Dann hungert mal

Syrien Die EU und die Vereinten Nationen wollen dem zerrütteten Land helfen. Hinter dem Verteilungssystem steckt allerdings ein erpresserisches Kalkül
Ausgabe 14/2021
Ein Flüchtlingscamp in Nordsyrien. Die Bevölkerung des Landes hat oft keine andere Wahl, als in solchen Unterkünften zu leben
Ein Flüchtlingscamp in Nordsyrien. Die Bevölkerung des Landes hat oft keine andere Wahl, als in solchen Unterkünften zu leben

Foto: Omar Jah Kadour/AFP/Getty Images

Die fünfte Brüsseler Konferenz „Zur Unterstützung der Zukunft Syriens und der Region“ war durchaus ein Erfolg. Es gelang der EU und den Vereinten Nationen, Zusagen der Geberstaaten für 5,3 Milliarden Euro zu erhalten. Deutschland war mit fast 1,8 Milliarden Euro größter Einzelspender, doch liegt das Ergebnis weit unter dem angestrebten Ziel von zehn Milliarden. Die Hälfte ist ein substanzieller Betrag, nur bei Weitem nicht ausreichend, den Syrern beizustehen, wenn neun von zehn Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben. Die UNO warnt vor einer Hungerkatastrophe, denn für 24 Millionen Syrer in Syrien wie den Flüchtlingsländern Libanon, Jordanien, Türkei, Irak und Ägypten ist die Grundversorgung nicht gewährleistet. Die Preise für Lebensmittel sind in Syrien allein im Vorjahr um mehr als 220 Prozent gestiegen.

Da aus westlicher Sicht allein „der Schlächter Assad“ sowie seine Verbündeten Russland und Iran für die Zerstörung Syriens verantwortlich sind, soll die Hilfe in erster Linie den Flüchtlingen und Syrern in den „Oppositionsgebieten“ zukommen. Für die Verteilung in den Regionen unter Regime-Kontrolle sind internationale Hilfsorganisationen zuständig. Eine Zusammenarbeit mit der Regierung in Damaskus kommt für die EU wie auch die USA nicht infrage. Auch diese Konferenz stellte erneut klar, dass die Hilfsgelder ausdrücklich nicht dem Wiederaufbau der zerstörten Städte dienen dürfen. Das könne erst geschehen, wenn es einen Friedensvertrag zwischen Assad und „der Opposition“ gebe. Wer damit konkret gemeint ist, bleibt offen. Dies bedeutet, dass die westlichen Geber die syrische Bevölkerung als politisches Druckmittel einsetzen. Der Krieg in Syrien war und ist in erster Linie ein Stellvertreterkrieg, den die Gegner des Regimes, allen voran die USA, Teile der EU, die Golfstaaten und die Türkei nicht gewonnen haben.

Während die meisten Golfstaaten angesichts dieser Faktenlage die Normalisierung ihrer Beziehungen zu Damaskus betreiben und die Türkei in Nordsyrien einmarschiert ist, um die dortigen Kurden zu schwächen, halten die EU wie auch die USA an ihrem Fernziel Regimewechsel fest. Washingtons (kurdische Hilfs-) Truppen haben völkerrechtswidrig die Ölförderanlagen im Osten des Landes besetzt und verkaufen den dort gewonnenen Rohstoff auf eigene Rechnung. Damit berauben die USA Damaskus einer wichtigen Devisenquelle. Gleichzeitig hält die EU an ihrem Wirtschaftsembargo gegenüber jenen drei Vierteln Syriens fest, die unter Kontrolle der Regierung Assad stehen. Der Handel mit Gebieten im Nordwesten, in denen Dschihadisten das Sagen haben, unterliegt dagegen keinen Einschränkungen.

Legal kann Damaskus nicht einmal dringend benötigte Ersatzteile für die Instandsetzung zerstörter oder beschädigter Trinkwasserleitungen importieren. Ebenso wenig nur einen Sack Zement. Die EU-Logik, mithilfe der Sanktionen das Regime unter Druck setzen und zu Verhandlungen mit der „Opposition“ zwingen zu können, ist Wunschdenken. Den Preis zahlt die Bevölkerung, die meist keine andere Wahl hat, als in notdürftig ausgebesserten Ruinen zu hausen, ohne Wasser und Strom.

Es wäre an der Zeit, sich in Washington, Brüssel und Berlin ehrlich zu machen. Assad ist ein Verbrecher, gewiss. Aber das sind die Herrscher anderswo im Nahen Osten auch, ohne dass es deswegen Berührungsängste oder gar ein Exportverbot für Rüstungsgüter gäbe.

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