Umwelt Ein Besuch zwei Jahre nach der Räumung des Dannenröder Forstes („Danni“): Hier blockierten Umweltschützer:innen den Bau einer Autobahn – bis CDU und Grüne sie räumen ließen. Wie sieht es hier heute aus und vor allem: Wie geht es weiter?
Im Namen einer Autobahn: Der 7. Dezember 2020 im Dannenröder Forst
Foto: Nadine Weigel/dpa
Donnerstags wird gesprengt, seit einigen Wochen, gegen Mittag – und darum haben die Mitglieder der „Aktionsgemeinschaft Keine A49“ sich an diesem winterlichen Donnerstag um zwölf Uhr an der Autobahntrasse bei Homberg/Ohm verabredet. Doch heute ist der Sprengsatz schon früher hochgegangen. In der Grube sieht man noch das schwarze Gestein, überall liegen Reste der Zünder, auch auf dem Fußweg neben der Trasse. Wenn gesprengt wird, müssen Schutzmatten ausgelegt werden. Doch die Matten liegen säuberlich auf einem Stapel. Offenbar wurden sie heute nicht verwendet.
Bauarbeiter blicken nervös zur Presse rüber, geschäftig fahren Bagger, Raupe und Kipplader herum, schieben Gesteinsbrocken vor sich her, transportieren sie ab. Ein Trak
. Ein Traktor mit Wasserfass versucht, eine große Wasserlache abzupumpen. Noch beim Wegfahren weist er den Fahrer der Raupe an, hier nicht zu baggern. Im Wasserschutzgebiet gelten strenge Vorschriften.Zwei Jahre ist es her, dass der Dannenröder Forst, 25 Kilometer von Marburg, geräumt wurde. Wo damals die Baumhausdörfer mit den Namen Woanders, Morgen, Oben, Unterwex und Nirgendwo als Widerstandsnester dienten, verläuft nun die mit Bauzaun abgesperrte Trasse, im vorderen Teil bis heute mit Stacheldraht gesichert. Fast 90 Hektar wurden laut der Deges GmbH für den letzten Streckenabschnitt von Stadtallendorf bis zur A5 gerodet. Im „Danni“ fielen rund 26 Hektar gesunder Mischwald dem Bau zum Opfer, bis zu 250 Jahre alte Eichen, 200-jährige Buchen.Das Projekt ist nicht nur deshalb bis heute stark umstritten: Die Trasse der letzten 17,5 Kilometer „verläuft fast vollständig im Wasserschutzgebiet, davon rund 3,5 Kilometer in der besonders empfindlichen Wasserschutzzone 2“, sagt Wolfgang Dennhöfer vom BUND Vogelsberg. „Dort darf normalerweise nichts gebaut, dürfen keine Löcher gegraben werden.“ Der Grundwasserkörper unter Wohratal, Herrenwald, Dannenröder Forst, Gleen- und Ohmtal versorgt 500.000 Menschen mit Trinkwasser.Ein Chemielehrer fand GiftIm heutigen Fauna-Flora-Habitat Herrenwald befand sich zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs die größte Munitionsfabrik Europas. Nach dem Krieg wurde verbliebenes Material ohne Rücksicht auf Gewässerschutz gesprengt oder zugeschüttet. Obschon großflächig saniert, finden sich in Boden, Baumwurzeln und auf dem Grundwasser immer noch Altlasten. Die Trinkwassergewinnung ist nur möglich aufgrund eines ausgeklügelten Systems sogenannter Abschöpfbrunnen. Sie verhindern, dass stark kontaminiertes Grundwasser in bislang unbelastete Bereiche strömt. „Und jetzt bauen wir ausgerechnet durch diesen kritischen Bereich eine Autobahn, von der man befürchten muss, dass sie die Grundwasserströme auf eine Weise verändert, die man schlecht voraussehen kann“, sagt Dennhöfer. Die Aktionsgemeinschaft fürchtet zudem, mit der Erde könnten Altlasten verschoben werden. Im Mai 2021 hatte das Regierungspräsidium Gießen über Wochen einen Baustopp verhängt, nachdem ein Chemielehrer an der Trasse Brocken giftigen Hexyls gefunden hatte.Um möglichst sicherzugehen, unterzieht der Zweckverband Mittelhessischer Wasserwerke (ZMW) das Grundwasser