Danke sagen

A–Z Streetart-Künstler Banksy hat vorgemacht, wie man sich anständig bedankt: Einer Schule spendierte er ein großes Graffiti. Das Lexikon der mal großen und mal kleinen Geste
Ausgabe 25/2016

A

Abstufung „Danke sagen“ klingt einfach, ist es aber oft nicht. Zumindest dann, wenn man gleichzeitig auch noch die Intensität des empfundenen Gefühls ausdrücken möchte. Ein einfaches „Danke“ reicht gemeinhin aus, wenn jemand einem die Tür aufhält; für die Rettung der Königstochter aus den Klauen des Drachens ist in unserem Kulturkreis dagegen das halbe Königreich und die Hand der Prinzessin üblich.

Für die meisten Abstufungen dazwischen kann ein Trinkgeld in angemessener Höhe angebracht sein, muss es aber nicht. Die Wissenschaft hat daher versucht, Dankbarkeit messbar zu machen. Beispielhaft seien hier die GRAT- und die GQ6-Methode genannt. Beide beruhen auf einer komplexen Selbsteinschätzung des Dankenden. Bis zur Normierung einer der Methoden und der entsprechenden Verfügbarkeit einer Smartphone-App benutzen Sie im Zweifel aber bitte weiter die dafür vorgesehene Schokoladenmarke (➝ Phrasen). Uwe Buckesfeld

B

Banksy Mit dem berühmten Streetart-Künstler Banksy ist es ein wenig so wie mit einem alten Schulfreund, der einem im Lauf der Zeit peinlich geworden ist. Konnte man den politischen Schablonen-Graffitis des Briten, dessen Identität bis heute nicht zweifelsfrei geklärt ist, anfangs noch einiges abgewinnen, sind diese mittlerweile zu Sozialkritikkitsch verkommen. Mit steigendem Ruhm (➝ Mozart) haben die Werke den einst durchaus subtilen Humor eingebüßt und sind heute oft nicht mehr als bildgewordene Sinnsprüche. Dennoch muss man Banksy lassen, dass seine jüngste Aktion einigen Charme hatte. Nachdem eine Schule in Bristol, wo er angeblich herkommt, eines ihrer Gebäude nach ihm benannt hatte, bedankte er sich, indem er heimlich ein großes Wandgraffiti auf dem Spielplatz hinterließ. Schüler und Lehrer hat’s tatsächlich gefreut. Nils Markwardt

E

Etymologie Danken und denken haben eine etymologische Verbindung. Dank bedeutet ursprünglich so viel wie „in Gedanken halten“. Im Danken als „ich werde daran denken“ liegt also ein Versprechen. Es kann aber manchmal auch als Drohung verstanden werden. Die Sinnverknüpfung besteht ebenfalls im Englischen (➝ Banksy), wo die Nähe von „thank“ zu „think“ nicht zufällig ist. Der veraltete Name Dankwart übrigens bezeichnet einen „Hüter des Gedenkens“.

Denkmäler als Stätten des Andenkens sind auch oft Ausdruck des Dankes, allerdings selten eines demütigen. Nachdem 1898 der Ex-Reichskanzler verstarb, entstanden etwa 240 Bismarck-Türme. Neben dem Dank für die „Reichseinigung“ dienten sie vor allem deutscher Selbsterhöhung. Aus der nationalchauvinistischen Architektur des 1913 eingeweihten Leipziger Völkerschlachtdenkmals lässt sich nur mit Mühe eine Dankesspur für den Frieden hineinlesen. Dass – von Erinnerungen an die Opfer des Nationalsozialismus abgesehen – kein offizielles deutsches Denkmal als Dank für die Befreier von 1945 existiert, gibt zu denken. Aber nicht zu danken. Tobias Prüwer

F

Flüchtlinge „Er wollte sich bedanken und etwas zurückgeben.“ Mit dieser Botschaft ging die Geschichte des syrischen Flüchtlings Alex Assali vergangenes Jahr durchs Netz. Bilder zeigten den 38-Jährigen, wie er unter einer Berliner Brücke Essen an Obdachlose ausgibt. Ihm wurde in Deutschland (➝ Gastarbeiter ) geholfen, jetzt wolle er etwas zurückgeben. Er wüsste nur zu gut, wie es sich anfühlt, alles zu verlieren. Diese Dankesbekundungen rührten die Facebook-Nutzer, die sich nun als Drahtzieher einer Pietätskette fühlten. Die Willkommenskultur schien ihre Früchte zu tragen. Ob der schönen Aktion sollte man aber nicht vergessen, dass das Asyl selbst keinen Dank fordert. Es ist ein Recht und keine Gabe. Ann Esswein

