen, wie im Ausland fleißig geimpft wurde und die befürchteten, starken Nebenwirkungen ausblieben. Die schweren Verläufe und Todesfälle unter den geimpften Älteren nahmen ab. In einem Land, wo jede*r Dritte älter als 65 Jahre ist, blieb das nicht unbemerkt. Der Impfstoff wurde schnell zur begehrten Mangelware.

Entscheidend war aber auch: Die Impfung und die Maßnahmen gegen die Pandemie wurden in Japan nie als Angriff auf individuelle Freiheiten und Rechte politisiert. Demonstrationen oder große öffentliche Protestaktionen hat es nicht gegeben. Das ist dort allerdings ohnehin selten. Die Maßnahmen wurden großteils eingehalten, obwohl sich mit der Zeit auch Missmut bemerkbar machte, insbesondere in der Gastronomie und der Tourismusbranche.

Japan hat sich mit Beginn der Pandemie beinahe gänzlich abgeschottet. Lange war die Einreise nur für Staatsbürger möglich, selbst Ausländer mit dauerhaftem Aufenthalt konnten nicht einreisen und wurden oft vor die Wahl gestellt: Ehepartner und Kinder in Japan oder Eltern im Herkunftsland. Ganze drei Wochen lang wurden Visumsanträge von Studierenden und Geschäftsleuten diesen November wieder bearbeitet. Dann tauchte Omikron auf, seitdem sind die Grenzen wieder zu.

Auch die Bevölkerung war nicht ganz zufrieden mit der Antwort auf die Pandemie. Insbesondere der Umgang und die Durchführung der Olympischen Spiele wurden von der Mehrheit kritisch gesehen. Kurz danach schossen die Infektionszahlen in neue Rekordhöhen, knapp 26.000 Neuinfektionen an einem Tag. Schließlich musste Premierminister Yoshihide Suga vor der Wahl zum Repräsentantenhaus im Oktober zurücktreten. Der gesellschaftliche Druck, auch wenn er nicht laut auf der Straße demonstriert wurde, war zu groß.

Von Alina Saha

Dänemark: Gemeinsinn und Impfpranger

Einmal Freedom Day und zurück: Dänemark hat in der Pandemie-Bekämpfung einen Kurs gefahren, der nicht stur auf Kurs bleibt, sondern sich der jeweiligen Coronalage anpasste. Trotzdem oder deswegen: Corona-Leugner und Impfverweigerer gehören hier beide zu einer wenig beachteten Minderheit

Wer sich nicht impfen lässt, wird von Regierungschefin Mette Frederiksen (links) auch schon mal mit erhobenem Zeigefinger ermahnt. Sie kann aber offensichtlich auch anders

Foto: Philip Davali/Ritzau Scanpix/AFP via Getty Images

Wie andere skandinavische Gesellschaften zeichnet sich auch die dänische durch einen starken Gemeinschaftssinn aus. Entscheidungen von Seiten der Regierung werden weniger hinterfragt als anderswo, wenn sie gefühlt dem Wohl des Kollektivs dienen. Die Dänen seien gut darin, aufeinander aufzupassen, so hat es einmal der gesundheitspolitische Sprecher der regierenden Sozialdemokraten, Rasmus Horn Langhoff, formuliert. Deshalb akzeptiert die große Mehrheit auch die neuen Einschränkungen in der aktuellen Corona-Welle.

Wer sich nicht impfen lässt, wird von Regierungschefin Mette Frederiksen auch schon mal mit erhobenem Zeigefinger ermahnt. Eine Impfpflicht gibt es zwar in Dänemark nicht. Stattdessen werden die Ungeimpften öffentlich beschämt. Sie trügen, sagt Frederiksen bei einer Pressekonferenz im November, in diesen Zeiten die Verantwortung für die ganze dänische Gesellschaft. „Die Regierung steht Seite an Seite mit den 90 Prozent, die tun, was in dieser Situation nötig ist. Die andere Gruppe sollte nicht für den Rest alles kaputtmachen“, sagt Frederiksen. Am Tag nach der Pressekonferenz buchten dreieinhalb mal so viele Menschen einen Termin für eine Impfung wie am Tag davor.

