Das bleibt nicht ohne Folgen

Tarifflucht Wenn gewerkschaftliche Gegenmacht schwindet, muss man sich nicht wundern, dass das Kapital jegliche Hemmungen verliert
Ausgabe 29/2018
Real galt bislang als die gewerkschaftliche Hochburg im Einzelhandel schlechthin
Real galt bislang als die gewerkschaftliche Hochburg im Einzelhandel schlechthin

Foto: Jens Koehler/Imago

Verdi liegt derzeit im offenen Clinch mit der Supermarktkette Real. Die Metro-Tochter hat die Tarifverträge gekündigt und wird Neueingestellten künftig rund ein Viertel weniger Lohn zahlen, Spätarbeitszuschläge entfallen komplett. In der „christlichen“ Gewerkschaft DHV stand Real hierbei ein bereitwilliger Komplize zur Seite.

Metro-Chef Olaf Koch begründet den Schritt mit zu hohen Kosten. Doch die sind nicht zuletzt einer verfehlten Verkaufsstrategie geschuldet: Wer einen der riesigen Real-SB-Märkte betritt, wundert sich über das Gemischtwarenangebot von Fahrrädern und Unterhaltungselektronik in menschenleeren Abteilungen. Experten für den Einzelhandel sind in Deutschland wohl ausgestorben – die Idee, man könne das Steuer durch die Senkung von Löhnen herumreißen, ist es offensichtlich nicht.

Schon wurden die ersten 800 Neueinstellungen auf Grundlage des Dumpingtarifs vorgenommen. Verdi reagiert nun mit Streiks; in fast der Hälfte der bundesweit 281 Real-Märkte legten Beschäftigte jüngst die Arbeit nieder. Das Geschäft lief trotzdem überall weiter, das Unternehmen sprach süffisant von Arbeitsniederlegungen „einzelner gewerkschaftlich organisierter Mitarbeiter“.

Das ist bitter, weil Real bislang als die gewerkschaftliche Hochburg im Einzelhandel schlechthin galt. Die Katastrophe kommt allerdings mit Ansage: Das Unternehmen hatte den Ausstieg vor dreieinhalb Jahren angekündigt. Verdi reagierte damals mit einer Demo vor der Aufsichtsratssitzung des Metro-Konzerns – 1.200 der damals noch 38.000 Beschäftigten kamen. In der Folge konnte Real Zugeständnis um Zugeständnis abpressen – bis es nun die Tarifflucht endgültig gemacht hat. Für die Tarifbindung des Handels, die auf rund 30 Prozent gesunken ist, wird diese Zäsur schwerwiegend sein. Noch sind Kaufland, Edeka und Rewe tarifgebunden – wenngleich mit großen Lücken. Das Signal, das von der Entscheidung bei Real ausgeht, wird hier nicht ohne Folgen bleiben. Ein Gewerkschafter drückt es so aus: „Wenn die sehen, dass wir in unserer Hochburg Real keinen Blumentopf gewinnen, werden die mit uns nicht mal mehr würfeln.“

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