Darauf einen Chardonnay

Milieustudien Elke Heidenreichs Erzählungen handeln vom Altern und von Menschen in Medien

Wenn die Jahre voranschreiten und das aufgehäufelte Leben als Nostalgiereservoir genutzt wird, was liegt da näher als ein wenig Alkohol, begleitet von der nölenden Stimme Bob Dylans? Sollen doch die Soziologen erklären, dass ein Lebenslauf weder eine gerade noch eine krumme Linie ist, sondern nur aus Punkten besteht, die zu einem je bestimmten Zeitpunkt im sozialen Feld eingenommen wurden. Was hilft das schon, wenn die Pensionierung naht und Trost allein aus dem Umstand zu gewinnen ist, dass die anderen Karriere gemacht haben, alldieweil das Ergebnis so unerfreulich ausschaut, dass Mitleid noch die menschenfreundlichste Regung ist.

Bei Elke Heidenreich singt Bob Dylan, aber nicht "The times, they are a-changin´", sondern "It´s alright Ma, I´m only bleeding" und deshalb sind ihre Erzählungen frei von diesem pseudo-reflexiv-kritischen Getue, das ihre Generation perfektioniert hat. Vermutlich steht bald, geht die 68er-Generation erst in Rente, eine Abrechnungs,- Erinnerungs- und Rekapitulationsflut ins Haus, gegen die Wolfgang Kraushaar ein harmloser Waisenknabe sein dürfte. Ob man darin auch wird lesen können, dass es einst eine Zeit gab, in der "Schafft alles ab" an die Wände gesprüht wurde?

Die Erzählungen in Heidenreichs Band Der Welt den Rücken variieren mehrere Motive. Meist sind es alternde, mal mehr, mal weniger erfolgreiche Intellektuelle, die beschrieben werden, und je karriereschärfer sie ausschauen, desto boshafter werden sie karikiert. Der Filmregisseur etwa, der endlich in Santa Monica angekommen ist und Dustin Hoffman kennt, ist die Hauptfigur in einer allerdings sehr konventionellen Satire. Wenn die Autorin konkreter und mit Liebe zum Detail erzählt, verschwindet das Klischee und es gelingen ihr boshafte Beschreibungen und originelle Love-Stories. In Ein Sender hat Geburtstag begibt sie sich in eine Rundfunkanstalt, die ein Jubiläum feiert und zu diesem Zweck eine "Kulturecke" und eine "Witze-Box" eröffnet hat, in denen zu einigen Flaschen Chardonnay die Kulturkämpfe von einst erinnert werden. In Der Tag als Boris Becker ging dient ihr der berufliche Lebenslauf eines Simulakrums als Rahmen, um in einer Momentaufnahme das Los einer Gruppe zu beschreiben, in der die Erinnerung an alte 68er Zeiten immerhin noch für ein erzählenswertes Maß an Alltagsrenitenz taugt.

Wer diese Erzählungen liest, könnte auf den Gedanken verfallen, dass Elke Heidenreich die Medien nicht mag, nicht nur wegen aufdringlicher Medienfiguren, sondern weil dort Personen zu etwas mutieren, das noch nicht Alien, aber auch nicht mehr so ganz Mensch ist. Genauso gut wäre zu vermuten, dass sie Medien interessant findet, weil dort so komische Sachen passieren. Welche dieser Vermutungen zutrifft, ist schwer zu entscheiden, womöglich je nach Tagesform beide. Damit die Erzählungen nicht zu schlichten Satiren werden, hat Heidenreich immer wieder Fallstricke eingebaut. Im Rundfunk trifft zum Beispiel der jüdische Kinderfunkredakteur, der das KZ überlebt hatte, auf seine Kollegin vom Frauenfunk, die noch immer von ihrer Zeit als BDM-Mädel schwärmt. Ideen wie diese und zahlreiche Details, Kleidungsstücke, Accessoires aller Art, zeittypisch und mit hohem Wiedererkennungswert versehen, heben das Kolorit, und da die Autorin eine menschenfreundliche Widerborstigkeit an den Tag legt, sind ihre Erzählungen gut lesbare Milieustudien.

Etwas ernster wird es immer, wenn es um die Liebe geht. Eine Frau ist mit ihrem Comingout beschäftigt und hat ihre spießige Mutter am Hals, die in dunklen Andeutungen von einer schönen Zeit in ihrem Leben raunt. Nach ihrem Tod kommt heraus, dass dies im Krieg war, der Mann war unabkömmlich auf dem Feld der Ehre, und auf einem alten Foto steht sie dann, Händchen haltend mit einer anderen Frau. Das ist rührend und, so wie es erzählt wird, weder platt noch klischeehaft.

Elke Heidenreich: Der Welt den Rücken. Erzählungen. Hanser Verlag, München 2002, 192 S., 15,90 EUR

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