Viele, die bislang nicht geimpft sind, sind es nicht aus Widerstand, sondern aus Unsicherheit, oder weil sie sich einfach noch nicht darum gekümmert haben. Rund 90 Prozent der Dänen, die bislang eine Impfung angeboten bekommen haben, haben das Angebot angekommen. Die aktiven Impf-Verweigerer, das hat ein Forschungsprojekt an der Uni Aarhus ergeben, sind tendenziell eher jung, weniger gut ausgebildet, arbeitslos oder in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und haben geringes Vertrauen in den Umgang der Regierung mit der Pandemie.

Aufmärsche von Corona-Leugnern gab und gibt es in kleinem Stil auch in Dänemark. Sie werden von den Medien zwar erwähnt, bekommen aber nicht übermäßig viel Raum. Die Diskussion über Corona-Maßnahmen und deren Legitimität findet eher in Facebook-Kommentarspuren statt als in der breiten Medienöffentlichkeit.

Als Dänemark im September alle Restriktionen aufhob und mit 50.000 Menschen bei einem Konzert im Stadion in Kopenhagen seinen Freedom Day feierte, war den Kritikern die Grundlage für ihren Protest entzogen. Jetzt sind Corona-Pass und Maskenpflicht angesichts steigender Infektionszahlen zurück. Besonders laut schreien die Covid-Leugner trotzdem nicht. Die allermeisten Dänen vertrauen darauf, dass die Regierung, die nach Ansicht vieler in der Corona-Pandemie oft schnell eingegriffen und klar kommuniziert hat, auch diesmal richtig entschieden hat.

Von Julia Wäschenbach

Algerien: Herdenimmunität in Gottes Hand

Masken sieht man im Stadtbild von Algiers viele, auch Impfskeptiker gibt es aber zuhauf. Mancher vertraut eher auf Gott denn auf einen Impfstoff

Sauerstoff ist in Algerien in der Pandemie ein wertvolles Gut

Foto: Ryad Kramdi/AFP via Getty Images

Wegen postoperativ geschwächtem Immunsystem entschied ich im März 2020, vorerst nicht nach Algier zurückzuzufliegen, obwohl ich mit den Vorbereitungen eines Films begonnen hatte. Dass es dort im Straßenbild mehr Masken gab als in Berlin, sah man im Staatsfernsehen. Bald fing dieses auch an, die Bürger über die tägliche Corona-Situation zu informieren und zur Vorsicht zu mahnen.

Dass aber – trotz relativ geringer Fall-und Sterberaten – unser Gesundheitssystem keineswegs souverän mit der Pandemie umzugehen wusste, schloss ich daraus, dass in Algerien viel mehr mir nahestehende Menschen erkrankten und starben als in Deutschland. Auch meine älteste Schwester starb, obwohl die Familie irre viel Geld für Sauerstoff ausgegeben hatte. Telefonisch bat ich Freunde und Verwandte eindringlich, sich um Impfungen zu bemühen. Weil man mir gegenüber nicht zugeben wollte, dass man sich ganz in Allahs Hand fühle, wurden ähnliche Gegenargumente geäußert wie sie auch hiesige Impfgegner anführen: Die Vakzine seien vielleicht gefährlicher als Covid selbst. Auf jeden Fall zu wenig geprüft.

Der junge Fethi, der seit langem meine Filme schneidet, erkrankte mit seiner ganzen Familie. Ihn erwischte es am stärksten, bald konnte er mir am Telefon kein Wort mehr sagen. Ich erfuhr nur noch über seinen Vater, wie es ihm ging. Irgendwie kam Fethi durch, aber es blieb zweifelhaft, ob er, geschwächt durch Long-Covid, je wieder Filme schneiden wird. Als ich Anfang November einen Booster-Termin hatte, stand fest: Danach fliege ich, koste es, was es wolle.

Leichter gedacht als getan, denn das Ticket war fünfmal so teuer wie vor Corona. Air Algérie will auf diese Weise verlorene Gewinne wettmachen und andere Fluggesellschaften wären ja dumm, nicht ähnliche Preise zu verlangen. Ich konnte etwas billiger fliegen, wenn ich einen Tag bei meiner Schwester in Paris einplante. Sie fand aber keinen einfachen Weg, wie ich an einem Sonnabendnachmittag in Paris zu einem PCR-Test kommen könnte. Den musste ich – auch als Geboosterter – bei der Einreise in Algier vorlegen. Da er nicht älter als 36 Stunden sein durfte, blieb also nur, den Test vor dem Flug am Willy-Brandt-Airport in Berlin zu absolvieren. Dort kostete er ganze 177 Euro, plus ein weiterer Euro fürs Ausdrucken.