einem aufwendigem Monitoring und führt in jedem Rohwasserförderbrunnen dauerhafte Trübungsmessungen durch. Bei Unregelmäßigkeiten würde das betroffene Wasser mit sogenannten Abwehrbrunnen abgepumpt. Der BUND Vogelsberg fordert zusätzlich dringend ein numerisches Grundwassermodell, das den Trassenverlauf der A49 im Einzugsgebiet der Trinkwasserbrunnen abbildet und erlaubt, Störfälle zu simulieren. Nur so lasse sich beurteilen, ob die vorgesehenen Maßnahmen ausreichten.Der wohl gravierendste Eingriff in die Trinkwassergewinnung ist der Bau der rund 460 Meter langen und 30 Meter hohen Talbrücke im Gleental. Auch dort befinden sich viele Förderbrunnen. Dichte Schichten von Auenlehm schützen das Grundwasser vor Verunreinigungen. Für die Gründung der Pfeiler in bis zu 30 Meter Tiefe wurden sie durchstoßen. Der ehemalige ZMW-Geschäftsführer verglich dies in der Hessenschau mit einer „OP am offenen Herzen“.Inzwischen ist ein Großteil der Gründungsarbeiten abgeschlossen. Der Abteilungsleiter Wasserversorgung des ZMW, Dirk Ficht, versichert: Mithilfe von Schutzmaßnahmen und einem engmaschigen Monitoring habe man das Risiko minimieren können. Doch „wir betrachten den Autobahnausbau weiterhin als kritisch, weil es für uns als Trinkwasserversorger von Anfang an die schlechteste Trassenvariante war. Der Bau ist die kritischste Phase, aber auch nach der Inbetriebnahme müssen wir das Ganze weiter betreuen“, sagt er.Neben der Autobahn entstehen große Rückhaltebecken. Dort sollen ihre Abwässer gesammelt, vorgereinigt und dann in die Flüsse Klein und Ohm geleitet werden. Doch fehle ein Havariekonzept, kritisiert Barbara Schlemmer von der Aktionsgemeinschaft. „Die freiwillige Feuerwehr von Homberg/Ohm ist schon für die A5 zuständig. Die sagen, wenn auf der A49 ein Gefahrengutlaster umkippt, sind sie völlig überfordert.“Tatsächlich hätte der Ausbau der A49 nie genehmigt werden dürfen. Das Institut für Ökologie und Umwelt aus Hannover resümierte in seiner 1997 erstellten Umweltverträglichkeitsstudie, aus umweltfachlicher Sicht gebe es keine Trassenkorridore, mit denen sich Konflikte mit der Umwelt vermeiden ließen. „In Anlehnung an das Merkblatt zur Umweltverträglichkeitsstudie in der Straßenplanung ist daher zu empfehlen, entweder das Vorhaben gemäß des Planungsauftrages aufzugeben oder den bisherigen Planungsauftrag zu modifizieren.“ Denkbar sei etwa ein zweispuriger Ausbau der bestehenden Straßen mit Ortsumgehung. Pikanterweise fehlt dieses Fazit im heute verwendeten Gutachten.Reinhard Forst, Autobahngegner der ersten Stunde, bekam die Studie seinerzeit von einem Landtagsabgeordneten zugeschickt. Der grüne hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir versichert dagegen, er kenne diese Fassung nicht. Sie lag auch dem Bundesverwaltungsgericht nicht vor, das 2020 über die Rechtmäßigkeit des A49-Ausbaus aus wasserrechtlicher Sicht entschied. Stattdessen kursieren zwei Fassungen, in denen der entscheidende Passus fehlt. Wahlweise werden sie als „Langfassung der UVS 1“, „Originalversion“ oder „Endfassung“ gehandelt.Der Nutella-Hersteller will’s soZumindest die hessische Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) müsste sich an das Original erinnern können. Sie hatte 1999 die Landesregierung gefragt, ob sie bereit sei, „die großen naturschutzfachlichen Bedenken, die bis zur Aussage des bestellten Gutachters der faktischen Unmöglichkeit des Baus der A 49 im Vogelsbergkreis reichten, zu berücksichtigen