Die wörtliche Übersetzung von „After the Fact“ ist nicht „nach den Tatsachen“, sondern einfach „nachträglich“ oder sogar, kriminalistisch, „nach der Tat“. Auch das deutsche „Beihilfe leisten“ spielt dabei eine Rolle. Das Verbrechen ist bereits geschehen; in den Tatsachen steckt etwas Unwiderrufliches. Der Tod hat zugeschlagen. Aber dieses „after the fact“ ist im allgemeinen Sprachgebrauch auch zu einem Mem mutiert. „All after the fact“ spottet man über jemanden, der etwas gesagt hat, was zu seiner zeitlichen Erscheinung so kolossal wie drastisch daneben, verspätet, blöd oder sinnlos ist. Ist die Kunst „after the fact“?
Zweifellos ist die Kunst, was das Politische anbelangt, insofern blöd dran, weil sie immer zu früh oder zu spät kommt. Das Gegenwärtige ist der für sie schwierigste Raum, und man weiß auch nicht recht, ob sie sich wirklich darin wohlfühlt.
Was „after the fact“ ist, das ist also zum Geschehen zeitversetzt und daher auf die eine oder auf die andere Weise falsch. Propaganda, Reklame und Pop sind definitiv „after the fact“. Aber ebenso könnte man sagen, sie seien „before the fact“, was in etwa anstiften bedeutet, ein Vorfeld bereiten oder etwas beobachten, bevor das (unabdingbare) Ereignis eintritt.
Personenkult à la Mao
Wenn before und after nur stark genug ausgeprägt sind, dann kommt es auf den eigentlichen fact gar nicht mehr an. In einer medialisierten Gesellschaft lebt man letztlich immer in Vorfeldern und Echokammern, oder anders gesagt: Before und after the fact sind so stark, dass diese den Fakt eigentlich erst generieren. Wie „wirklich“ der Fakt dann noch ist, spielt in einem diesbezüglich ge- und verformten Bewusstsein keine Rolle mehr.
Und genau das ist natürlich ein Thema für die Kunst.
Was gibt es zu sehen? Vor der Kunst immer den Raum, in dem sie sich zeigen wird. Der Kunstbau in München ist eine Dependance der städtischen Galerie im Lenbachhaus und den eher heftigen oder kontroversen Themen gewidmet. Ursprünglich ist es ein Zwischengeschoss der U-Bahn-Station, ein etwas schlauchartiger Betonbau mit einer sehr langen Rampe am Eingang. Ein Museum, das nicht in Gefahr ist, sich selbst zu feiern.
Der lange Gang wurde für die Schau After the Fact: Kunst und Propaganda im 21. Jahrhundert durch schwarze Trennwände verwabt und in thematische Sektionen gegliedert. Die große Linie verstrahlt sich und man kann sich auf die einzelnen Werke einlassen, wie etwa Filme von Harun Farocki oder die Malereien von John Miller aus der Serie Everything Is Said: Acrylbilder auf Leinwand, die Szenen aus früheren Reality-TV-Shows zeigen. Einen eigenen Artikel wäre Coco Fuscos wirklich grandiose persönliche Auseinandersetzung mit dem „War on Terror“ wert, A Room of One’s Own: Women and Power in the New America. Man pendelt zwischen diesen sehr offenen Betrachtungen der größeren Installationen und den eher intimen Nischen; so geht es zu, in Transiträumen.
Im weitesten Sinne des Wortes ist Propaganda das Thema dieser Ausstellung. Alle Arbeiten sind vergleichsweise neu; hier geht es nicht um eine Rückschau, sondern um gegenwärtige Möglichkeiten des Eingriffs. Unter Propagart könnte man das Kapern von Bildwelten der Propaganda durch die Kunst begreifen – eine Umformung, Reflexion und Neu-Adressierung. Das kann so schlicht und doch überwältigend „richtig“ sein wie bei Samuel Fosso, der sich selbst in die propagandistischen Bilder des Personenkults à la Mao hinein malt, oder wie bei Hans-Peter Feldmann, der Titelbilder von Zeitungen aus aller Welt vom Tag des Anschlags auf das World Trade Center nebeneinander hängt.
Eine der letzten Arbeiten der Ausstellung ist die Installation May 1st, 2011 von Alfredo Jaar aus Chile. Auf einem Bildschirm sehen wir das Bild, das nach der Tötung von Osama bin Laden um die Welt ging: Obama und seine Regierung gebannt um einen Bildschirm. Das könnte so weitergehen. Ich, der ich denen zusehe, die denen zusehen, die Osama bin Laden getötet haben … After the fact.