Als ich in Paris nach Algier eincheckte, wurde meinem Gepäck mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem PCR-Test. Ich wäre auch ohne durchgekommen. In Algier wurde er auch nicht verlangt. Stattdessen standen dort zwanzig Krankenschwestern, die alle Einreisende einem Antigen-Test unterzogen. Vier junge Männer, die die dafür fälligen 10 Euro einkassierten, trugen keine Masken, weshalb ich mir erlaubte, sie anzubrüllen. Das rief einen ebenfalls unmaskierten Polizisten auf den Plan. Als ich auch ihn darauf aufmerksam machte, verhüllte er sich umgehend. Was dann auch die vier jungen Männer taten.

Nachdem der Zoll ermittelt hatte, dass meine Medikamente keine Drogen waren, wurde ich von Mohamed in Empfang genommen, der für Special Effects in meinem letzten Film gesorgt und jetzt eineinhalb Jahren mein Auto genutzt hatte. Da auch er keine Maske trug, konnte ich sehen, dass er auf die Frage, ob er endlich geimpft sei, mehrdeutig lächelte. Ich weiß, dass auch er sich in Allahs Hand sicher fühlt. Seine Eltern immerhin sind geimpft, obwohl der Vater Salafist ist. Beim Öffnen der Wohnungstür strömt mir der Geruch von über Dampf stehendem Couscous entgegen. Meine Haushalthilfe bedeckt mich mit zwanzig Küssen.

Ich konstatiere, dass das Leben hier so weitergegangen ist, wie es sich die deutschen Coronaleugner gewünscht haben. Irgendwann wird Allah schon für Herdenimmunität sorgen. Vergeblich versuchte ich, meine Festplatten zu öffnen. Verdammt, hier wurde eineinhalb Jahre nicht geheizt! Ob ihnen die Feuchtigkeit zugesetzt hat? An den Verlust von so viel Arbeit wollte ich nicht glauben. Heute morgen kam Fethi, um die Festplatten wieder zum Leben zu erwecken. Beim Treppensteigen musste ich ihn stützen.

Von Saddek el Kebir

USA: Mit Impfverweigerung beschäftigen sich die Gerichte schon seit 100 Jahren

In der US-amerikanischen Rechten explodiert das Misstrauen gegen Joe Biden und "den Staat" – in Form von Corona-Protesten. Dabei ist die Verweigerung gegen die schützende Spritze alt: Schon vor über einem Jahrhundert urteilte das Oberste US-Gericht, die Regierung dürfe Impfungen vorschreiben

60 Prozent der nicht geimpften erwachsenen US-Amerikaner seien Republikaner oder stünden dieser Partei nahe, heißt es

Foto: Stephanie Keith/Getty Images

Rund 71 Prozent der US-Bevölkerung waren Anfang Dezember wenigstens einmal Corona-geimpft. Etwas weniger geimpft sind Menschen auf dem Land, Geringverdiener, Afroamerikaner, Latinos und Latinas. Am lautesten sind die rechten weißen Impfverweigerer.

60 Prozent der nicht geimpften erwachsenen US-Amerikaner seien Republikaner oder stünden dieser Partei nahe, berichtete die medizinpolitische Stiftung Kaiser Family Foundation. Ihr Anteil an der Gesamtbe­völkerung liegt bei 41 Prozent. 25 Prozent der weißen Evangelikalen gaben an, sie würden sich „definitiv nicht“ impfen lassen.

Hier explodiert das Misstrauen gegen den „illegitimen“ Präsidenten Joe Biden und „den Staat“. Selbst Donald Trump wurde ausgebuht, als er im August in Alabama erklärte: „Ich empfehle: Nehmt die Impfung. Ich hab’s getan – sie ist gut.“ Seitdem hält sich der Ex-Präsident zurück; seine Bewegung hat sich verselbstständigt, besonders im rechtschristlichen Raum. Im November ist der evangelikale Medienunternehmer Marcus Lamb an Covid gestorben. In seinem Daystar Television Network hatte er gewarnt, dass Menschen vom Impfstoff sterben. Man müsse sich fragen, ob hinter dem Impfen eine „andere Agenda“ stehe, hieß es im Programm. Lambs Sohn interpretierte die Erkrankung als „spirituellen Angriff des Feindes“.

