Das alte Lied

Verschwörungsgeschwurbel Für Xavier Naidoo ist nicht nur alles sagbar. Es ist sogar singbar – sofern es ganz weich und mit viel Gefühl daher kommt
Ausgabe 19/2017
"Freiheit für Deutschland", fordert Naidoo auf einer Montagsmahnwache
"Freiheit für Deutschland", fordert Naidoo auf einer Montagsmahnwache

Foto: imago/Christian Ditsch

Es ist das alte Lied, buchstäblich wie sprichwörtlich. Xavier Naidoo singt oder sagt Fragwürdiges, und die vollautomatische Diskurswaschanlage springt an. Diesmal entzündet sich die Debatte um Deutschlands liebsten Soulsänger an einigen Texten auf dem neuen Album seiner Band, der „Söhne Mannheims“. Naidoo bringt darin seine üblichen Vorbehalte gegen Politiker zum Ausdruck. „Wenn ich nur einen in die Finger bekomme, dann zerreiß ich ihn in Fetzen“, singt er in Marionetten, „da hilft auch kein Verstecken mehr hinter Paragrafen und Gesetzen.“ Aber Naidoo stellt Vergebung in Aussicht, „wenn ihr einsichtig seid“, andernfalls „sorgt der Bauer mit der Forke dafür“, dass die „Volks-in-die-Fresse-Treter“ schmerzhaft an „unsere Grenzen“, also die Grenzen des sogenannten gesunden Volksempfindens stoßen.

Mit ähnlichen Äußerungen ist der 45-Jährige bereits in der Vergangenheit aufgefallen, als er „Baron Totschild“ und andere jüdische „Schmocks“ und „Füchse“ zum Gegenstand seiner politischen Betrachtungen machte. „Wo sind unsere Helfer, unsere starken Männer, wo sind unsere Führer?“, fragte an anderer Stelle der Popstar – der zugleich mit dem Verein „Brothers Keepers“ gegen rechte Gewalt kämpft, vor selbsternannten Reichsbürgern auftrat und mit Dieser Weg die Hymne für die patriotische Wiedergeburt der Nation zur WM 2006 geschrieben hat.

Das Problem sind nicht Naidoos Meinungen, die sich vom wirren Weltbild des gemeinen Internet-Trolls nicht unterscheiden. Das Problem ist seine enorme Popularität, die zu einem guten Teil auch aus seinem Habitus resultiert: „frei zu denken“ und sich „nicht den Mund verbieten zu lassen“, wie es heute so oft und so gern heißt. Die Frage, was 2017 in Deutschland an identitärem und antisemitischem Verschwörungsgeschwurbel sagbar ist, beantwortet Naidoo denkbar aufreizend. Alles ist nicht nur sagbar. Es ist sogar singbar – sofern es ganz weich und mit viel Gefühl daher kommt. Und sofern es nicht die Marke und damit die Geschäfte schädigt (wie jüngst beim ESC, von dem Naidoo erst nach Protesten ausgeladen wurde). Naidoo ist auch Träger der ehrenwerten Schillerplakette, mit der ihn Mannheim für „besondere Verdienste um das kulturelle Leben der Stadt“ ausgezeichnet hat. Da macht es die Stadtväter sauer, dass der berühmte Sohn seinen Job als Maskottchen nicht geräuschlos erledigt.

Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) hat deshalb seinen Vorzeigekünstler zu einem „klärenden Gespräch“ gebeten, das drei Stunden währte. Das Aufbrodeln des Schwachsinns aus den Kloaken der Anonymität, diese Autoimmunschwäche unserer Gesellschaft, sie wurde hier, mit ödipalen Untertönen, auf familiärer Ebene verhandelt. Gerade so, als träfe sich ein Konzern mit seinem unbotmäßigen Werbeträger – nur dass es hier keinen Vertrag zu lösen gibt.

Entsprechend erwartbar auch die gemeinsame Linie, die Naidoo in einem offiziellen Statement am Dienstag verkünden durfte. Darin ergreift er „ein Wort für die Kunst“ und räumt ein, sein „Unterbewusstsein“ habe „ganz sicher Einfluss auf die Entstehung“ des „missverständlichen“ Songs gehabt. Gerade seine Herkunft „mit meiner südafrikanisch-irischen Mutter und meinem indisch-deutschen Vater“ mache ihn zu einem „multikulturellen Menschen“, erwähnt wird auch ein „geliebter jüdischer Patenonkel“. Er, Naidoo, stehe „voller Liebe und Überzeugung“ für eine „offene, freiheitliche, liberale und demokratische Gesellschaft“. Das alte Lied also.

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