Ein riesiges, unförmiges, mülltütenblaues Ding ist auf dem Schlossplatz gelandet. Humboldt-Box heißt das Objekt, das nichts weniger als ein „neues temporäres Wahrzeichen“ der Hauptstadt sein will. Es sieht aus, als wäre es aus einem Computerspiel oder einer japanischen Zeichentrickserie gefallen.
Dass ausgerechnet dieses pseudo- futuristische Gebilde für den Schlossneubau, das historistischste Unter- nehmen überhaupt, werben soll – auf die Idee muss, wer da vorbeigeht, auch erst einmal kommen. Unschuldige Spaziergänger müssen es für ein Monster halten, so wie es mit seinem riesigen quadratischen Auge über den Lustgarten hinweg Richtung Altes Museum starrt. Schläft da vielleicht ein Transformer, der nur darauf wartet, sich auseinanderzufalten und sein großes Zerstörungswerk zu beginnen? Sieht nicht ungefähr so ein gegen austretende Strahlung perfekt gesichertes Atomkraftwerk aus?
In einer für Berlin typischen Mischung aus Naivität und Masochismus wurde einem Privatunternehmen erlaubt, hier einen Info-Pavillon zu bauen. Und nun wundert sich die Stadt, dass eine Firma, die „Megaposter“ heißt, hier kein filigranes Gebilde in Kurpark-Ästhetik errichtet hat? Das Ding steht da und wird bleiben, mindestens bis 2019, vielleicht länger. Und das Ding braucht einen Namen. Ein süßer Name wird das Monster zähmen, der Berliner Boulevard hat schon zum Wettbewerb geblasen, auf dass eine weitere lustige Metapher die Architekturfolklore bereichere, die Schwangere Austern, Gürteltiere, Kommode, Bierpinsel, Telespargel und Wasserklopse kennt. Bezeichnungen, die natürlich kein Berliner (Ausnahme: Bierpinsel) je verwenden würde. Vorschläge bisher? Alle etwas mau: Tipp-Kick-Ball, Kiste der Republik, Todesstern, auch vom „Kotzbrocken“ war schon zu lesen. Die Stadt scheint sich seltsam einig in der Ablehnung der Humboldt-Box – Besucher werden trotzdem in Scharen kommen und begeistert sein. Die Aussicht ist toll und das Café sieht aus wie die Kulisse eines Defa-Historienfilms.
Mit ein bisschen Schadenfreude ließe sich sagen: Der Ort hat bekommen, was er verdient. Das Ding reiht sich nahtlos ein in die Reihe von Scheußlichkeiten, die dieser Platz schon gesehen hat. Hier standen der Palast der Republik, das falsche Schloss aus Folie, die Kiste der temporären Kunsthalle und die elektrischen Weihnachtsmärkte mit ihren Achterbahnen. Begonnen hat die Reihe der Scheußlichkeiten aber viel früher, mit dem Wunsch des unseligen letzten deutschen Kaisers nach einem größeren Dom. Auf Wilhelms Befehl hin wurde Karl Friedrich Schinkels Kirche abge- rissen und der neo-barocke Protzbau errichtet, der noch heute die Museumsinsel beherrschen würde, wenn, ja wenn da nun nicht diese Humboldt-Box stünde. Das kleine große Mülltütenmonster vermag das Unglaubliche: Neben ihm sieht sogar der Berliner Dom zierlich aus. Und das ist ein großes Verdienst.
Je länger man das Monster anschaut, desto interessanter schaut es zurück. Und ja, auf einmal schaut es aus wie ein riesiger, nicht ganz regelmäßig gewachsener Kristall, der verrät, wie viel seine Architekten (die beinahe einmal das neue Bundeskanzleramt gebaut hätten) von Las Vegas gelernt haben. Denn so, wie Las Vegas sich mit seinem Venetian Resort ein Venedig gebaut hat, will Berlin sich hier ein neues Preußen errichten. Diese Monster-Kiste aber sagt ganz deutlich: Eigentlich möchten wir das lieber doch nicht. Vielen Dank dafür.
Von David Wagner erscheint im Herbst das Buch Welche Farbe hat Berlin
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