Das Defizit-West könnte zum Problem-Ost werden

PDS Viola Neu, Politologin von der Konrad-Adenauer-Stiftung, über die Zukunftsperspektiven der PDS und ihres Reformerlagers

"Am Ende der Hoffnung. Die PDS im Westen" heißt eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Die Politologin Viola Neu untersucht darin die politischen Einstellungen und die Sozialstruktur von Wählern und Mitgliedern der PDS im Westen. Ihr Ergebnis: Das gesamtdeutsche Projekt ist gescheitert. Die PDS hat auf die Untersuchung schon mit einer Gegenstudie geantwortet. Sie sieht das Wählerpotenzial der PDS weiter bei 6 Prozent.

FREITAG: Ihre Studie geht nicht nur davon aus, dass die Chancen für die PDS im Westen geringer werden, sondern sie sagt, dass es keine Chancen mehr gibt.

NEU: Es stellt sich ja die Frage, ob diese Chancen jemals richtig existiert haben, genauer, ob es sich nicht um ein Gründungsdefizit handelt. Dieses Defizit war schon 1990 erkennbar: Die Strukturen und die Personen, mit denen die PDS versuchte, die Partei im Westen aufzubauen. Mit dem Personenkreis, war der Versuch von vorneherein zum Scheitern verurteilt war.

Warum?

Der Personenkreis, der im Westen zur PDS gekommen ist, war dort schon lange zu politischer Einflusslosigkeit verdammt. Die PDS hatte in erster Linie Zulauf vom "Reformer"-Flügel der DKP, dem Kommunistischen Bund (KB), der Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) und dem Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK). Diese häufig als Sektierer bezeichneten Personen setzten ihre Kämpfe in der PDS fort. Der Zulauf kam also von einer Reihe von ideologisch zersplitterten, sich auch untereinander feindselig begegnenden Gruppen. Und ich glaube, das war für die PDS ein erhebliches Gründungsdefizit.

Hätte es andere Möglichkeiten gegeben, um die PDS im Westen besser verankern zu können?

Die PDS hätte nur mit einer neuen - auch im Westen attraktiven Programmatik überzeugen können. Aber dafür war und ist im Parteiensystem im Westen kein Platz, da die SPD und die Grünen fast das gesamte linke Spektrum abdecken.

Wird sich die Partei von dem Abtritt Biskys und Gysis besonders im Westen noch erholen können?

Biskys Rückzug als Parteivorsitzender hat im Westen weniger Auswirkungen. Bei Gysi gehe ich aber schon verstärkt davon aus, dass seine, dann fehlende Kommunikationskraft im Westen negativ wirkt. Allerdings kann ich auch hier nicht ausschließen, dass es eine Parallele zu Joschka Fischer gibt, der unglaubliche Popularitätswerte hat, allerdings keine zusätzlichen Wählerstimmen für die Grünen bringt. Ob Gysi also tatsächlich ein starker positiver Faktor im Westen war, müsste man noch genauer prüfen. Und das kann man erst tun, wenn er auch tatsächlich zurückgetreten ist, wobei ich es auch für unwahrscheinlich halte, dass er sich aus der Politik ganz zurückzieht.

Die PDS verteidigt sich gegen ihre Arbeit mit einer eigenen Studie. André Brie geht darin davon aus, dass sich das Wählerpotenzial im Westen positiv entwickeln wird. Drei Gründe: Der Zuzug von Ost nach West würde sich positiv auf die Wahlerfolge im Westen auswirken Das Potenzial an weiblichen Wählern sei noch nicht ausgeschöpft. Und drittens: Die PDS werde dort für junge Wähler immer attraktiver.

Empirisch ist das Wahlverhalten der Ost-West-Umzüge nicht messbar. Und nach dem, was wir bislang über Ostdeutsche wissen, die in den Westen gingen, wählen sie eher konservative Parteien. Eine wachsende Attraktivität bei jungen Wählern, insbesondere bei jungen weiblichen Wählern, kann anhand des Wahlverhaltens - hier der repräsentativen Wahlstatistik - auch nicht bestätigt werden. Hier sehe ich kein anwachsendes mobilisierbares Potenzial, das brach liegt.

Sie sprechen von dem kommenden Parteitag in Cottbus als einem Schlüsselparteitag für die PDS?

Ja, es ist ein Schlüssel für den Osten, aber nicht mehr für den Westen. Die Signalwirkung hätte von Münster ausgehen können, als die PDS versuchte, die Themen der Grünen zu diskutieren. Wenn sich die PDS auch programmatisch radikalisiert, hat das eher negative Auswirkungen auf den Osten. Ich glaube nicht, dass im Osten eine große Akzeptanz dahingehend besteht, dass sich die alten Ideologien der SED wieder auf den Vormarsch machen sollten. Ich glaube, das wäre für die PDS sehr schädlich.


