Da weiß man, was man hört

Medientagebuch Das Publikum abholen, wo es steht: Ein Schwindel namens Klassik Radio

Klassik Radio. Das klingt gut. Irgendwie vornehm. Und gebildet. Aber weil das nicht reicht, ergänzt der Sender in Schrift und gesprochenem, nein, gehauchtem Wort: "Modern Music". Auf Englisch.

Nun hat es nichts mit Deutschtümelei zu tun, wenn man darauf besteht, dass die Klassik mit dem englischsprachigen Raum soviel zu tun hat wie die Musette mit Indien oder der Blues mit Finnland. Der englische Ausdruck "Modern Music" besagt nichts, was "Moderne Musik" nicht ebenso ausdrückte. Es ist bloße Anbiederung an eine amerikanisierte Medienlandschaft, was da meint, selbst der Klassik noch ein englischsprachiges Etikett aufkleben zu müssen.

Diese Anbiederung freilich ist verräterisch. Denn mit Klassik hat das Klassik Radio nur bedingt zu tun, und "modern" ist daran gar nichts. Schweigen wir hier von der Unsitte, einzelne Sätze aus ganzen Werken zu senden, was ungefähr soviel Kunstverstand bezeugt wie die Isolierung eines Kapitels aus einem Roman oder die Aufführung einer Szene aus einem Fünfakter auf dem Theater. Beschränken wir uns auf die Modernität. Klassik Radio kommt, was die "Klassik", also die so genannte E-Musik - in Opposition zur U-Musik - betrifft, kaum je über das 19. Jahrhundert und nie über die Tonalität hinaus. Was nicht unmittelbar eingängig ist, findet im Klassik Radio nicht statt. Denn Klassik Radio hat nur ein Prinzip: die Annäherung aller Musik an die U-Musik.

Dem entspricht es, dass ein großer Teil des Programms mit Filmmusik bestritten wird. Und die ist in der Regel nichts weniger als modern (klassisch ist sie sowieso nicht, weder im strengen Sinn einer Epochenbezeichnung, noch in der umgangssprachlichen Bedeutung von "kanonisiert"). Mehr oder weniger modern war zu ihrer Zeit Prokofjews Musik zu Eisensteins Alexander Newski. Modern war die Musik von Miles Davis zu Louis Malles Fahrstuhl zum Schafott. Das aber sind Ausnahmen. Gemeinhin ist Filmmusik einer spätromantischen Ästhetik verpflichtet, die in der seriösen Musik seit fast hundert Jahren überholt erscheint. Filmmusik ist funktionale Musik. Als solche kann sie schlecht, besser oder sogar sehr gut sein. Ihre Qualität aber bemisst sich daran, ob sie ihre Funktion erfüllt - als Gestaltungsmittel innerhalb eines Films. Wenn Kubrick Händel oder Schubert verwendet, so werden die dadurch nicht "modern". Aber sie funktionieren durch den genialen Einsatz bei Kubrick als hervorragende Filmmusik. Nur in seltenen Fällen kann originale Filmmusik auch als absolute Musik bestehen. Die Musik zu Alexander Newski wäre dafür wieder ein Beispiel oder auch Duke Ellingtons Musik für Anatomie eines Mordes. Nicht dieser Umstand jedoch macht ihre Qualität als Filmmusik aus.

Wenn aber Filmmusik weder klassisch, noch modern ist - was soll der Etikettenschwindel? Die Frage ist ebenso naiv, wie ihre Antwort offensichtlich ist: Es geht um Ökonomie, um nichts sonst. Das wird freilich so nicht ausgesprochen. Die ein didaktisches Motiv vortäuschen, bevorzugen für ihre Pseudoklassik ein ausgelutschtes Argument: Man müsse die Hörer dort "abholen", wo sie sich nun einmal befänden - nämlich bei der leicht verdaulichen Unterhaltungsmusik.

Dieses Scheinargument suggeriert, es gebe eine natürliche, sozusagen angeborene Anlage, Abba oder den unsäglichen Kitsch eines Andrew Lloyd-Webber gegenüber einem Klavierkonzert von Mozart, einer Ballettmusik von Bartók oder einem Orchesterstück von Steve Reich zu bevorzugen. Dabei wird vergessen, dass man in den fünfziger Jahren die Hörer für den Jazz und für den Rock´n´Roll bei der Klassik "abholen" musste. Wer damals zu Charlie Parker fand oder zu Little Richard war mit Mozart und Mendelssohn-Bartholdy musikalisch sozialisiert worden.

Kein Mensch findet zur zeitgenössischen, zur wirklich modernen Musik, wenn man ihm pausenlos mehr oder weniger geschickt instrumentierte, meist epigonale Hollywood-Klangteppiche vorlegt. Er findet immer wieder nur, was ihm auch auf anderen Sendern serviert wird: leicht bekömmliche Musik. Das bleibt sie auch, wenn man sie "modern" oder "klassisch" nennt. Man sollte Wörter nicht mit den Dingen verwechseln, die zu bezeichnen sie vorgeben.


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