G

Gastarbeiter Das Bild des einmillionsten Gastarbeiters, der 1964 ein Moped geschenkt bekam, ist längst ikonisch. Doch der Schein der Wertschätzung trügt. Jahrzehnte wurden Gastarbeiter als billige Arbeitskräfte gesehen, Integrationsangebote gab es kaum, oft mussten sie in maroden Baracken leben. Insofern war es an sich löblich, dass die Bundesregierung sich 2008 zu der Aktion „Deutschland sagt Danke“ durchrang. Wurde in diesem Kontext aber wieder von „Wir“ und „Sie“ gespochen, schien es, als ob Gastarbeiter nicht zu Deutschland gehörten. Es war jener unfaire Umgang mit Migranten, der sich auch im neuen Integrationsgesetz (➝ Flüchtlinge) zeigt. Andrea Wierich

L

Lyrik Auch Karl-Heinz Rummenigge wird manchmal von der Muse geküsst. Zum Beispiel 2009, als er Franz Beckenbauer ehrte – mit einem Gedicht, das die Lyrik neu erfand. Zwölf Mal kam das Wort „Danke“ vor, in nur zehn Zeilen. Die klangen dann etwa so: „Lieber Franz, ich danke dir. Ich danke dir, ich danke dir sehr, ich danke dir, das fällt uns nicht schwer.“ Sogar Hellmuth Karasek widmete sich dem Werk und spottete in Bild: „Man denke nur, wie schön sich sehr auf schwer, toll auf soll, Schatz auf Satz und wieder schwer auf sehr reimt. Das könnte den ewigen Dank-Kanon erobern.“ War „Kalle“ also direkt auf den Dichterolymp geklettert? Nein, denn er schmückte sich mit falschen Lorbeeren. Wahre Urheberin (➝ Mozart) war nämlich Anette Pfeiffer-Klärle, die ihre Gedichte im Netz verkauft. Der Ex-Stürmer hatte nur zart ergänzt. Die wahre Lyrikerin klagte und bekam 1.000 Euro vom FC Bayern München. Peanuts im Big Business. Benjamin Knödler

M

Mozart Die Arie Nehmt meinen Dank von 1782 komponierte W. A. Mozart zum Anlass einer Benefizveranstaltung, auf der die einst von ihm umworbene Sopranistin Aloysia Weber aufzutreten hatte. Die Arie ist gemäß Aloysias Stimmumfang recht hoch und voller Koloraturen und kann bei weniger begabten Sängerinnen schnell schrill wirken. Der Text eines Anonymus (vielleicht verbirgt sich Mozart selbst dahinter) ist voller ätzender Untertänigkeit, sodass er mit etwas ironischer Einfühlung auch als beleidigend aufgefasst werden kann: „Nehmt meinen Dank, ihr holden Gönner! So feurig, als mein Herz ihn spricht, euch laut zu sagen, können Männer, ich, nur ein Weib, vermag es nicht.“

Kurz gesagt: Danke fürs Geld, ihr Arschlöcher. Bei der Uraufführung beschloss diese Arie den Abend und war an die ehrenvollsten Promis im Saal adressiert. Solche Dankeskompositionen im Sinne einer ➝ Widmung waren auch ein Mittel für Komponisten, um die Urheberschaft zu signieren. Kiri Te Kanawa oder auch Christine Schäfer sind Sängerinnen unserer Zeit, die diese Arie noch recht gern interpretieren. Sarah Khan

Muttertag Ein offenbar nicht auszurottendes Missverständnis ist die Annahme, der Muttertag sei eine Erfindung der Nazis gewesen. Doch wie so vieles haben sie auch diesen fragwürdigen Feiertag nur geklaut und mit Mutterkreuzen dekoriert. Entlehnt ist der „Deutsche Muttertag“ einer US-amerikanischen Tradition (➝ Thanksgiving ), die, wie die Historikerin Karin Hausen schon vor 30 Jahren herausgefunden hat, 1923 vom Verband der Blumenhändler als Geschäftsidee aufgegriffen wurde, unterstützt von Volkspädagogen und Frauenvereinen. „Ehret die Mutter!“, lautete die Parole, mit der Kinder in Dankesschuld gebracht wurden. Der Zusatz „deutsch“ zielte zunächst auf Abgrenzung und lieferte später die nationalistisch gefärbte Vorlage. Aber schon 1932 taucht der Feiertag im deutschen Festkalender auf und blieb fester Bestandteil der Dankeskultur. Ulrike Baureithel

