Passen Sie auf, wo sie hintreten", warnt Renate Kokemüller, "Hühner scharren, hier ist alles uneben." Die Bäuerin geht voraus auf die Wiese zu den Legehennen. Die Schirmmütze auf dem Kopf und einem aufgeklebten bunten Namensschild am T-Shirt mit Schweinchenaufdruck, führt sie ihren Betrieb vor, einen ganzen Sonntag lang zeigt sie immer abwechselnd die Schweine, die im Stall auf Stroh stehen und die Hühner auf der Wiese: Es ist "Tag des offenen Hofes" in Niedersachsen, seit Monaten geplant, seit Wochen vorbereitet und zum Schluss von den Verbänden angekündigt mit einem "Jetzt erst recht!"
Uwe Bartels steht im Anzug im Hühnerhof und nickt wohlwollend: Ja, das sei ein Musterbetrieb, verrät der niedersächsische Landwirtschaftsminister (SPD
ter (SPD) den Mitarbeitern der lokalen Presse. Die Leute wüssten ja gar nicht, was alles an Arbeit dahinter steckt, und so ein Tag des offenen Hofes wäre eine ganz tolle Sache, um sich zu informieren. Die Fotoapparate klicken, Bartels posiert mit einem Huhn, das Renate Kokemüller hält, dazu ein paar kleine Kinder, die die Pressefotografen in die Szene drapieren. Süß! Idylle. Die dritte Woche mit Nitrofen ist vorbei. Bartels eröffnet den "Tag des offenen Hofes": "Wer seine Hoftore offen hält, der zeigt sich aufgeschlossen gegenüber der Öffentlichkeit, der lässt Misstrauen erst gar nicht entstehen", findet er. "Der Skandal ist kein Skandal der Landwirtschaft, sondern es ist die Verantwortungslosigkeit einiger Weniger, und die müssen herausgegriffen und zur Rechenschaft gezogen werden. Ich weiß auch, dass es eine Reihe von Opfern gibt." Für Gerald A. Herrmann, Geschäftsführer von Naturland, ist eines der Opfer der Futtermittelproduzent aus Schneiderkrug im niedersächsischen Kreis Cloppenburg: "GS Agri ist Opfer, genau wie die Betriebe, die Tiere gefüttert haben." Die Landwirte teilt er in zwei Gruppen: "Die direkt Betroffenen, deren Höfe gesperrt sind und die, die eigentlich nichts damit zu tun haben, denen das aber nichts nützt, weil der Handel keine Eier abnimmt." Die Stimmung auf einer Mitgliederversammlung von Naturland Nord-West am 13. Juni war entsprechend schlecht: "Die Betriebe haben Existenzängste", beschreibt Herrmann die Lage. Dabei würden die belasteten Eier - soweit man das Risiko von Nitrofen für den Menschen überhaupt beurteilen kann - niemandem schaden, auch beim Fleisch sind keine Konzentrationen festgestellt worden, die einem Durchschnittsmenschen schaden können. Helmut Greim, Leiter des Instituts für Toxikologie und Umwelthygiene an der TU München, hat nachgerechnet: Wer jeden Tag ein durchschnittlich verseuchtes Nitrofen-Ei äße, "würde immer noch 100.000 Mal schwächer belastet als jene Ratten und Mäuse, an denen man die Wirkung von Nitrofen getestet hat und bei denen man gerade noch eine schwach erhöhte Krebsrate feststellen konnte." Die Ergebnisse von Tierversuchen hatten 1980 dazu geführt, dass Nitrofen in Pflanzenschutzmitteln durch andere Wirkstoffe ersetzt wurde. Den Tieren wurde tagelang Futter mit einer hohen Dosis des kristallin-pulvrigen Unkrautvernichters verabreicht, dann wurden sie getötet und nach dem Verbleib der Substanz in den Organen gesucht. Offenbar wurden nur 50 Prozent des giftigen Stoffes über die Darmschleimhaut aufgenommen, und auch davon wurde das meiste innerhalb weniger Tage über Kot und Harn ausgeschieden. Drei Tage nach der letzten Futtergabe war nur noch ein Prozent der Substanz nachweisbar. Bei Geflügel allerdings, weist Heinz Nau von der Tierärztlichen Hochschule Hannover auf eine ebenfalls 25 Jahre zurückliegende Untersuchung hin, sei Nitrofen über einen längeren Zeitraum nachweisbar und es reichere sich im Fettgewebe und im Eidotter an. C12H7O3Cl2N - so die chemische Summenformel von Nitrofen - ist ein Nitrophenylether, das zwei Phenylringe durch ein Sauerstoffatom verbindet. Solche chemischen Strukturen sind kaum wasserlöslich, und so finden sich im Tierversuch die höchsten Nitrofen-Konzentrationen im Fettgewebe, aber auch in den Organen. Während bei Masttieren eine geringe Nitrofenbelastung innerhalb einiger Wochen abgebaut sein sollte, bleibt ein Restrisiko für Embryos und Föten. Bei trächtigen Ratten und Mäusen zeigten die Jungtiere Missbildungen an Herz und Niere und eine verzögerte Lungenreifung. Die Analysemethoden vor über zwanzig Jahren waren weit gröber als heute, und inwieweit sich das Tiermodell überhaupt auf den Menschen übertragen lässt, ist umstritten. Aber ein Restrisiko für Schwangere kann nicht ausgeschlossen werden, "und das ist nicht witzig", findet Gesa Maschkowki, Chefredakteurin von Was wir essen, beim aid-Infodienst für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in Bonn. Die Fachjournalisten und Experten von aid-Infodienst beantworten im Internet Fragen zu Nitrofen. Der Bedarf an Aufklärung ist groß: "Das Forum sollte drei bis vier Tage dauern, das klappt jetzt nicht", stellt Maschkowski fest. Die häufigsten Fragen - auch die am meisten im Netz abgerufenen - befassen sich mit dem Risiko für Schwangere und Kinder: "Auch wenn es da schon steht, die Leute fragen noch mal. Die möchten immer präziser informiert werden", sagt sie und bedauert, dass es keine zentrale Stelle gibt, wo man Listen einsehen kann, welche Produkte betroffen sind. "Die Leute möchten ganz konkret wissen: Soll ich dieses Gläschen wegwerfen oder nicht."Der Betrieb einer Futtermittelfabrik ist zu sehen unter www.deuka.de