Da fehlen uns die Wörter

Ratgeberei Als würde Bastian Sick nicht reichen, betätigt sich jetzt auch Sascha Lobo mit „Wortschatz. 698 Worte für alle Lebenslagen“ als Sprachpfleger

An den Bestsellerlisten lässt sich ablesen, dass es ein starkes Bedürfnis nach Abhandlungen über die deutsche Sprache gibt. Sascha Lobo, der neu in der Branche ist, erfindet nun „aus keinem anderen Grund als der Verbesserung des Lebens und damit der Welt“ neue Wörter.

Die Klage über einen zu kleinen Wortschatz klingt bei ihm gut kulturkritisch so: „48,9 Prozent ihrer Wachzeit (Schätzwert) beschäftigen sich volljährige Personen in Mitteleuropa mit etwas, das es vor zwanzig Jahren noch nicht gab. Nicht volljährige Personen sind sogar selbst etwas, das es vor zwanzig Jahren noch nicht gab. Ein sicheres Zeichen dafür, dass neue Worte (sic!) dringender benötigt werden als je zuvor.“

Da Lobo ein konstruktiver Schaffer ist, der es nicht beim bloßen Lamento belässt, folgt der Diagnose prompt das Buch mit dem dämlichen Ratgebertitel Wortschatz. 698 neue Worte für alle Lebenslagen. Das Lobosche Œuvre wird damit um eine Klageschrift ergänzt, die nicht zufällig aus einer Kooperation mit der Studentenillu­strierten Neon entstanden ist, deren Autoren so viel von Sprache verstehen wie ihre immatrikulierte Leserschaft.

Lobo braucht für jedes neue Produkt und jedes „neue“ Phänomen ein neues Wort, da ist er sich mit seiner Zunft der Werbetexter einig. Es braucht also unbedingt Wörter wie „Unter-Ich“ – das er als den „Teil des Ichs“ bestimmt, „der für unnützes Herumliegen, übermäßiges Trinken und sonstigen Quatsch zuständig ist“ – und das unvermeidliche „guttenborgen“. Wer will ohne diese Wörter noch die Welt begreifen? „Aber neue Worte erfinden – geht das einfach so?“ wird im Vorwort gefragt, um die Frage mit einem eindeutigen „Najein“ zu beantworten, was Lobo jedoch nicht daran hindert, gleich damit anzufangen. Eckhard Henscheid definierte „Dummdeutsch“ im gleichnamigen Buch als „ausgesuchte Wörter und Wendungen aus folgenden Bereichen: Werbe- und Kommerzdeutsch, Feuilleton- und Professorendeutsch, Psychoszenen-Deutsch der neuen Innerlichkeit, Presse- und Mediendeutsch, Sportdeutsch, regierungsamtliches Deutsch sowie eine Reihe von Spezialfällen [...]“.

Die „Powerpointe“

Lobos Werk liest sich wie die Fortsetzung von Dummdeutsch, mit dem Unterschied, dass Henscheid 1985 Wörter sammelte, die tatsächlich verwendet wurden, um die Verhunzung der Sprache zu dokumentieren. Lobo, als moderner „Dummdeutsch“-Vermehrer, begnügt sich nicht damit, er muss gleich 698 neue Wörter erfinden. Dokumentierte Henscheid noch Wörter wie „Multifunktions-System“, „Ein Mehr an“ und „Denkanstoß“, beglückt Lobo die Welt jetzt mit Worterfindungen wie „Halbja“, „Powerpointe“ oder „postprimärkoitales Peinlichkeitsprinzip“, die in ihrem Stumpfsinn alle das Potenzial zum „Wort des Jahres“ haben. „Von Beginn an war Sprache ein Evolutionsvorteil“, heißt es im Vorwort. Wer würde dem Worterfinder diesen Evolutionsvorteil nicht gönnen? Wer so redet und schreibt wie Lobo, der hat im Überlebenskampf die Qual der Wahl zwischen Leitartikelschreiber, Politiker und Werbetexter. Im Zweifel gibt es dann noch die Option, die Talkrunden zu bereichern.

Wo es nicht um den Begriff, sondern ums Aufblähen der Sprache geht, um möglichst wichtig daherreden zu können, muss man auch nicht darüber nachdenken, was Sprache mit Fantasie zu tun haben könnte. Denn die ist für Lobo bestimmt auch nur ein Wort, das man schon bald entsorgen kann, um es durch ein neues, ganz modern nach Web 2.0 klingendes zu ersetzen. So wird es bestimmt nicht lange dauern, bis Lobos Follower die 698 Wörter in ihren Wortschatz integriert und in „kreative“ Phrasen verwandelt haben. Wenig verwundert es, dass man sich auch an den Universitäten gerne mit Sprache beschäftigt. So empfiehlt die Internetseite des Studiengangs „B. A. Sprache und Kommunikation“ an der Universität Marburg dem interessierten Akademikernachwuchs – der eine große Schnittmenge zu Lobos Publikum aufweisen dürfte – unter dem Titel „Woran Sie einfach Spaß haben können“ Bastian Sick zur Lektüre, nicht ohne zu warnen: „Wenn Sie Bastian Sick für einen besserwisserischen Langweiler halten, werden Sie möglicherweise auch an manchen Themen dieses Studienganges wenig Freude finden.“

Ein Hinweis, der bald mit dem Namen Lobo ergänzt werden dürfte. So lange man inner- und außerhalb der Universitäten mit der Sprache „einfach Spaß haben“ will, macht Deutschland niemand so schnell den Titel „Sprachpapst“ streitig.

Wortschatz. 698 Worte für alle LebenslagenSascha Lobo/Neon, Rowohlt 2011, 192 S., 8,99

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