P

Phrasen „Vielen Dank für Ihr Verständnis!“ – mit freundlichen Worten versuchen Schilder, Abwesenheitsnotizen und eine Zeit lang auch die Deutsche Bahn dem Zorn vorauszueilen. Doch durch Wiederholung wird Höflichkeit auch schnell zur Plattitüde. Ist sie deshalb weniger wert? Wenn gesellschaftlicher Erwartungsdruck auf Kreativitätsgrenzen trifft, entstehen Gemeinplätze jeglichen Sujets. „Schanke dön“, „Danke, Anke“ und „Grazie, Pistazie“ scheinen zwar, zugegeben, gewöhnungsbedürftig, doch die Netiquette wird immerhin hochgehalten. Am Ende zählt vielleicht einfach die Geste selbst, die Wortwahl bleibt Formsache. Und sollte es einem doch mal gänzlich die Sprache verschlagen, kann man ja immer noch Schnaps oder Schokolade (➝ Abstufung) verschenken. Nina Rathke

T

Thanksgiving Der US-amerikanische Erntedank hat als Verneigung vor der Urbevölkerung eine schöne Symbolik (➝ Etymologie). Die Pilgerväter mussten durch einen harten ersten Winter kommen, wobei die Hälfte starb. Ihre indigenen Nachbarn brachten ihnen den Anbau einheimischer Pflanzen bei. Von Ernte beglückt, veranstalten die Pilgrims im Herbst darauf gemeinsam mit den Stämmen ein Fest. Diese Gründungslegende ist historisch vage und verklärend, weil sie die genozidale Dimension der Kolonisierung überdeckt. Thanksgiving richteten die frommen Pilgerväter immer zuerst an Gott, später wurde auch die nationale Einheit beschworen. An die Ureinwohner dachten nur die wenigsten. Tobias Prüwer

W

Widmung „Ich dichte jetzt hauptsächlich Widmungen“, sagte Thomas Mann 1936 und stilisierte seine Danksagungen als eigene Werke, die heute von Literaturwissenschaftlern seziert werden (➝ Lyrik). Nicht nur Mann erkannte, dass Widmungen zu mehr dienen, als nur Danke zu sagen. Sie sind Selbstdarstellung, Kunstform und vor allem Medium für das, was man der Welt oder seinem nächsten Umfeld sagen möchte. In feiner Kursivschrift werden Vater-Kind-Bindungen geklärt, Entschuldigungen ausgesprochen und Beziehungskonstellationen definiert.

Immer wieder zierte Simone de Beauvoir, Sartres härteste Kritikerin, dessen Paratexte. Für die Kritik der dialektischen Vernunft ließ er aber zwei Sonderexemplare drucken, einmal mit einer Widmung an eine andere Frau. Die Autorin Shannon Hale dankt in Austenland einem nahestehenden Mann, macht aber direkt klar: „ I think we should just be friends.“ Babe Walker dagegen widmet ihr Buch Psychos gleich sich selbst: „Dedicated to the strongest person I know: me.“ Ann Esswein

Z

Zellstoff Einkaufen ist anstrengend, vor allem für entscheidungsunfreudige Menschen wie mich. Zu viele Stunden habe ich schon ratlos vor dem Marmeladenregal verbracht. Nur Toilettenpapier kaufe ich gern, mein Lieblingspapier bedankt sich nämlich bei mir. DANKE, schreit es mir von der Packung mit den grauen Recyclingrollen entgegen, daneben strahlt ein grüner Baum, der vor lauter saftigen Blättern fast zusammenbricht. Ich bin wohl einer der Menschen, bei denen die Verkaufsstrategie (➝ Muttertag) „das gute Gewissen gibt es gratis dazu“ wunderbar funktioniert. Dafür verzichte ich sogar auf Flauschigkeit. Die fehlt beim DANKE-Papier nämlich, deshalb gab es von Stiftung Warentest nur die Note 2,5. Für ein kuscheliges Gefühl am Allerwertesten müsste ich zum Testsieger Charmin greifen, der hat eine 1,5 bekommen. Bedankt sich aber nicht. Magdalena Müssig

Die besten Blätter für den Herbst

Lesen Sie den Freitag und den neuen Roman "Eigentum" von Wolf Haas

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden