„Dank euch, Helfer“

Flut Facebook und Twitter haben sich als verlässlichste Übermittler von Informationen erwiesen. Über die Netzwerke kamen die Anwohner im Magdeburg zu den Deichen, um zu helfen
Ausgabe 24/2013
Magdeburger Knöchel am 9. Juni 2013
Magdeburger Knöchel am 9. Juni 2013

Foto: Ronny Hartmann/ AFP/ Getty Images

Am vergangenen Sonntagabend war es in Ostelbien plötzlich ganz still. Die Vögel hatten zu singen aufgehört, keine Autos mehr, nur das mal nahe, mal ferne Geräusch der Sirenen, das Knattern des Beobachtungshubschraubers und die Pumpen in den Kellern erinnerten daran, dass im Hintergrund eine Katastrophe lief, deren Teil wir waren. Ich als zufällig Gestrandete; die anderen als Bewohner der von Überflutung bedrohten Gegenden Magdeburgs.

Wenige Stunden vorher hatte ein Lautsprecherwagen die Anwohner aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Der Krisenstab der Stadt hatte sich auf eine prognostizierte Hochwasserhöhe von 7,26 Meter verlassen. Jetzt stand der Pegel bei 7,46 Meter; mehr als 70 Zentimeter über dem Höchstpegel von 2002. Es waren Straßen und Viertel abgesoffen, die auf keiner Liste standen. Wir, seit unserer Kindheit mit Hochwassern, wenn auch nie solchen starken, vertraut, aber waren geblieben. Im Garten lasen wir Faust 2: „Da rase draußen Flut bis auf zum Rand / Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen / Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.“

Magdeburg hat sich dem Fluss wieder zugewandt, der in den achtziger Jahren nicht mehr als eine Kloake war, die die Abwässer in den Westen exportierte. Es hat der Kultur der Stadt gut getan, sich aber in den letzten Tagen zugleich als Nachteil erwiesen. Seit 2002 wurden etliche Stadtvillen direkt an den Ufern gebaut, offenbar in der nun aufs Eindrucksvollste widerlegten Annahme, es habe sich nur damals um die Jahrhundertflut gehandelt. Es war aber wohl nur der Beginn eines Jahrhunderts der Fluten.

Von den zehn höchsten Pegelständen, die hier jemals gemessen wurden, fielen allein fünf in die letzten elf Jahre. Das alte Wissen, dass man in elbnahen Gebieten wenigstens keine Keller baut, wurde vergessen oder als ewiggestrig abgetan. Der Umflutkanal und neue Technologien würden es schon richten.

Die waren dann aber für anderes gut. Im Gegensatz zum MDR, dessen Hochwasserreportagen nicht von denen aus dem Jahr 2002 zu unterscheiden waren, haben sich ausgerechnet Twitter und Facebook als verlässlichste Übermittler von Informationen erwiesen. Privat organisierte Hochwasserseiten waren schnell, informativ, freundlich im Ton und vor allem besänftigend, wenn in den Kommentaren die Nerven blank lagen. Vor allem waren sie frei vom Kriegsjargon, wie in den offiziellen Pressemitteilungen: „Deichverteidigung und Gefahrenabwehr laufen weiterhin auf Hochtouren.“

Dabei war längst klar, dass die Stadt vor allem von Helfern gerettet werden würde, denen alles Militärische fremd ist. Neben den Anwohnern vor allem junge Leute, die sich per Facebook oder Twitter nicht zu Partys verabredeten, sondern plötzlich zu Hunderten auf den Deichen auftauchten, um sie mit Sandsäcken zu schützen und danach zum nächsten bedrohten Ufer weiterzuziehen. Als der Pegel langsam sank, hing am Geländer einer Brücke dann eine Statusmeldung der altmodischeren Art: Jemand hatte „Dank euch, Helfer“ mit Farbe auf ein Laken gemalt.

Es gab auch Menschen, die unberührt von allen Katastrophen ihren Job machten. Da kam der Ableser des örtlichen Energieversorgers auf die Elbinsel Werder und wunderte sich, dass er niemanden antraf – außer denen, die sich der Evakuierung widersetzt hatten. Müßig zu sagen, dass der Strom abgestellt war.

Die Schriftstellerin Annett Gröschner ist gebürtige Magdeburgerin und wohnte dort auf der Elbinsel Werder

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