    Aus der Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung über die PDS:

    "Kleine Anzahl fluktuierender Protestwähler ..."

    Zu den bislang offenen Fragen gehört, ob die PDS im Westen an die "Erfolge" der DKP/KPD anknüpft, oder sich ein eigenes Wählerpotenzial erschlossen hat. Von der Beantwortung der Frage hängt es ab, wie die Erfolgsaussichten der PDS zu bewerten sind. Wenn es sich lediglich um das Anknüpfen an ehemalige Erfolge der kommunistischen Sektiererparteien handelt, sind auch die weiteren Erwartungen um eine mögliche Steigerung des Potenzials eher als gering zu bewerten. Ist es der PDS hingegen gelungen, in das Wählerreservoir der Grünen oder der SPD in nennenswertem Umfang einzudringen, hat sie auch in Zukunft die Chance, ihr Wählerpotenzial konstant auszuweiten. Da die Grünen insbesondere in den ersten Jahren von einem zum Teil kommunistisch-sozialistisch orientierten Milieu mitgetragen wurden, ist ein Wechsel gerade dieser Klientel zur PDS nicht auszuschließen. Beachtet man zunächst das Wahlergebnis der 1990er Bundestagswahl, scheint sich die These zu bestätigen, dass die PDS fast ausschließlich ehemalige Grünen-Wähler erreichte (bei einem Wahlergebnis von 0,3 Prozent). Hätte die PDS auch bei den darauffolgenden Wahlen überdurchschnittliche Zugewinne bei den Grünen erzielen können, würde das für einen kontinuierlichen Zuwachs aus dem Grünen-Potenzial sprechen. Allerdings sind nicht nur die absoluten, sondern auch die relativen Zuwächse im Westen sehr gering. 1994 erreichte sie 1,0 und 1998 1,2 Prozent. Daher scheint es plausibel, dass die PDS nicht in die breite Grünen-Wählerschaft vordringen konnte, sondern nur in die ideologischen Randbereiche. Der Zuwachs der PDS aus dem Grünen-Potenzial war auch bei den Wahlen 1998 gering. Hierbei ist zu bedenken, dass die Grünen generell Wähler für sich gewinnen können, deren Wahlverhalten häufig von Protestmotiven bestimmt wird. Dieses Protestpotenzial fluktuiert zwischen Nichtwahl und der Wahl kleinerer vorwiegend "unetablierter" Parteien, zu denen auch "noch" die Grünen zählen. Auch der geringe Zuspruch ehemaliger SPD- oder auch CDU-Wähler spricht dafür, dass größere Teile der PDS-Wählerschaft Protestwähler sind, die keine oder nur eine schwache ideologische Bindung an Parteien aufweisen. Indizien für den langsamen Beginn einer Konkurrenzsituation von PDS und SPD, welche mit der Entwicklung der Grünen in den achtziger Jahren vergleichbar wären, sind derzeit im Westen nicht erkennbar. Zwar hat die PDS auch einige Stimmen ehemaliger SPD-Wähler gewinnen können, eine zunehmende Akzeptanz der PDS innerhalb der SPD-Anhängerschaft ist jedoch nicht ersichtlich. Insgesamt deuten diese Indikatoren in eine Richtung: Die PDS wird auch in Zukunft im Westen eher ein Schattendasein führen. Bislang ist es ihr nicht gelungen, in nennenswertem Ausmaß in die für sie relevanten Wählerpotenziale der Grünen und der SPD einzudringen. Von dem schon 1990 von Gregor Gysi ausgegebenen Ziel, im Westen ein "Milliönchen" Stimmen zu gewinnen, ist die PDS auch zehn Jahre nach der Vereinigung weit entfernt. Sie mobilisiert, außer der Klientel, auf der extremen Linken, eine kleine Anzahl fluktuierender Protestwähler. Da sie an Hochburgen der extremen Linken seit den fünfziger Jahren anknüpft, scheint zudem ihr Wachstumspotenzial begrenzt. Von der Kernklientel der SPD und der Grünen ist sie weit entfernt. Ursachen für den mangelnden Zuspruch in den alten Ländern liegen in der Partei und ihrer Mitgliedschaft selbst. Die PDS zeichnet sich vor allem im Westen durch eine programmatische Wirklichkeitsferne aus. Die wenigen Personen, die von der SPD oder den Grünen zur PDS kamen, waren schon in ihren alten Parteien politisch weitgehend isoliert, da sie auch dort extreme Randpositionen einnahmen, die gerade noch "geduldet" wurden. Eine Sogwirkung auf breitere linke Kreise scheint unter diesen Gegebenheiten mehr als unwahrscheinlich.