und gegebenenfalls auf den Bau der A 49 zu verzichten“. Auch Al-Wazir ist bereits seit 1995 Mitglied des Hessischen Landtags. Immerhin hat er gerade angeordnet, dass Teile der zukünftigen Entwässerung der Neubaustrecke noch einmal überprüft werden müssen.Vorangetrieben haben das Projekt über die Jahrzehnte vor allem die hessische SPD und CDU sowie Kräfte aus der Region: Viele Anwohner*innen der B3 sind den Durchgangsverkehr leid, Lokalpolitiker*innen spechten darauf, neue Gewerbegebiete zu errichten. Zu den vehementesten Verfechtern der A49 gehört der in Stadtallendorf ansässige Nutella-Hersteller Ferrero. „In einem multinationalen Unternehmen sind gute Verkehrsstrukturen unerlässlich zur Standortsicherung“, sagt ihr Prokurist Karl-Heinz Feußner. Besonders profitieren aber die Straßenbaukonzerne – in diesem Fall die Strabag Großprojekte GmbH und die Leonhard Weiss GmbH & Co. KG. Rund 1,45 Milliarden Euro sind für den Ausbau der A49 veranschlagt.Mit rund 13.200 Kilometer Autobahn und 38.000 Kilometer Bundesstraße verfügt Deutschland heute über eines der dichtesten Fernstraßennetze der Erde. Bis 2030 sind weitere 850 Kilometer Autobahn geplant. Ein Rechtsgutachten vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hält das für verfassungswidrig, weil „weder mit dem Ziel der Klimaneutralität noch mit Artikel 20a des Grundgesetzes vereinbar“, so Autorin Franziska Heß. Letzterer verpflichtet den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu schützen. Wie das Trinkwasser: Die Grundwasserstände haben sich in Mittelhessen bis heute nicht von den vergangenen Dürrejahren erholt.Gegen den A49-Ausbau war vor Gericht bislang nichts zu holen. Zwar bestätigte das Bundesverwaltungsgericht 2020, der Planfeststellungsbeschluss habe gegen europäisches Wasserrecht verstoßen, es stoppte den Bau jedoch nicht. Zwei weitere Klagen stehen noch aus. Obwohl bereits 2021 eingereicht, gibt es immer noch keinen Termin.Stattdessen wird offensichtlich versucht, mit dem Bau Tatsachen zu schaffen. Das Klima ist rau: Als Barbara Schlemmer von der „Aktionsgemeinschaft Keine A49“ an der Trasse Fotos macht, ruft ihr ein Baggerfahrer zu: „Wenn du nicht sofort aufhörst, komm ich dich nachts besuchen. Ich weiß ja, wo du wohnst.“ Einem weiteren Mitglied der Bürgerinitiative wurde mehrmals die Autoscheibe eingeworfen. Auf dem Hof eines früheren Besitzers des Dannenröder Waldes, der anfangs am A49-Widerstand beteiligt war, brannte es im vergangenen Jahr.Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Die Bauarbeiten im südlichsten Streckenteil gestalten sich schwierig: Mehrere Strommasten mussten bei Homberg/Ohm für die Trasse versetzt werden und finden keinen Halt im nassen Boden, sodass immer größere Fundamente gegossen wurden. „Als wir zuletzt da waren, haben drei Arbeiter sie mit dem Pressluftbohrer wieder herausgeholt“, erzählt Schlemmer. Die schwierigste Etappe hätten sie noch vor sich: „Bei Maulbach liegt eine geologische Platte, wo eine Sprengung eine gewisse Gefahr birgt. 2020 wollte da bereits Hessen Energie sprengen, um eine Leitung für einen Windpark zu verlegen.“ Aufgrund eines unter Verschluss gehaltenen geologischen Gutachtens sei der Antrag jedoch damals abgewiesen worden.Sollte die A49 aber zum Schluss doch noch fertiggestellt werden, dann haben die Proteste zumindest eines erreicht: Der Ruf nach einer Verkehrswende ist mit dem Protest im Danni lauter geworden.
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