Wiedergutmachung Der Zusammenstoß zwischen der deutschen Marine und der israelischen Luftwaffe vor der libanesischen Küste hat eine geschichtsträchtige Neuralgie offengelegt
Dass deutsche Militäreinheiten mittlerweile wie selbstverständlich bei internationalen, die deutsche Sicherheit nicht unmittelbar tangierenden Missionen eingesetzt werden, mag zweckrational begründet werden. Denn verfolgt das Mandat eines solchen Einsatzes den Auftrag von "peace enforcement" und darf sich dabei noch auf eine international institutionalisierte Legitimation berufen, so ist in der Sache selbst nicht einzusehen, warum gerade deutsche Truppen von solch weltgemeinschaftlicher Befriedungspraxis ausgeschlossen werden sollen. Nicht von ungefähr sind schon vor Jahren (primär US-amerikanische) Stimmen laut geworden, Deutschland möge sich gefälligst nicht seiner Verantwortung entziehen und seinen aktiven militärischen Beitrag zur gewaltbereiten
en Aufzwingung des Friedens in der Welt leisten (und diese nicht immer nur finanzieren wollen).Vergessen wird dabei, weshalb Deutschland - die alte Bundesrepublik zumal - sich über Jahrzehnte eines internationalen Einsatzes seiner Armee enthalten hat. Es gab gute historische Gründe, warum in der westdeutschen Nachkriegsära das Asylrecht und der Nichteinsatz deutscher Truppen für internationale Operationen mehr oder minder tabuisiert wurde. Beide Tabus hat man freilich in den 1990er Jahre gebrochen. Es bedurfte gleichwohl nicht weniger als einer rot-grünen Instrumentalisierung von Auschwitz, um den Kampfeinsatz deutscher Flieger im Kosovo vor sich selbst, nicht minder aber vor der erstaunt aufblickenden (linken) deutschen Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Dass man sich dabei auf die deutsche Vergangenheit berief, nebenher aber gerade kraft solcher Berufung aufs Vergangene mutatis mutandis auch ein Stück "Normalität" absahnen durfte, ist schon bemerkenswert. Waren es ja jene, die in den 1960er Jahren angetreten waren, das restaurative bundesrepublikanische Beschweigen der deutschen NS-Vergangenheit zu bekämpfen, welche - nunmehr zur politischen Klasse avanciert - die Maximen ihres politischen Selbstverständnisses ins inhaltlich Gegenteilige verkehrten, um deutschen Gewalteinsatz im Namen ebenjener Maximen zu legitimieren. Niemand wäre auf die Idee gekommen, gerade ihnen vorzuwerfen, an einer Neubelebung des verhängnisvollen historischen deutschen Militarismus interessiert zu sein. Aber ihren eigenen Beitrag zur Wiederherstellung deutscher "Normalität" haben sie, eher volens als nolens, allemal geleistet. Man stelle sich vor, wie sie Jahre zuvor - als ehedem außer- und dann parlamentarische Oppositionelle - dem vergleichbaren Ansinnen einer regierenden CDU begegnet wären.Und nun also der Einsatz der deutschen Marine im Nahen Osten. Mandatiert ist dieser zwar durch die UNO, durch eine überparteiliche Institution also mit entsprechender Ausrichtung auf den Aktionsauftrag und seine Legitimationsgrundlage; weder von israelischer noch von deutscher Seite wird er aber offenbar als solcher begriffen. Die Begeisterung des israelischen Premierministers für diesen Militäreinsatz rührte daher, dass er in Deutschland Israels verlässlichsten Politpartner in Europa sieht, während die deutsche Bundeskanzlerin es sich nicht nehmen ließ, den Einsatz der Marine im Nahen Osten mit der Sicherung der Existenz Israels zu begründen. Allen Beteiligten dürfte dabei klar sein, dass Israel es nicht nur nie zulassen würde, bei der Sicherung seiner Existenz auf Deutschland (oder auf sonst ein Land in Europa) angewiesen zu sein, sondern dass es darüber hinaus weder beim jüngst abgelaufenen Libanonkrieg selbst noch bei seinen militärischen wie politischen Folgen auch nur eine Sekunde lang um Israels Existenz und deren Sicherung ging und geht. Das Gerede darüber ist pure Ideologie. Was aber den Worten des israelischen Premiers und der deutschen Kanzlerin zugrunde liegt, ist gerade ihr Bewusstsein vom Prekären der deutschen Mission an der libanesischen Küste - einem Prekären, welches in den Zwischenfällen zwischen der deutschen Marine und der israelischen Luftwaffe seine zwangsläufige Manifestation erfahren hat, so als gelte es, das weihevoll moralisierende Politgerede seines Ideologischen