Für die meisten konventionellen Landwirte war Glyphosat jahrzehntelang ein Wirkstoff wie jeder andere. Das Totalherbizid aus dem Hause Monsanto war günstig, zuverlässig und galt sogar als besonders harmlos. „Glyphosat unterbricht die Photosynthese, also das Pflanzenwachstum. Es wirkt also nicht als Gift“, hat Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, jüngst einem MDR-Journalisten erklärt und fast entschuldigend hinzugefügt: „Deshalb sind wir als Landwirte auch immer davon ausgegangen, dass das ein besonders schonendes Pflanzenschutzmittel ist.“
Pflanzenschutzmittel ist ein merkwürdiges Wort für einen Stoff, der alle Pflanzen tötet, die ihn aufnehmen, doch genau deshalb können die Landwirte es so gut gebrauchen: Zum Beispiel wenn Getreide so ungleichmäßig gereift ist, dass der Mähdrescher es nur schwer ernten kann. Dann besprühen die Landwirte das Getreide mit Glyphosat, was alle Pflanzen absterben – also reifen – lässt: Die Ernte ist gerettet. Diese Praxis, Sikkation genannt, ist seit 2014 nur noch in Ausnahmefällen erlaubt.
Am häufigsten wird Glyphosat in Deutschland in der konservierenden Bodenbearbeitung eingesetzt. Das ist eine neue Ackerbautechnik, bei der die Landwirte den Acker nicht mehr tief umpflügen, sondern nur oberflächlich bearbeiten, bevor sie die neue Saat in den Boden bringen. Das schützt den Boden, sagen die Berater, spart Energie und hilft deshalb dem Klima. Der Nachteil: Ohne Pflug gedeihen die Unkräuter besonders gut. Hier hilft Glyphosat wie kein anderes Mittel: Eine einzige Behandlung tötet alle Unkräuter, bevor die neuen Samen in den Boden kommen. Ohne Glyphosat wäre die konservierende Bodenbearbeitung sehr viel komplizierter, wenn nicht sogar unmöglich. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass Monsanto immer wieder als Förderer dieser Landwirtschaft ohne Pflug in Erscheinung tritt.
Deshalb haben viele Landwirte Glyphosat als Baustein einer guten ackerbaulichen Praxis wahrgenommen. Umso erstaunter waren sie, als die öffentliche Debatte über das Mittel als schlimmstes Ackergift und Todesbringer über sie hereinbrach.
Unreifes Getreide
Aus Sicht der Verbraucher wiederum ist diese Einschätzung nur folgerichtig: Sie kennen Glyphosat als das wichtigste Pflanzengift des US-Konzerns Monsanto, das die weltweite Verbreitung der Gentechnik auf dem Acker überhaupt erst möglich gemacht hat. Monsanto, das nach einer Reihe von kritischen Veröffentlichungen bei Globalisierungskritikern als Inkarnation des Bösen gilt, hat Pflanzen, vor allem Mais und Soja, gentechnisch so manipuliert, dass sie die Behandlung mit Glyphosat überleben. Monsanto vertreibt dieses Saatgut im Doppelpack mit Glyphosat unter dem eingängigen Namen Roundup und Roundup Ready. Man kann das als Paradigmenwechsel im Ackerbau bezeichnen: Die neue Technik hat das Ackern extrem vereinfacht, sozusagen idiotensicher gemacht: Vorher spritzten die Farmer präzise gegen die Unkräuter, die ihre Pflanzen zu überwuchern drohten. Heute tötet der Gentechnikfarmer mit Glyphosat alles, was auf seinen riesigen Feldern lebt – und nur die genmanipulierten Pflanzen überleben die Giftdusche. Lazy Farmer Soy wird diese Technik in Brasilien genannt, die Sojabohne für die faulen Farmer.
Es gibt dramatische Berichte aus Argentinien, wo Glyphosat oft mit Flugzeugen versprüht wird. In den Dörfern am Rande der Felder häufen sich Todesfälle, Krebserkrankungen und qualvolle Missbildungen. Es ist schwer nachzuweisen, ob Glyphosat dafür verantwortlich ist oder auch das inzwischen verbotene Insektizid Endosulfan oder doch ganz andere Stoffe – doch viele Wissenschaftler halten das für wahrscheinlich. Roundup-Ready-Saatgut ist in Deutschland nicht zugelassen und die meisten Landwirte wollen es auch nicht anbauen. Doch auf Glyphosat verzichten wollen sie ebenso wenig. „Glyphosat ist nicht das Zentralatom des Ackerbaus“, sagt Anna Luetgebrune, die 450 Hektar Ackerland in Lippe und im Weserbergland bewirtschaftet. „Aber ein Mosaik im System. Wir brauchen es für ein vernünftiges Resistenzmanagement, denn es ist wichtig, viele verschiedene Wirkstoffe zu haben.“ Sie hat die Superunkräuter in den Soja-Monokulturen Brasiliens gesehen, die durch den jahrelangen Dauereinsatz resistent gegen Glyphosat geworden und nun kaum mehr zu bekämpfen sind. Um solch eine Resistenzbildung auf ihren Feldern zu vermeiden, kombiniert sie verschiedene Mittel, Glyphosat inklusive, das aber nur vor der Aussaat. Zur Sikkation würde sie es jetzt nicht mehr verwenden, sagt sie. Die allermeisten Landwirte in Deutschland gingen verantwortungsvoll mit Pflanzenschutzmitteln um, ist sie überzeugt. Doch jüngsten Meldungen über Glyphosat-Rückstände scheinen auch sie verunsichert zu haben.
Ohne die hartnäckige und unerschrockene Leipziger Professorin Monika Krüger, bis 2013 Direktorin des Instituts für Bakteriologie der tiermedizinischen Fakultät der Uni Leipzig, wäre es vermutlich nicht ans Licht gekommen, dass viele Menschen in Deutschland Glyphosat im Körper haben. Denn keine staatliche Institution hat überprüft, ob sich Glyphosat auf den deutschen Äckern wirklich so schnell abbaut, wie die Hersteller behaupten. Solche Tests sind nicht vorgeschrieben. Krüger nahm vierzig Urinproben von Menschen, die nicht mit Landwirtschaft oder Gärtnerei zu tun hatten, und entdeckte Glyphosat in jeder Probe. Im Mai 2015 ließ die Grünen-Bundestagsfraktion um den Gentechniksprecher Harald Ebner die Milch stillender Mütter untersuchen und fand auch Glyphosat, ausnahmslos in jeder Probe.
Die Bürgerinitiative Landwende aus Klein Jasedow im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern warnt schon seit Jahren vor den Giften auf dem Acker. Sie hat sich vor einigen Jahren als Reaktion auf eine Reihe von Herbizidvergiftungen gegründet und hält es für skandalös, dass die deutschen Behörden die Glyphosat-Belastung der Menschen nicht längst systematisch untersuchen. Deshalb hat die Initiative jetzt zur „Urinale 2015“ aufgerufen: Möglichst viele Bürger sollen Urinproben zum Test auf Glyphosat einschicken.
In Blut und Muttermilch
Die deutschen Behörden bringt diese Gemengelage in eine schwierige Lage: Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC, die Glyphosat vor kurzem als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hatte, gilt unter Fachleuten als sehr renommiert und zuverlässig. Gleichzeitig häuft sich die Kritik am methodischen Vorgehen des Bundesinstituts für Risikoforschung, das Glyphosat für ungefährlich hält und der EU die Wiederzulassung empfohlen hat.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bewertet dieses Zulassungsverfahren als „mangelhaft“: Denn die Hersteller selbst dürfen die Länder auswählen, in denen sie ihre Wirkstoffe prüfen lassen. Die Studien dazu liefern sie zum größten Teil selbst, gewähren aber unabhängigen Wissenschaftlern keinen Einblick. „Das ist politischer Wille“, vermutet Heide Moldenhauer vom BUND, „dass in Deutschland, dem Land der Chemieindustrie, bestimmte Stoffe großzügig beurteilt werden.“ Denn auch die deutsche Industrie hat großes Interesse daran, dass die Geschäfte mit Glyphosat nicht gestoppt werden: Seit der Patentschutz für den Pflanzenkiller ausgelaufen sind, produzieren weitere Unternehmen neben Monsanto den umstrittenen Stoff. Zu den größten gehören die deutschen Konzerne Bayer und BASF, denen eine Prüfung im eigenen Land natürlich gelegen kommt. Ohne die vernichtende Bewertung des IARC konnten sie sich gute Chancen auf eine reibungslose Neuzulassung von Glyphosat ausrechnen. Jetzt muss neu bewertet und geurteilt werden – und solange darf Glyphosat erst einmal weiter verwendet werden, unter Missachtung des Vorsorgeprinzips. Das macht misstrauisch.
Für Heike Moldenhauer zeigt der Fall Glyphosat, dass das System der industriellen Landwirtschaft insgesamt an seine Grenzen stößt, ein System, das auf absolute Kontrolle durch Agrarchemie setzt - und neue ökologische Kenntnisse außer Acht lässt. In den letzten Jahren haben Agrarökologen und Bodenforscher neue Erkenntnisse über das komplexe Zusammenspiel von Pilzen, Pflanzen und Mikroorganismen im Boden gewonnen. Ausgerechnet jetzt, wo sie beginnen, das Wunder der Pflanzenkommunikation durch chemische Botenstoffe im Boden zu verstehen, hat setzt sich in weiten Teilen der Welt und auf den fruchtbarsten Äckern das Prinzip der verbrannten Erde als ackerbauliche Praxis durch. Ein Verbot von Glyphosat könnte helfen, diese agrarökologischen Erkenntnisse in die Praxis zu bringen.
Kommentare 15
Danke für den Beitrag.
Ja, es ist ein Elend, eine nie endende Geschichte . In dem Zusammenhang nöchte auf die m.E. gute Website der netzfrauen.org hinweisen, die sich der Themen auch gerne liebevoll annehmen.
wer es lieber als Video mag: http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/die_story/videogiftimackerglyphosatdieunterschaetztegefahr100.html
Dieser Artikel zu Glyphosat, -das Thema ist wahrlich keine leichte, sonst eher staubtrockene Angelegenheit, wenn man die verschachtelte Welt der heutigen Argarsystem- Landwirtschaft durchschauen und vorstellen will-, liest sich, trotz seiner inhaltlichen Präzision, wie frisches Quellwasser schmeckt: Sauber!
Das haben Sie einfach prima hinbekommen und ich war schon ganz angetan vom dF-Druckergebnis. Vielen Dank, Frau Busse.
Ja, Glyphosat ist weltweit das Marktführer- Produkt bei den Totalherbiziden und hat seinen Bayer Konkurrenten, das Glufosinat (Basta(R), Liberty(R)), das chemisch etwas weniger trickreich in den Stoffwechsel der Pflanzen eingreift und nach den Biotests auch etwas stärker akut toxisch wirkt (LD- Dosen), deutlich überflügelt.
Leider ist zu befürchten, dass mit der weiteren globalen Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen, die Herbizide werden ja mittlerweile alle als Agrosystemprodukte vertrieben, sich die Anwendungen noch weiter steigern. Ein Ende, vor allem da, wo gar kein etablierter, öffentlicher Widerstand gegen die Industrie organisiert ist, kann nicht abgesehen werden.
Kommen TTIP und CETA (Abkommen mit Kanada, als Einfallstor), dann lässt sich, ohne Entschädigung der Firmen, kaum noch verhindern, dass die so beliebten Gebinde mit den gentechnisch veränderten Pflanzen und "Schutzmitteln" bei uns in den Handel kommen und auch flächendekcend angebaut werden. Schließlich sind diese Pflanzen oftmals fast allein Marktführer auf den Äckern beider Amerika und Indiens, zunehmend auch in Afrika.
Es gibt eben die typischen Gentech- Hybride für Weizen, Mais, Soja, Reis, Raps, die übrigens nicht nur Resistenzgene enthalten, sondern auch für die besondere Anbauform, die Sie so gut und knapp beschrieben haben, die "konservierende Bodenbearbeitung", optimiert wurden (Kurzhalmigkeit, Wurzelbildung, Nährstoffaufnahme).
" Denn keine staatliche Institution hat überprüft, ob sich Glyphosat auf den deutschen Äckern wirklich so schnell abbaut, wie die Hersteller behaupten. Solche Tests sind nicht vorgeschrieben." - Ein Hoch auf Frau Professor Krüger und ihr Team, die das nun trotzdem schon länger und wissenschaftlich belastbar überprüft. - Dafür braucht es Drittmittel- unabhängige oder durch neutrale Stiftungen gesicherte, öffentliche Forschung.
Allerdings gab es, vom Anfang der Totalherbizid-Produktion an, immer wieder Kritik der NGOs, besonders des BUND, denn chemisch ist klar, dass das sehr gut wasserlösliche Glyphosat, sonst könnte man es kaum ausbringen und es dränge nicht in die Pflanzen ein (Netzmittel ist eine zusätzliche Hilfe), nicht so schnell abbaut, wie behauptet wurde (Adsorbtionseffekte).
Trotzdem hatte das Agrarministerium, auch in der Vergangenheit unter Renate Künast, entschieden gegen die Umweltverbände argumentiert.
Sehr wichtig ist ihr Hinweis, dass keineswegs nur der Mensch eventuell durch eine erhöhte Karzinomrate gefährdet ist, -das ist, weil Krebs eben ein medial und öffentlich anerkanntes Gefahrsymbol darstellt-, sondern die Ökosystemgrundlagen massiv verändert werden.
