Da ist es wieder, das V-Wort

Populismus Wie viele Klassen gibt es? Und kommt eine moderne Klassenpolitik ohne Volk aus?
Ausgabe 22/2019
Vaust?
Vaust?

Foto: Jannis Große/Imago Images

Vor zwei Jahren machte der Sozialwissenschaftler Thomas E. Goes „ein unanständiges Angebot“. In dem gleichnamigen Buch – allerdings mit Fragezeichen versehen – plädierte er mit seiner Co-Autorin Violetta Bock für einen „linken Populismus gegen Eliten und Rechte“. Die Autoren vertraten die These: Ein fortschrittlicher Linkspopulismus ist möglich und notwendig. Er solle Teil eines Sozialismus von unten sein, internationalistisch und feministisch, der für die radikale Demokratisierung dieser Gesellschaft kämpft. Nur so viel: Besonders das Plädoyer für populistische Verdichtungen und das Bemühen, den Begriff „Volksklasse“ in linkes Vokabular zu integrieren, waren, nun ja, irritierend.

Nun legt Goes einen Folgeband vor – dieses Mal als alleiniger Autor. Klassen im Kampf. Vorschläge für eine populare Linke kann, wie Goes schreibt, als „die klassentheoretische Fundierung unseres Plädoyers für einen ,popularen Sozialismus‘ gelesen werden“. Es fügt sich ein in die seit der deutschen Übersetzung von Didier Eribons Rückkehr nach Reims in der deutschen Linken geführte Diskussion um „Neue Klassenpolitik“. Mit Adjektiven wie „inklusiv“ oder „intersektional“ wird diese qualifiziert. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Antirassismus, Feminismus und Anerkennungskämpfe von Minderheiten ein wesentlicher Bestandteil der neuen Klassenpolitik sind. Und dass die modernen arbeitenden Klassen prekärer, migrantischer, weiblicher sind, als sie es im Fordismus waren.

Was dabei aber mitunter zu kurz kommt, ist eine klassentheoretische Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse. Goes’ Arbeit kommt somit zur rechten Zeit. In ihr will er unter anderem diese Fragen beantworten: Wie viele Klassen gibt es in unserer Gesellschaft, und braucht es ein klassenübergreifendes Bündnis, um die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden?

Die Beantwortung erfolgt unter Bezugnahme auf alte und neu Klassiker des Marxismus. Insbesondere stützt Goes sich auf den Griechen Nicos Poulantzas. Die Passagen zur Klassenanalyse sind theoretisch, nicht empirisch. Goes sichert sich ab und schickt voraus, dass seine Abhandlungen thesenhaft sind, eine richtige Klassenanalyse könne ohnehin nicht von einem einzelnen Intellektuellen geleistet werden.

Der Autor kommt zu dem Resultat, dass ein klassenübergreifendes populares Bündnis unter der Hegemonie der ArbeiterInnenklasse geschmiedet werden müsse. Die ArbeiterInnenklasse bilde zusammen mit dem traditionellen Kleinbürgertum und den lohnabhängigen Zwischenklassen die „popularen Klassen“, die „Volksklassen“ oder auch das „Volk der Linken“.

Da ist es schon wieder: das V-Wort. Ohne dieses scheint für Goes jegliche Emanzipation in Richtung einer nachkapitalistischen Gesellschaft unmöglich. Wie aber definiert er Volksklasse? Er bezieht sich auf Lenin und Lukács, nach denen das Volk das Bündnis der Unterdrückten und Ausgebeuteten ist. Und erneut auf Poulantzas, der einen strategischen sozialistischen Volksbegriff befürwortete. „Das Volk existiert demnach nicht, es wird erschaffen: Als Bündnis der subalternen Klassen.“ Aber die Volksklasse müsse, so Goes, ein postnationales Projekt sein, damit der nationalen Identifizierung des Volks kein Vorschub geleistet werde.

Man fragt sich beim Lesen allerdings: Wie kann das in Deutschland mit seiner ausgeprägten völkischen Tradition gelingen? Und braucht es den umständlichen und abstrakten Rekurs auf den Volksbegriff überhaupt für eine emanzipatorische Politik?

Info

Klassen im Kampf. Vorschläge für eine populare Linke Thomas E. Goes PapyRossa 2019, 182 Seiten, 14,90 €

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