zu überführen.Denn man stelle sich vor, die Zwischenfälle wären blutig ausgegangen, es hätte Tote und Verletzte gegeben. Kaum auszudenken, welche öffentliche Reaktion die Tötung israelischer Soldaten durch deutsche in Israel gezeitigt hätte. Ähnliches, wiewohl anders konnotiert, wäre im umgekehrten Fall in Deutschland zu erwarten. So schlimm es an sich schon ist, gewönne ein solches Ereignis seine Brisanz und politische Sprengkraft weniger durch die reale Katastrophe des verlorenen Menschenlebens (welches man unter anderen - "normalen" - Umständen als unumgänglichen Preis bei jeder militärischen Kampfhandlung zu verbuchen geneigt wäre), sondern vielmehr durch seinen geschichtlichen Symbolwert. So zynisch und unverfroren dieser Symbolwert oft instrumentalisiert, so inadäquat er zumeist für ein vermeintliches Gedenken vereinnahmt wird, lässt sich schlechterdings nicht leugnen, dass er noch immer eine gewaltige, facettenreiche Wirkmächtigkeit unter den als "Juden" und "Deutsche" kodierten Kollektivitäten ausübt.Vor diesem historisch neuralgischen Hintergrund wäre zu fragen, was es mit der Ideologie der Existenzsicherung Israels durch Deutschland über die aktuellen Vorkommnisse hinaus auf sich habe. Es ist beim Konnex "Deutschland-Israel" ja nie ernsthaft erörtert worden, was in wessen Namen an wem "wiedergutgemacht" werden soll. Dass es eine Materialisierung der Sühne gegeben hat, ist bekannt. Dass diese im Interesse beider Seiten, Deutschland und Israel, lag, ebenfalls: Die alte BRD, von den USA errichtete Polit- und Wirtschaftsbastion gegen die befürchtete Expansion des Kommunismus, zahlte für ihre Reintegration in die Völkergemeinschaft und ihre wirtschaftswunderliche Einbindung in den Westen. Israel brauchte das Geld, um die Infrastruktur des jüngst gegründeten Staates ausbauen und die Einwanderungswellen der 1950er Jahre absorbieren zu können. Dafür wurde der israelischen Bevölkerung staatsoffiziell ein "anderes Deutschland" verkauft, wie denn die BRD nach und nach in Israel das eher abstrakte Politgebilde, das aus der von Deutschland verursachten Menschheitskatastrophe hervorgegangen war, sehen durfte, an dem das Verbrochene pauschal "wiedergutgemacht" werden konnte. Dass dabei Israel als mögliche, aber eben nicht einzig mögliche "Schlussfolgerung" aus der Shoah zu begreifen sei, mithin der suggerierte Kausalnexus für so manchen - nicht zuletzt angesichts der realen politischen und militärlogischen Entwicklung Israels selbst - eher prekär erscheinen mag, wird geflissentlich übersehen: Sind sich doch "Juden" wie "Deutsche" über die Unhinterfragbarkeit dieser "Lehre aus Auschwitz" einig.Schon deshalb kann Deutschland aber in der Region des Nahen Ostens nicht neutral auftreten. Es würde sich ja dessen berauben, was die Grundlage seiner durchaus zweckdienlich selbstauferlegten Wiedergutmachungs-Ideologie bildet. Israel könnte seinerseits nicht zulassen, dass Deutschland in dieser Region neutral auftrete. Jegliche Neutralität würde unweigerlich die Grundlage seines Bezugs auf Deutschland als zweckdienlich erwünschte Wiedergutmachungs-Nation unterwandern. Die Neuralgie der Beziehung beider Staaten schreibt strikte Regeln des gegenseitigen Aufeinander-angewiesen-Seins vor, eine Neuralgie, in der das Prekäre ideologisch prästabilisiert ist. Das ist es, was Olmerts und Merkels Einvernehmen im Hinblick auf den Einsatz der deutschen Marine an Libanons Küste bestimmte. Das ist es, was die Militärlogik der aufeinander treffenden deutschen Marine und israelischen Luftwaffe als letztlich ideologisch entlarvte. Denn entweder geht es um einen von der UNO mandierten Auftrag, welchen die deutschen Truppen sachgemäß auszuführen hätten - dann könnte es aber zwischen "Juden" und "Deutschen" krachen, und zwar blutig. Oder aber es handelt sich um eine (gleichsam augenzwinkernde) deutsch-israelische Übereinkunft - dann freilich hätte die deutsche Marine, zumindest im Sinne ihres offiziellen Auftraggebers, nichts im Nahen Osten zu suchen.Moshe Zuckermann, geboren 1949 in Tel Aviv. Lehrt Geschichte und Philosophie an der Universität in Tel Aviv. Soeben erschien im Wiener Passagen-Verlag sein Band: Israel-Deutschland-Israel. Reflexionen eines Heimatlosen.
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