Unterdessen führen Unternehmen und staatliche Stellen zunehmend die Impfpflicht ein. 92 Prozent der öffentlich Bediensteten haben sich impfen lassen. Gerichte beschäftigen sich mit religiös motivierten Verweigerern, deren Glauben Impfungen verbiete. Der Streit ist mehr als ein Jahrhundert alt: 1905 urteilte das Oberste US-Gericht, die Regierung dürfe Impfungen vorschreiben. Damals wollte sich ein Pfarrer nicht gegen Pocken impfen lassen wegen des „angebo­renen Rechtes“ freier Menschen, „über Körper und Gesundheit“ zu entscheiden. Er verlor. Auch 2021 hatten Verweigerer wenig Erfolg vor Gericht.

Von Konrad Ege

Balkan: Wo das öffentliche Vertrauen ein Rekordtief verzeichnet

Geringe Impfquoten und eine starke Bewegung der Impfgegner sind in der gesamten Region verbreitet. In der Impfung finden die extremen Rechten der verschiedenen Länder einen gemeinsamen Feind – statt sich weiterhin gegenseitig zu bekämpfen

Festgefügte esoterische Weltbilder sind in der Region eher wenig verbreitet – und wo doch, liegen sie nahe bei den etablierten Kirchen, gleich ob katholisch oder orthodox

Foto: Denis Lovrovic/AFP via Getty Images

No pasarán: Der Gestus klingt dem vorwiegend älteren Publikum noch in den Ohren. „Sie werden keine Kinder impfen!“, ruft der Kundgebungsredner in Zagreb. „Wir geben ihnen keiner Kinder!“, antwortet vielstimmig die Menge. „Die kriminelle Regierung wagt es, die Bürger zu belästigen“, ruft einer vorn von der Tribüne. Demonstranten tragen Bilder von Jesus und der Jungfrau Maria durch die Stadt. Im Internet versorgt ein besorgter Pharmazie-Professor die Impfskeptiker über Facebook Tag für Tag mit neuen Argumenten und Statements gegen die „Pandemie-Mafia“

Das Freiheitspathos, der Hass auf „die da oben“, der Obskurantismus, die schrägen Theorien parawissenschaftlicher Gurus: Alles, was die Szene im Westen auszeichnet, bietet auch die Region auf – in der jeweiligen Landessprache, mit leicht angepassten Feindbildern, gern auch über die Grenzen hinweg. Die extreme Rechte in Kroatien und Serbien, sonst im Hass gegen die je andere vereint, tauscht fleißig ihre Argumente aus. In Slowenien stürmten Anfang September protestierende „Antivaxeri“ die Studios des öffentlichen Fernsehens. In Serbien mobilisieren die rechtsradikale Partei Dveri, die „Volkspatrouille“, das „Vereinigte Volk Serbiens“ und der Verband „Beschützer der Geschäftsleute“ gegen die Einführung von Impfzertifikaten.

Wo die Inzidenz hoch ist, ist auch die Skepsis hoch

Die Instrumente des Konzerts klingen in Ost und West genau gleich. Ungleich größer aber ist im Osten des Kontinents die Resonanz. Während im Westen da die Impfbereitschaft am höchsten ist, wo die Pandemie am stärksten gewütet hat, in Italien oder Portugal, gehen Skepsis und Inzidenz im Osten Hand in Hand. Das kleine Montenegro hat pro Kopf die zweithöchste Infektionsrate der Welt, konnte aber nur gut ein Drittel der Einwohner überzeugen, sich impfen lassen. In Bosnien ist kaum jeder Sechste doppelt geimpft. Katastrophal niedrig sind auch die Zahlen im EU-Land Bulgarien sowie in der Ukraine mit ihren 44 Millionen Einwohnern.

Festgefügte esoterische Weltbilder sind in der Region eher wenig verbreitet – und wo doch, liegen sie nahe bei den etablierten Kirchen, gleich ob katholisch oder orthodox. Die amerikanischen Osteuropa-Experten Kristen Ghodsee und Mitchell. A. Orenstein erklären die massenhafte Impfverweigerung mit ihrer bekannten These: Nirgends ist das „öffentliche Vertrauen“ so gering ausgeprägt wie im Osten Europas. Selbst in den krisenhaften Neunzigerjahren, die der Region eine der schärfsten Rezessionen der Wirtschaftsgeschichte bescherten, gaben in Umfragen deutlich mehr Menschen an, anderen grundsätzlich zu vertrauen, als heute.

