Das Buch der Stunde

Klimawandel Politik, Wirtschaft, Lehrkräfte und Science-Fiction-Fans: Lest diesen Roman!
Ausgabe 47/2021
In Kim Stanley Robinson Buch „Das Ministerium für die Zukunft“ bedroht eine Hitzewelle Mensch und Natur
In Kim Stanley Robinson Buch „Das Ministerium für die Zukunft“ bedroht eine Hitzewelle Mensch und Natur

Foto: Fadel Senna/AFP/Getty Images

D ieses Buch kommt mit einer guten und einer schlechten Nachricht. Die gute richtet sich an die vom Weltklimagipfel enttäuschte Generation Greta: Die große Veränderung, auf die ihr in der Klimapolitik händeringend wartet, tritt nicht aufgrund politischer Erkenntnis ein. Die schlechte richtet sich an uns alle: Die Veränderung kommt erst nach einer Katastrophe. Und die wird so verheerend ausfallen, dass sie den Schalter nicht nur in unseren Gehirnen, sondern auch in Politik und Wirtschaft umlegt.

In Kim Stanley Robinsons Das Ministerium für die Zukunft ist es eine Hitzewelle, die Mitte der 2020er Jahre in Indien Millionen Tote fordert. Die viel zu hohe „Feuchtkugeltemperatur“ führt dazu, dass die Menschen bei lebendigem Leib „wie ein Braten im Backrohr“ geröstet werden. Dies ruft nicht nur die indische Regierung auf den Plan, die zu ungewöhnlichen Sofortmaßnahmen greift, sondern auch eine UN-Agentur, die den Auftrag hat, für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens zu sorgen. Während deren Personal auf dem diplomatischen Parkett um Lösungen ringt, bildet sich im Namen der indischen Göttin Kali eine weltweite Guerilla, die mit Anschlägen und Sabotageakten den größten Klimasündern zu Leibe rückt.

SciFi-Autor Kim Stanley Robinson, der mit seiner Mars-Trilogie neue Maßstäbe setzte, hat das Buch der Stunde geschrieben. Er liefert den Beweis, dass die Amerikaner:innen den Klimawandel wenigstens literarisch angehen, während die deutsche Gegenwartsliteratur weitgehend stumm bleibt (der Freitag 44/21). In seinem neuen Roman sucht er nach einer Antwort auf die drängendste aller Fragen, nämlich wie die menschliche Zivilisation ohne Wohlstandsverlust durch die nächsten Dekaden kommen soll, ohne sich ihrer Lebensgrundlagen zu berauben.

Die alles auslösende Katastrophe wird von dem Entwicklungshelfer Frank so hautnah geschildert, dass schon beim Lesen der Schweiß ausbricht. Frank trifft im Laufe des Romans auf Mary, die zweite Hauptfigur in diesem grandiosen Pageturner, die die besagte UN-Agentur, das Zukunftsministerium, leitet. Sie sind wie Antagonisten im Kampf gegen den Klimawandel. Während sich Frank als Überlebender der tödlichen Hitzewelle auf die Seite der radikalen Klimaterroristen schlägt, vertraut Mary als langjährige Diplomatin der politischen Lösungskompetenz. Immer wieder trommelt sie die Weltgemeinschaft zusammen, um am grünen Tisch die Führer:innen der Welt in die Verantwortung zu nehmen.

Anti-fossiler Terror

Wie man den Berichten eines Ingenieurs entnehmen kann, sägt derweil die fossile Weltwirtschaft unerbittlich an dem Ast, auf dem sie sitzt. Grünes Geoengineering kann zwar einige Katastrophen verhindern, soziale Unruhen jedoch nicht. Das Zukunftsministerium geht deshalb weiter und schlägt ein Konzept vor, das auf Belohnung statt auf Bestrafung setzt. Emissionen werden hier nicht besteuert, sondern Menschen werden mit einer neuen Kryptowährung belohnt, wenn sie sie verhindern. Eine geniale Idee, bei der Robinson ganz nebenbei die Blockchain-Technologie mit dem System der Zentralbanken versöhnt. Doch ganz ohne Gegenwehr wollen die fossilen Kapitalisten nicht aufgeben. Das ruft wiederum jene auf den Plan, die auch vor Klimaterror nicht zurückschrecken.

Robinson bastelt in Das Ministerium für die Zukunft aus technischer Innovation, revolutionärem Geist und unbändigem Optimismus an einer CO2-negativen Welt. Plausibel verbindet er wissenschaftliche Fakten, technologische Möglichkeitenund psychologische Motive, lässt Umweltaktivist:innen aus aller Welt die globalen Herausforderungen und kollektive Lösungsansätze diskutieren. Das ist nicht spekulativ, sondern visionär. Den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, Lehrkräften und Eltern sei gesagt: Lest dieses Buch! Es ist nicht nur sensationell gut geschrieben, sondern zeigt, dass eine lebenswerte Zukunft möglich ist. Wenn man bereit ist, die Konsequenzen aus dem zu ziehen, was wir bereits wissen. Ansonsten droht Klimaterror.

Das Ministerium für die Zukunft Kim Stanley Robinson Paul Bär (Übers.), Heyne 2021, 720 S., 17 €

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