Am liebsten würde Daphne Weber gar nicht über ihn reden: Diether Dehm, den „großen Patriarchen“ der Linkspartei, wie sie ihn nennt. Dabei war der im Landesverband Niedersachsen unterwegs und Weber trat dort, in Hildesheim, 2016 in die Partei ein. Als junge, selbstbewusste Frau sei sie schnell „ins Visier von Dehm“ geraten. Vor seinem „Sexismus und seinen Anfeindungen“ habe sie aber keine Angst gehabt. Trotzdem arbeitete Weber 2021 daran mit, dass er keinen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste mehr bekam – und aus dem Bundestag flog. „Er ist abgewählt und wir sollten die Mumien jetzt nicht mehr aus der Gruft holen, sondern in die Zukunft schauen“, meint sie. Apropos Zukunft, die von Weber könnte in Brü
52;ssel und Straßburg liegen: Dem Freitag verrät sie, dass sie für die Linkspartei ins Europaparlament einziehen möchte. Im November wird in Augsburg die Vertreterversammlung stattfinden, wo die Listenplätze vergeben werden. Dort möchte sie „aussichtsreich kandidieren“.Die Nummer eins wird wohl Parteichef Martin Schirdewan für sich beanspruchen. „Ich hoffe es und fände es richtig“, sagt Weber. Doch auch sie ist in der Partei keine Unbekannte mehr: 2021 wurde Weber in den Bundesvorstand gewählt, 2022 erhielt sie bei der Wiederwahl mit fast 75 Prozent der Delegiertenstimmen sogar das beste Ergebnis aller Kandidierenden. Weil mit Tobias Bank und Harald Wolf schon zwei Männer die Positionen des Bundesgeschäftsführers respektive Bundesschatzmeisters ergattert hatten, wurde Weber in den zehnköpfigen geschäftsführenden Parteivorstand nachgewählt, um die Geschlechterquote zu erfüllen.Hip und jung sind die EU-Abgeordneten der Linkspartei nicht. Durchschnittsalter der fünf Genossinnen und Genossen: 57. Mit Daphne Weber, 28, würde sich eine woke Linke dazugesellen, eine mit dünnem Rahmen um ihre gelegentlich getragene Brille und einer Regenbogenflagge im Twitter-Profil. Ihre kulturwissenschaftliche Masterarbeit schrieb sie in Hildesheim bei der She-She-Pop-Künstlerin Annemarie Matzke. Sie wäre früher in die Linke eingetreten, sagt sie, aber zuvor habe sie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet. Dort habe sie ihre Verfassungstreue schwören müssen, um genommen zu werden. Auch die Linke habe auf der Liste jener Organisationen gestanden, in denen man nicht Mitglied sein durfte – neben Rechtsextremisten, al-Quaida und anderen Terrororganisationen. „In Bayern herrscht eine härtere Gangart gegen Linke.“ Hätte sich Weber der nicht entgegenstellen müssen? Aber sie nahm den Unijob und verschob den Klassenkampf.Politisiert hat sich Weber im Kampf gegen die AfD. Und in der evangelischen Kirche. Immerhin wuchs sie auf dem Dorf auf, bei Ulm, da waren gelegentliche Kirchentage eine willkommene Abwechslung: Es ging um Frieden und gerechten Welthandel. Dieser linke Protestantismus hat Weber beeinflusst. Obendrein besuchte sie dieselbe Schule wie Sophie Scholl. An deren christlich motivierten Widerstand der Weißen Rose gab es eine lebendige Erinnerungskultur. Ende März war sie in Mexiko-Stadt: als Gründungsmitglied der Feministischen Internationale, deren erstes Treffen dort stattfand.Daphne Weber will am Pazifismus festhaltenAls „gefährlichsten Mann Europas“ bezeichnet Weber den deutschen Finanzminister Christian Lindner (FDP). Der sei ihr „Feindbild“. Immerhin würde der eine Lockerung der Schuldenregeln auf europäischer Ebene verhindern. Der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Aufbaufonds ist dafür gedacht, die von der Pandemie besonders betroffenen EU-Länder zu unterstützen. Es ist das erste Hilfspaket, das die EU durch gemeinsame Schulden finanziert hat. „Das geht in die richtige Richtung“, findet Weber. So was könnte auch zur Bekämpfung des Klimawandels vorbildhaft sein. „Was wir brauchen, ist ein sozialistischer Green Deal.“ Aber Lindner? Spart.Als sich Weber mit dem Freitag auf der Berliner Straße des 17. Juni trifft, wo sie 2018 an der großen „Unteilbar“-Demo gegen Rassismus teilnahm, läuft sie irgendwann an den ausrangierten sowjetischen Kriegspanzern vorbei. Wo steht sie beim Thema Ukraine? Einen Satz der EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) fand sie schlimm, vergangenes Jahr hatte die gesagt: „Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben.“ Welche Werte?, fragt Weber. In der EU gebe es vier Millionen Obdachlose! Sie ist gegen Waffenlieferungen und hier, irgendwo bei der Siegessäule, hatte ihr der Linken-Politiker Jan van Aken bei einer Demo auf die Schulter geklopft und gesagt, dass man trotz des Ukraine-Krieges am Pazifismus festhalten müsse – weil am Ende der Frieden obsiegen würde.Auch das „blutige Geld“ der Rüstungsindustrie kritisiert Weber und will die Branche verstaatlichen. Und die Rheinmetall-Aktionäre? Könnten doch in der Pflege arbeiten! Puh, solche Thesen dürften ihr um die Ohren fliegen, sollte sie es in der Parteihierarchie ganz nach oben schaffen. Dann wird ihr Springer entgegenbrüllen: Zwangsarbeit! Noch ist Weber aber nicht bekannt genug für solche Skandale.Aber bald? Im EU-Parlament gilt die Faustregel: Pro Prozent Stimmenanteil einer Partei zieht ein Abgeordneter ein. Wenn die Linke es auf fünf Prozent bringen sollte, müsste Weber einen der ersten fünf Listenplätze ergattern. Könnte klappen. Aber erst mal muss sie ihre Dissertation über „politische Parolen“ fertig schreiben. Sollte sie auch schaffen: Die Europawahlen sind voraussichtlich im Frühjahr 2024. Bleibt zu fragen, wie ihre Lieblingsparole lautet? „Den Fürsten keinen Pfennig!“, antwortet Weber. Mit dem Slogan hatten Linke 1926 für den Volksentscheid zur Fürstenenteignunggeworben. Der ist aber gescheitert. Trotz 14,5 Millionen „Ja“-Stimmen.