Crime Watch No. 96

Krimi-Kolumne Kriminalliteratur ist, wie fast immer Genre-Literatur, eine multimediale Veranstaltung. Sofern sie tatsächlich Genre-Literatur ist. Schon früh in ...

Kriminalliteratur ist, wie fast immer Genre-Literatur, eine multimediale Veranstaltung. Sofern sie tatsächlich Genre-Literatur ist. Schon früh in ihrer Geschichte stand sie in regem synästhetischem Austausch mit Film, mit Comics, mit Hörspiel und später mit dem Fernsehen und in selteneren Fällen mit dem Theater. Seltsamerweise ist es jedoch schwierig nachzuweisen, wie die einzelnen Beeinflussungs-Vektoren genau verliefen - vom literarischen Text zu den jeweiligen Medien, von den Medien zurück in die Primärtextproduktion.

Ist das "filmische Schreiben", das man seit Hammett Verfassern von Kriminalliteratur gerne unterstellt, eine ästhetische Technik sui generis oder eine Strategie zur multimedialen Verwertbarkeit? Beeinflusst die Tendenz der Filmemacher, unterkomplexe Textvorlagen für die Filmadaption zu bevorzugen, die Prosa-Autoren, auf eine spezifisch literarische Ästhetik des Kriminalromans zu verzichten? Unterstützt ein Comic-Plot, der notwendigerweise verknappend und konzentrierend verfahren muss, produktiv einen Romanautor beim Entwurf seiner Story-Line, die diese Reduktion in Ästhetik und Poesie verwandelt? Fragen über Fragen, die allerdings auch nur gestellt werden können, weil die Synästhesie in unzähligen Fällen unübersehbar ist.

Wenn die Kriminalliteratur aber nicht den Gepflogenheiten von "Genre" entspricht, wenn sie also nicht so sehr von der Variation und dem verlässlichen Abrufen von Plot-Standards und Figuren-Typologien lebt, sondern literarisch funktioniert, wie etwa aktuell bei den Autoren Fred Vargas oder Reginald Hill mit ihrer mäandernden, metaphorisch elaborierten, rhetorisch basierten Prosa, dann geraten die Anschlussmöglichkeiten an andere Medien zumindest schwieriger.

Spätwinterhitze von Frank Klötgen ist ein "interaktiver" Krimi - ein Computerspiel, das Elemente des Narrativen, des Hörspiels, des Comics und der Grafik verbindet, als "Cyberfiction". Der Ich-Erzähler ist der Leser, der Spieler am Computer, der sich durch eine Handlung steuern muss, deren Elemente einem Wirtschaftsthriller entsprechen. Die interaktiven Möglichkeiten des Spielers sind verblüffend vielfältig, aber eben durch die programmierten Optionen endlich, keineswegs ein grenzenloses Spiel der Fantasie. Seine eigene Kreativität ist stets gefesselt an die Möglichkeiten der Technik - und nicht an die Möglichkeiten der Sprache, wie es bei der imaginären Konkretisation von Literatur der Fall ist. Die eigene Vorstellung, die eigene Fantasie, die man an der Handlung entzünden könnte, stößt stets an das nächste vorgegebene Modul, egal, wie viele Optionen angeboten werden.

Und dann passiert folgendes: Wenn man sich in diesem Cyberlabyrinth ein paar Mal für die angebotene Möglichkeit entschieden hat, das Auto zu nehmen anstatt zu Fuß zu gehen, den Anrufbeantworter zu löschen anstatt abzunehmen, dem Dialogpartner das Wort abzuschneiden anstatt ihn ausreden zu lassen, bekommt man Lust, zurückzugehen und die jeweils andere Alternative durchzuspielen. Je öfters man dies treibt, desto uninteressanter wird der Plot. Was der böse, böse Konzern treibt, wie schlimm Mr. Anthrazit ist und wie Kollege Bender tickt, rutscht völlig aus der Wahrnehmung. Gespannt versinkt man in die schöne Schwarzweiß-Grafik, ergötzt sich an den bizarren Sound-Bits die aus den Lautsprechern dringen, freut sich über nette Pop Ups (für die man allerdings seinen Pop-Up-Blocker ausschalten muss, sonst läuft das Spiel nicht) und versinkt rettungslos im Feuerwerk der Gags und Ideen. Spätwinterhitze ist ganz einfach wunderbar gemacht.

Und nach ein paar Stunden Rödeln am Kasten hat man genug gespielt und weiß immer noch nicht, ob man jetzt gewonnen oder verloren hat, oder wie die ganze Chose ausgehen könnte. Will man aber auch gar nicht mehr wissen, weil man sich in der Ästhetik der Oberfläche verloren hat. Danach kommt nichts mehr. Der Krimi hat sich in hübschen Variationen von Standard-Figuren und Standard-Situationen manifestiert; mit Aliens wär´s Science Fiction gewesen, mit Cowboys ein Western, und mit Bergen ein Bergdoktorspiel. Die Zukunft des Krimis ist da nicht zu finden, die Klischees der Vergangenheit purzeln dafür zu Hauf. Der interaktive Krimi benutzt die ausgeleierten Muster des literarischen Kriminalromans, hat aber seinerseits der Kriminalliteratur nichts zu bieten. Das ist aber nicht weiter schlimm - man hat sich ja gut amüsiert.

Frank Klötgen: Spätwinterhitze. Ein interaktiver Krimi. Voland Quist, Dresden Leipzig 2004; CD-Rom, 14, 80 EUR


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