Beste Grüße und nur weiter so
Christoph Leusch
Canal Plus, ein Bluff und die Folgen: Monsanto Vertreter und sein Eigentor:
https://youtu.be/ovKw6YjqSfM
Sehr guter Artikel, vielen Dank dafür. Was mich beirrt ist die Tatsache, dass - wenn das Thema Glyphosat vom Tisch ist - sich gleich ein neues auftut. Mit anderen Worten: positiv ausgedrückt bauen wir uns gerade eine neue Welt, weil die alte nicht ausreicht; negativ ausgedrückt vernichten wir derzeit die natürlichen biologischen Prozesse unseres Planeten - ohne zu wissen, wohin das führt. Ausblicke von depressiven Menschen gibt es zu hauf. Aber die Tatsache, dass Paprikasorten (und andere Gemüse) patentiert werden können und somit einem Konzern "gehören", muss man ersteinmal sacken lassen. Und das wir (die Welt) nur genug Nahrung haben, wenn wir die üblichen biologischen Prozesse in unserem Sinne optimieren, gleichzeitig uns aber vergiften, das erinnert schon an den ein oder anderen Katastrophenfilm, in dem man die 80 Jahre nur noch als Zombie erlebt. Wir nähern uns an...
Das stimmt nicht ganz, Jo.
Wir haben derzeit eine Welt, die viel mehr essbare Kalorien produziert, als für die gute Ernährung aller lebender Menschen gebraucht wird. Wir könnten, als Weltgemeinschaft agierend, sowohl die Verteilung hinbekommen, als auch unsere demografischen Zukunftsprobleme vernünftig angehen.
Das alles, ist aus ökonomischen Gründen nicht sehr erwünscht, weil dann tatsächlich hier bei uns, im größer gewordenen Westen, nicht mehr der Profit des Ist- Zustandes abfiele, für ganz andere Dinge, die mit Landschaft, Landwirtschaft, Konsum, Verbrauch, pp., zu tun haben.
Ein zweiter Aspekt tritt hinzu: Die Agrarrevolution mit den exorbitanten Ertragssteigerungen bei Nutzpflanzen setzte vor der Implementierung der gentechnisch veränderten und patentierten Saaten ein (der agrarbiologische Trick heißt konventionelle Hybridisierung), und auch schon zu diesem Zeitpunkt hatte die Welt immer ausreichend Kalorien und sogar qualitativ genug wertige Nahrungsmittel. Nur die Verteilung über profit- und konsumorientierte Märkte funktionierte nie.
In Spanien verglich man z.B. die Erträge hybridisierter Maiskulturen und solcher, die aus gentechnisch veränderten und patentierten Hybridmaisarten bestanden. Die GV-Ernten fielen nicht wesentlich besser aus, in manchen Fällen sogar schlechter.
Beste Grüße
Christoph Leusch
andererseits: die Forschungsabteilung von Monsanto hat gar keine Labore - alles sauber outgesourced.
step two:
Monsanto hat sich btw die Herstellungsverfahren von Basmati-Reis patentieren lassen.
Ergo: Monsanto wirkt stark interessiert an TTIP.
aber wen interessiert sowas?
mal ehrlich
Monsanto ist ein Lizenzladen, den man notfalls auch von einem einzigen Laptop steuern könnte.
So: und nun ihr...
Vllt nochmal blättern in Alexis de Tocqueville: "Über die Demokratie in Amerika".
VW erfährt gerade wie das so ist mit der Demokratie in Europa.
Irgendwie denke ich grad wieder an Sun Tsu - warum nur
monsanto-holt-sich-kurzzeitig-blaues-auge-ab
Passt doch.
;-)
Toller Artikel!
Zu dem Thema kann ich die Dokumenten "Unser täglich Gift" empfehlen:
https://www.youtube.com/watch?v=-3-pi_8w6K8
Monsanto hat in der Vergangenheit gezeigt, wie genehme wissenschaftliche Ergebnisse zustandekommen:
Einer der wichtigsten britischen Forscher im Bereich Chemie und Gesundheit, Sir Richard Doll, erhielt von Monsanto seit 1979 1.500 Dollar pro Tag (!) für "Consulting".
Monsanto hatte u.a. auch das im Vietnamkrieg eingesetzte "Agent Orange" hergestellt. Erkrankte Kriegsveteranen hatten ihre Regierungen damals auf Schadenersatz verklagt.
Dolls Gutachten trugen zur Ablehnung dieser Forderungen bei.
Danke für diesen Artikel und die Kommentare
TTIP müsste gestoppt werden. Direkte Demokratie anstreben.
Glyphosat ist dann doch nicht krebserregend. Wie kann das sein? Die Netzfrauen geben eine Antwort.