Mit Diskurs-Ausstellungen ist es so eine Sache. Nennen wir solche Themen-Inszenierungen einmal so, die „brennende Probleme“ oder aktuelle Diskussionen aufnehmen, um in der Konfrontation von Kunst und Dokument zu Erkenntnissen zu kommen, denen man mit umfangreichen Beschriftungen und noch umfangreicheren Katalogen auf die Sprünge helfen will. Wenn solche Diskurs-Ausstellungen dann noch Schlagworte wie „Fake News“ oder „post truth“ aufgreifen, verschwimmen die Begriffe von Ausstellung (das öffentliche Zur-Diskussion-Stellen eines Kunstwerkes) und Darstellung (die Illustration von Sachverhalten beziehungsweise Erklärungsversuche).
Mikrofone und Dildos
Ein bisschen schwiemelig wird es dann immer, wenn jemand erklärt, was der Künstler oder die Künstlerin denn nun gemeint habe, wofür oder wogegen er oder sie sich in ihrem Werk ausspreche. So heißt es zur Installation The Lugubrious Game von John Miller, die Stehpulte mit Mikrofonen um einen Haufen mit Dildos, Tageszeitungen, Geldscheinen und so weiter gruppiert, sie ziele „auf gesellschaftliche Formen von Sublimierung im Spätkapitalismus“ ab und zeige „die Gameshow, das öffentliche Ringen um Reichtum und Berühmtheit, als eine eher bescheidene Maskierung unserer psycho-sexuellen und narzisstischen Triebe“, und da möchte man doch gern sagen: Nö! Hier hat ein Künstler Stehpulte mit Mikrofonen um einen Haufen Dildos, Tageszeitungen, Geldscheine und so weiter gruppiert, alles andere mache ich selber mit dem Kunstwerk und dem Rest der Welt ab.
Platt gesagt – und als großer Fan der Begegnung von Kunst, Theorie und Kritik: Eine Diskurs-Ausstellung sollte den Diskurs ermöglichen, ihn aber weder ersetzen noch vorwegnehmen.
Das soll imÜbrigen keine Kritik an der Kuratorin und ihrem Team sein, die, wie ich finde, einen guten Job gemacht haben, sondern die Frage ein wenig schärfen, was uns als Zuschauer hier erwartet. Eine solche Engführung stuft die Kunst ja beinahe selber zur Propaganda herab. Das ist kein von vorneherein widersinniges Verfahren, denn was diese Ausstellung ja höchst lobenswert schafft, das ist, „Propaganda“ aus der ideologisch verengten Funktion in „totalitären“ Staaten zu befreien. Ein erweiterter Blick auf Propaganda, der sich noch nicht gleich wieder in Ideologieproduktion und Unterhaltungsindustrie auflöst, ist durchaus vonnöten.
Der inszenierte Diskurs auf der einen Seite, die Propagart als Akt der ikonischen Piraterie und der „Artivism“ auf der anderen – die Verbindung also von politischer Aktion und künstlerischem Ausdruck – bringen uns vielleicht auf eine tiefere Frage, was den Zusammenhang zwischen Politik und Kunst, derzeit, anbelangt.
Politische Kunst ist weder eine ästhetische Form von Statement und Eingriff, noch selber eine mehr oder weniger avantgardistische Form von Propaganda (für die gute Sache); sie kann beides immer nur auch sein, wenn sie es aber nur ist, dann ist sie keine Kunst mehr. Eine verzwickte Sache, und seit es die Idee einer politischen Kunst gibt (also „schon immer“), führt sie uns in strategische wie theoretische Sackgassen.
Man kann auf der einen Seite behaupten, Kunst sei eben genau das, was über die Interessen ihrer Auftraggeber, Käufer und Verwalter hinausgehe, sie muss sich also vom politischen Interesse in ihrer eigenen politischen Ökonomie befreien, und da sie keine wirkliche Macht erzeugt, kann sie es nur mit den Mitteln der Subversion, der Verfremdung, der Ironie, oder aber der Transzendierung, der Spiritualität, und vielem, vielem mehr.
Was das anbelangt, gibt es in dieser Ausstellung wirklich eine Menge auf- und anregender Dinge zu sehen. Man darf sie eben nur nicht als Ansammlung von Statements, von Haltungen und Positionen, und wie man das sonst so umschreibt, betrachten, sondern als Versuchsanordnung einer Selbstbefreiung. Kunst, in Zusammenarbeit von Produzenten, Vermittlern und Adressaten, ist in der Lage, das Gegenteil von Propaganda zu werden. Natürlich auch und gerade in der Auseinandersetzung, der Übernahme, der Infiltration, der Dekonstruktion von Propaganda. Wo es Propaganda gibt, da hilft nur Kunst. And that’s a fact.
Info
After the Fact – Propaganda im 21. Jahrhundert Lenbachhaus Kunstbau München, bis 17. September
Kommentare 3
konzentrierender personen-kult in autoritären regimen,
star-kult und idol-verehrung
als moment einer kultur der zerstreuung,
die in fan- und sub-kulturen halte-punkte entwickelt:
propagierte aber auch ersehnte bild-haftigkeit,
die reflektion einfriert, stand-bilder feiert,
identifikation als angebot oder verordnet:
die suche nach eigen-art abbricht.
Ist gleich ohne weiterführende neue Inspirationen keine kein Platz in der Zukunft für die Spezies Mensch???
Ein Fall für die drei ???
Baustein1:
Warum soviele Worte, wenn der Film schlecht ist??? Es reicht doch: Gehen Sie nicht ins Kino, sehen Sie sich diesen Film nicht an, er bietet keine weiterführenden Inspirationen, geben Sie Ihr Geld anders, für Sie persönlich gewinnbringender aus.
Baustein2:
Mein Traum den ich verfolge, oder ist es schon ein Trauma geworden das mich verfolgt, wie eine dunkle Wolke und ja es gibt auch schöne Momente in dieser Wolke, wo Raum, Zeit und Idee zusammenpassen und sich als Inspiration für das kollektive Bewusstsein integriert. Und den Ursprung dieser Manipulation kennt keiner, außer Heiner denn der weiß, dass dies über die Sprachverformung geht.
Baustein3:
Ich Antworte mal als Heiner und sein inspirativer Geist zur Kreativität mit Sprache.
Leider kann ich auf den Straßen keine weiterführende geistreiche Inspirationen erkennen. Alles was sich zeigt ist das sich Gruppen, Menschen die sich in Mehrzahl oder Überzahl befinden, sich gegen einzelne, oder diejenigen die man in seiner geistigen Ordnung nicht haben will, sich absichtlich in den Weg stellen und diejenigen die man für anders hält, in Ihren geistigen wie körperlichen Bewegung zu behindern versucht. Hier zeigen sich Anzeichen von einem Denken was sich ein Übergang erbaut um Bewusstsein zu werden, das die Geister von 1933 wieder aufwecken möchte. Ich weiß jetzt nicht ob die nach Beachtung und Hallo wir sind auch da schreien und weil wir jetzt gerade mehr sind, haben wir auch das Recht auf unserer Seite für das was wir gerade im Moment und in dieser Situation sagen und tun streben.
Das ist Sprachverformung im Aggressiven Modus als Einschüchterung. Diese Einschüchterung vollzieht sich auch an die eigen "Biodeutschen" Mitbürgern. Biodeutsch das ist ein bescheuerter Begriff, doch weiß jeder was damit gemeint ist. Das alles ist riesengroße Scheiße die hier stattfindet. Wenn über eine Sprachverformung keine geistigen positiven Inspirationen mehr entstehen können, dann zeugt das von geistiger Armut und führt zu einer Gesellschaft die wir alle nicht haben wollen.
Bringen wir jetzt diese geistige Haltung auf die Straße und unseren Verkehr mit Autos von und hin zur Arbeit als Arbeit bzw. der Eigentransport von meiner Person in verschwenderischen Egoistischen Modus einer gelebten Auffassung von, ich habe immer Recht Phantasie in meiner Ignoranzkabine die die Welt bedeutet, bis hin in den Schulen, den Arbeitsstätten und im Familiären Alltag getragen wird wie der heilige Gral, dann hat Heiner keine Chance mit neuen Ideen, um über Sprachverformung neues geistiges Potenzial bei den Mitbürgern anzuregen. Die Unterhaltung die man sich dann aussucht hilft für eine Bestätigung seiner eigenen Denkphilosophie die man dann als bewusstes richtiges Sein empfindet.
Was machen dann diese Bürger wenn jetzt das Autonome Fahren diese Denke überflüssig werden lässt und jeder mit dieser Denke schon im Gefängnis steckt, da man ja über das Nebengesetz ja schon im vornherein als Kleinkriminell bezeichnet wird und solche Vorfälle dann als Kriminell eingestuft werden?Was für Verformungen des menschlichen Verhaltens werden da auf uns zukommen? Das weiß nicht mal Heiner.Bei einem anderen Artikel da wird auch fleißig über das Thema geredet: Wie entsteht eine Denke? Über Sprachverformungen, Verformung der Realität, Verformung der Lügen und Verformung der Einkleidungen und Hüllen für Blasen, wie auch die Verkaufbarkeit durch Sex . Wie gesagt, dass Auto lässt auch eine Denke in verschiedenste Richtungen entstehen. Das Wort Denke führt eher zum Ziel um neue positive Lösungsansätze erarbeiten zu können. Das Wort denken kann man mit einem Arbeitsprozess gleichsetzen und Arbeit als Prozess für ein Leben wollen wir ja alle ausüben da es uns ja kreativ beflügelt.
Baustein4:
Trend, Fashion, Mode, Film, Musik, Kunst, die Kultur allgemein, die Arbeit mit Inspirationen um über Sprachverformungen, die auch etwas Pubertär sein können, neue Impulse zu setzen, damit Zukunftsorientierte Denke (Philosophie) in ein denken als Arbeitsprozess übergehen kann und uns motiviert und antreibt zu einem Glauben hin, dass immer alles ins unendliche wächst. Tja, bis zum tipping point. Da kommt dann die Verdrängung.
Hat jetzt diese im Alltag vorherrschende fehlgeleitete Denke einer aggressiven Haltung durch unseres Denken aus Angst wir könnten den Glauben an unsere Gewohnheiten verlieren, oder unsere Gewohnheiten verlieren Ihren anhaftenden Glauben und das gewohnte zerfällt in lästige schmerzende Nebenerscheinungen und wir erkranken im geistigen Sinn, da wir in uns keine neuen weiterführende Inspirationen in uns tragen um neue Wege zu Lebensbejahenden Motivationen einschlagen zu können.
Diese Einfallslosigkeit macht rote Augen und wir werden dadurch noch aggressiver. Hallo Heuschrecke sei gegrüßt, du verwandelst dich ja auch von friedfertigen Einzelgänger in aggressiven Kannibale. Wirst Gelb in deiner Fashion und bekommst rote Augen.
Doch wohin mit dieser Wut als Energie, die ja selbst verschuldet ist???
man sucht sich Opfer um am gewohnten kleben zu bleiben.
Da schlägt Sie wieder zu, die geistige Armut in uns, erzeugt durch fehlende neue Inspirationen.
Oder gibt es diese Inspirationen schon, doch wir lassen Sie nicht zu, weil wir Angst in uns tragen, dass das Alte, dass was uns bisher motiviert hat und uns antrieb zu Nebenwichtigkeiten verdrängt wird und wir ein Vakuum in unserem Glaube an das Wachstum vorfinden und erleben.
Ohne neue Inspirationen gibt es für die Spezies Mensch keinen Platz in der Zukunft.
Was ist die, oder eine neue Inspiration???
Etwa eine Gewaltherrschaft der maschinellen KI und der Algorithmen, die uns unserer Kreativität über das unterfordern der Sinneswahrnemungen, wie es TV Sender über Ihr Unterhaltungsprogramm mit uns veranstalten und wir in eine traurige Gleichgültigkeit verfallen, die Nichts mehr in uns kreativ inspiriert.
Baustein5:
Die Politik hat ihr geistiges Potenzial auf alte Werte und Inspirationen gesetzt und wird dadurch scheitern, denn Sie traut sich nicht über Ihren eigenen alten Schatten hinweg zu springen, so das ein Raum für geistige neue inspirierende Entfaltung entstehen kann. Wir brauchen diese neuen Räume sonst können wir nicht weiter wachsen. Das soll nicht heißen das der Kapitalismus weiter wächst, bis wir gar keine Luft mehr zum Atmen haben werden.
Menschliches Leben und Gesundheit hat ja keinen Wert. Sauerstoff ist überbewertet und braucht man ja nicht um Denke und denken miteinander zu bestmöglicher Leistung zu animieren. Es reicht eine Denke die uns für Dumm erklärt, um die Wahlen zu gewinnen und schon bleibt alles beim Alten und wir verlieren unsere Lebensqualität.
Baustein6:
Diesen Baustein wird es nicht mehr geben weil wir zu Dumm geworden sind.
Das war jetzt ein Mix aus 3 Kommentaren die zu einer weiterführung dieser Gedanken führte. Das ist dann wie in diesem Artikel, dass Leben nach dem Tot.
Ich staune, dass die Künstler sich kuratorenseitig Erklärungen an ihre Werke haben pappen lassen ...
Danke jedenfalls für die Besprechung! Ich denke, ich werde mal einen Ausflug in die Ausstellung anstellen. Ich hoffe, dass sie vielseitig ist und nicht allein Diskurs- oder deklarierende Kunst bietet.