Besonders geringes Vertrauen genießen staatliche Institutionen – und gerade dann, wenn sie Wahrheiten verwalten. Während die einen, etwa die die kroatische Vize-Kommissionspräsidentin Dubravka Suica, den Kommunismus für das öffentliche Misstrauen verantwortlich machen, weisen die anderen, wie Ghodsee und Orenstein, der Nachwendezeit die Verantwortung zu. Ein Widerspruch muss das nicht sein: Das hohe soziale Vertrauen, das im Sozialismus herrschte, wurde bei dessen Zusammenbruch womöglich umso schwerer enttäuscht.

Die Regierenden tun wenig, das Zutrauen wiederzugewinnen. Chaos und Korruption zu Beginn der Impfkampagnen, widersprüchliche Ansagen, populistisches Schielen auf Skeptiker tragen weiter zur Unsicherheit bei. Kroatiens Präsident Zoran Milanovic rät zwar zur Impfung, wittert aber in Österreichs Impfpflicht-Plänen Faschismus. In Montenegro verbieten Präsident und Premier zwar öffentliche Versammlungen, nehmen aber an einer Demonstration zu einem anderen Thema teil.

Von Norbert Mappes-Niediek

Südafrika: Der Glaube an „natürliche Immunität“ – und das Misstrauen in die Regierung

Die Impfbereitschaft unter jüngeren Erwachsenen liegt in Südafrika bei gerade mal 35 Prozent. In einem von Korruption erschütterten Staat ist das wohl kein Wunder

Die Hauptgründe der Impfskepsis sind fehlende Informationen sowie mangelndes Vertrauen in die Regierung

Foto: Phill Magakoe/AFP via Getty Images

Nachdem die Omikron-Variante zum ersten Mal sequenziert wurde, mutmaßten manche, ihre Entstehung verdanke sich dem Impfstoffmangel im Globalen Süden. Tatsächlich kam Südafrika erst viel später als Europa an ausreichend Covid-Impfstoff. Heute aber hat Südafrika mehr davon, als momentan verimpft werden kann.

Seit März 2021 wurden 43 Prozent der erwachsenen Bevölkerung erst- und 37 Prozent vollständig geimpft. Von den über 60-Jährigen sind knapp 58 Prozent vollständig geimpft, diese Gruppe macht aber nur neun Prozent der Bevölkerung aus. Impfskepsis ist eher bei jüngeren Erwachsenen zwischen 18 und 34 Jahren verbreitet. Laut einer Afrobarometer-Erhebung von Juli 2021 liegt die Impfbereitschaft in dieser Gruppe nur bei etwa 35 Prozent. Doch auch bei den 35- bis 55-Jährigen gab nur knapp die Hälfte der Befragten an, sich impfen lassen zu wollen.

Die Hauptgründe der Impfskepsis sind fehlende Informationen sowie mangelndes Vertrauen in die Regierung. Zwar gaben 64 Prozent in der Befragung an, dass die Regierung das Corona-Management gut geleistet habe, aber 70 Prozent zweifeln, dass sie auch einen sicheren Impfstoff bereitstellen kann. Dieses Misstrauen wurde verstärkt durch Probleme bei der Impfstoffbeschaffung sowie Missmanagement und Kor­ruption im Gesundheitssektor.

Negativ auf die Impfbereitschaft wirkt zudem das – häufig gezielte – Verbreiten von Fehlinformationen. Viele Menschen glauben nach wie vor, dass eine „natürliche Immu­nität“ oder auch Gebete wirksamer seien als Impfung. Jüngere Menschen haben zudem ein geringeres Risikoempfinden bezüglich eines schweren Verlaufes.

Der Regierung gelang es bislang nicht, Impfskeptiker alters- und adressaten­gerecht anzusprechen. Es gibt jedoch auch positive Beispiele. Im Bergbausektor etwa liegt die Impfquote weit über dem Landesdurchschnitt, weil Arbeitgeber dort Infor­mationen verteilten und Impfungen anboten.

Von Meike Schulze, Melanie Müller

Australien: Die üblichen Parolen stehen auf den Plakaten und die üblichen Verdächtigen am Pranger

Lange konnte Australien die Corona-Leugner und Impfskeptiker auf Abstand halten. Bei einer Impfquote von über 85 Prozent scheinen die auch wenig durch zu kommen – aber ihre Parolen und ihr Vorgehen werden langsam radikaler

Ob der australische Koch, der mächtig bei den Corona-Protesten mitmischt, vegan ist?

