Crime Watch

Crime Watch Nr. 133 Vor ein paar Jahren sorgte der tschechische Schriftsteller Milo_ Urban bei uns für wohlwollende, wenn auch leicht verwunderte Aufmerksamkeit mit ...

Vor ein paar Jahren sorgte der tschechische Schriftsteller Milo_ Urban bei uns für wohlwollende, wenn auch leicht verwunderte Aufmerksamkeit mit seinem Roman Die Rache der Baumeister: Eine wohlig-gruslige Mischung aus Krimi und Prager Schauerroman. Also angeschlossen an die deutschsprachige Prager Literatur, irgendwo zwischen Gustav Meyrink, Leo Perutz und Paul Leppin. Das war am Anfang des neuen Jahrtausends für einen Autor des Jahrgangs 1967 eher verwunderlich, vor allem, weil nicht unmittelbar einleuchtete, warum die tschechische Gegenwartsliteratur ausgerechnet auf dieses spezifische Muster rekurrieren sollte. Aber okay.

Das zweite übersetzte Buch von Urban, der Roman Im Dunkel der Kathedrale knüpft an die "Prague Gothic" an, bewegt sich aber schnell in eine andere Richtung, ohne das dominante Element, den Kriminalroman aufzugeben. Im Veitsdom auf dem Hradschin geschehen bizarre Morde - Leute werden gekreuzigt und verstümmelt. Merkwürdige Wesen wie aus einer anderen Welt verbreiten Angst und Schrecken. Wasserspeier und andere Accessoires der gotischen Baukunst sorgen für gothic feelings, das Mittelalter, gesehen mit den Augen des 19. Jahrhunderts, feiert Urständ. Die Effekt-Rumpelkammer voller Heiliger Leiber, allegorischer Figuren, Bauhüttengeheimnissen und Königsgräbern erfüllt das Hier und Heute, als ob´s eine Hollywood-Produktion mit buckligen Glöcknern wär´. Mönche, verräterische Gehilfen, intrigante Kleriker und dubiose Erzdiakone betreiben ihre meuchlerischen Machinationen. Mittendrin tappt die Polizistin Klara Brochová. Sie ist völlig überfordert und verliebt sich gleich in den Mann, der anscheinend im Fokus des ganzen Hokuspokus steht. Der ist Kunsthistoriker, Restaurator, von extrem hübschem Aussehen und obsessiv seiner anscheinend verstorbenen, großen Liebe namens Sidonia verfallen.

Der Mann heißt Roman Rops. Spätestens jetzt klingen alle Glocken, obwohl wir bis zu Seite 173 vorstoßen müssen, bevor Urban endlich ausspricht, was wir schon längst wissen: Dieser Rops ist über eine tiefe Seelenverwandschaft mit Félicien Rops (1833-1898) verbunden. Letzterer war belgischer Maler und Illustrator, eine anrüchige Berühmtheit des 19. Jahrhunderts, befreundet mit Baudelaire, den poètes maudits und anderen üblichen Verdächtigen aus Décadence und Symbolismus. Er war der Pornograph für die feineren Kreise. Spezialität: Blasphemie, also Sex an Kreuz und Altar, Entweihungen aller Arten und als pornographisches Label: Das Schwein. Dazu noch schwer allegorische post-goyaeske Stiche und Radierungen zu Themen um Krankheit, Seuchen und Tod. Rops war notorisch, hatte in den 1980er eine kurze Renaissance und schlummerte dann wieder im kollektiven Gedächtnisgewölbe für Kulturgeschichtliches. Urban nun baut aus den Félicien-Rops´schen Bildwelten mit einer gewissen Penibilität Szenen um seine Figur Roman Rops, mischt ein wenig schwüle präraffealitische Erotik bei, vermittelt über Dante Gabriel Rossettis Porträts flächiger femmes fatales. Am Ende steht der Leser ratlos vor einem tschechischen Revival klerikalen Ferkelkrams mit Mord - eingelegt in einer dieser Mixtur günstig gegenüberstehenden Medienlandschaft, die beim Erscheinen der Originalausgabe 2003 gerade im Klerikal-Thriller-Fieber mit Dan Brown lag.

Heute, 2008 muss man sich jedoch etwas einfallen lassen. Da ist es günstig, dass es auch für dubiose Bücher Multiplikatoren gibt, die ihrer Kundschaft eine "barrierefreie" Plattform zur Verfügung stellen, wo man - wie auf dem Internetportal Krimi-Couch.de - dann Pseudorezensionen lesen kann. Aus Urbans kitsch noir aus dem Geist des Décadence des 19. Jahrhunderts kann so ein historisch akkurater Kriminalroman werden, in dem der "Lufthauch des Mittelalters über die Seiten fegt". Ein ganz toller Kirchenkrimi also. Kirchenkrimis aber sind eine Sparte im spezialisierten Marketing, die, weil es sie als substantiellen Kategorie ernsthafter Weise nicht geben kann, mit Texten gefüllt werden muss. Na, dann ...

MilosŠ Urban Im Dunkel der Kathedrale (Stín Katedrály, 2003). Roman. Deutsch von Sophia Marzolff. München: dtv 2008, 252 S., 9,95 EUR

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