Foto: Brook Mitchell/Getty Images

Ein Bergbau-Milliardär, ein gefeuerter TV-Koch, ein ehemaliger Abgeordneter der konservativen Regierungspartei – die prominenten Gesichter der Covid-Proteste in Australien sind eine illustre Mischung, populistisch bis ultra-rechts. Zu Beginn der Pandemie Mitte 2020 machten vor allem QAnon und andere aus den USA importierte Theorien die Runde und verbreiteten die bekannten Verschwörungstheorien zu Bill Gates und “BigPharma”. Demonstrationen gegen Restriktionen blieben mit ein paar Tausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern jedoch meist überschaubar und selten – vermutlich auch, weil die Polizei hart durchgriff, sobald Gesetze gebrochen wurden.

In den vergangenen Wochen haben sich die Zahlen der Protestierenden in den Hauptstädten vervielfacht, die Parolen sind radikaler geworden, auch vor faschistischen Symbolen und offenen Gewaltdrohungen schrecken Demonstrierende nicht zurück. Stargäste sind der Milliardär und Ultrarechte Clive Palmer, Craig Kelly, den die Liberal Party ausschloss, nachdem er Fehlinformationen über Covid verbreitete und Ex-Fernsehkoch Pete Evans. Vor ihnen schwenken Protestierende Plakate, die sowohl Queenslands wie Victorias Regierungschefs gern „hängen“ würden. Westaustraliens Premier nimmt die Aggression der Impfgegner inzwischen ernst: Mark McGowan schloss nicht nur seine Regierungsbüro in Rockingham, er denkt auch darüber nach, sein Zuhause zu verlassen: Wiederholte Morddrohung von Impfgegnern gegen seine Familie sind offenbar mehr als er seinen Kindern zumuten will.

Die Impfquote ist hoch und die Proteste eskalieren

Inzwischen geht es auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken überwiegend ums Impfen - sehr erfolgreich scheinen die Parolen allerdings nicht: 86,7 Prozent der über 16-Jährigen Australier sind voll geimpft, 92 Prozent haben mindestens eine Dosis bekommen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland New South Wales und im Hauptstadtterritorium ist die Quote noch höher. Als radikale Impfgegner gelten – vor wie seit der Pandemie – nur 4 bis 6 Prozent der Australier.

Auch in Melbourne klettert die Impfquote Ende November auf über 90 Prozent. Doch ausgerechnet dort nehmen die Proteste an Schärfe zu und eskalieren – was überrascht: die Fünf- Millionen-Einwohnerstadt im Labour-regierten Victoria, mit sieben Universitäten und vier Grünen im Landesparlament gilt als progressivste Metropole des Kontinents. Andererseits haben die Melbourner besonders gelitten: mit über 260 Tagen verteilt auf sechs Lockdowns brach die Großstadt Buenos Aires’ Rekord vom längsten Lockdown der Welt. Wirtschaftliche und persönliche Einbußen haben die Menschen in Victoria, wo es auch die meisten Corona-Fälle des Kontinents gab, dünnhäutig gemacht. Ein – auch unter Rechtsexperten umstrittenes – geplantes Pandemiegesetz, das Regierungschef und Gesundheitsminister zu Hauptentscheidern machen soll, wird hart bekämpft. Dabei wirken viele Parolen wie aus den USA importiert, Trump-Fahnen sind keine Seltenheit, die rechte Aktivistin Monica Smit bittet im Online-TV des US- Verschwörungstheoretikers Alex Jones Amerika um Hilfe im Kampf gegen die „Tyrannei“.

Aus den USA stammen auch Einflüsse in den indigenen Gemeinden des Landes. Als Mitte November die Impfquote landesweit 81 Prozent erreichte, waren nur 54 Prozent der über 16- Jährigen Aboriginal Einwohner und Torres Strait Insulaner geimpft. Gesundheitsdienste im Northern Territory berichten, dass religiöse Gruppen aus den USA gezielt einige Gemeinden durch Fehlinformation in Panik versetzt oder verunsichert haben. Zugleich haben Victorias Rechte – die sonst kaum für Ureinwohner-Anliegen kämpfen – ihr Herz für die Aboriginal Bevölkerung im Norden entdeckt und verbreiten Falschinformationen über vermeintliche „Zwangsimpfungen“.

Von Julica Jungehülsing

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