    Gekürzter Auszug der Studie Am Ende der Hoffnung. Die PDS im Westen der Konrad-Adenauer-Stiftung


    Aus der PDS-Studie "Die PDS in Ost und West":

    "... stärkste westdeutsche Linkspartei"

    Die Karte der regionalen und örtlichen Wahlergebnisse lässt sich auch als Karte für den Zustand der regionalen und örtlichen PDS lesen. Am ausgeprägtesten scheint dies für die alten Bundesländer zu gelten, auch wenn in dieser Hinsicht viel Vorsicht geboten ist. Es zeigt sich, dass die PDS nicht passiv auf die Verbesserung ihrer Wirkungsbedingungen in Westdeutschland warten muss, sondern gewisse Möglichkeiten der aktiven Änderung besitzt - personelle und organisatorische -, erste kommunalpolitische und soziale Kompetenz, aktive Öffentlichkeitsarbeit und kulturelle Offenheit vorausgesetzt. Hier könnten zwei, drei Dutzend Beispiele genannt werden, hervorgehoben sei die deutliche Stärkung der PDS in Oldenburg und Göttingen, wo sie kommunal- und allgemeinpolitisch jeweils auf sehr unterschiedliche Art sehr aktiv ist.

    Die geografische Entwicklung der PDS-Wahlergebnisse in Westdeutschland und ihre demografische Seite zeigen, dass es (mit Ausnahmen) keinen - wie oft behauptet - Zusammenhang mit früheren DKP-Wahlergebnissen gibt. 1998 hatte die PDS in Westdeutschland sowieso nur 16 Prozent "Wiederwähler". Sie hat zwar sicherlich dort einen Teil der früheren Linkswähler "übernommen", aber in wesentlich größerem Umfang setzt sich ihre westdeutsche und Westberliner Wählerschaft aus zugezogenen Ostdeutschen (zirka ein Drittel), aus jungen Wählerinnen und Wählern sowie seit 1998 aus Wählerinnen und Wählern aus sozialdemokratischen Milieus zusammen (Ruhrgebietsstädte und andere Städte und Stadtteile mit großen sozialen Problemen und hohem Ausländerinnen- und Ausländeranteil).

    Der Zuwachs 1998 geht zumindest geografisch sogar zum weitaus größten Teil auf die zuletzt genannte Gruppe zurück. So legte die PDS von 1994 zu 1999 (anhand der Europawahl) in Duisburg-Stadt von 0,9 auf 2,2 und in Bochum-Stadt von 1,0 auf 2,2 Prozent zu. Im Übrigen weisen die Hamburger Wahlergebnisse nicht nur eindeutig darauf hin (dafür gibt es auch zahlreiche andere Erfahrungen), dass die PDS ihre Bundesergebnisse nicht unbedingt kommunal und ausnahmslos nicht auf Landesebene wiederholen kann, sondern auch darauf, dass die westdeutschen Wählerinnen und Wähler der PDS nicht mit verbalradikaler und sektiererischer Politik, vielmehr nur mit dem offenen und sozialen Profil und der Kultur der Bundes-PDS mobilisierbar sind. Der Charakter der PDS als starke ostdeutsche "Volkspartei" der sozialen Gerechtigkeit ist daher auch für einen nicht geringen Teil ihrer westdeutschen Wählerinnen und Wähler alles andere als ein Hindernis für ihre Wahlentscheidung. Die PDS erzielte bereits bei der Bundestagswahl 1990 in Hamburg 1,1 Prozent, 1998 2,3 und bei der Europawahl 1999 sogar 3,3. Dagegen schaffte die Hamburger PDS mit einer introvertierten und sektiererischen Kandidatur am 21. September 1997 nur 0,7 Prozent und 5.354 Stimmen (die Bundespartei 1998: 25.478).

    In Westdeutschland hat die PDS 1998 und 1999 entscheidende Fortschritte verzeichnet. Sie ist in Westdeutschland noch immer isoliert, der Trend seit 1990 ist jedoch eindeutig positiv, und längst ist die PDS - natürlich auf niedrigem Niveau - auch die mit Abstand stärkste westdeutsche Linkspartei, die einzige Linkspartei, die in den alten Bundesländern wahlpolitisch überhaupt eine nennenswerte Rolle spielt und die DKP-Wahlergebnisse des letzten Vierteljahrhunderts weit übertroffen hat. In den Wahlkämpfen 1998/99 fand sie eine neue Qualität an Sympathie, Zustimmung und Interesse vor, die sich aber angesichts des Richtungswahlcharakters der Bundestagswahl 1998 und des geringen Interesses an der Europawahl 1999 nicht im Ergebnis niedergeschlagen hat. Ohnehin ist aber zu berücksichtigen, dass die Aufweichung der politischen und kulturellen Barrieren gegen die PDS in der westdeutschen Gesellschaft zwar deutlich nachweisbar ist, sich aber nicht kurzfristig in Durchbrüche bei Wahlen auf Landesebene umsetzen lässt und auch auf Bundesebene nur zu einem stetigen, aber langsamen Anstieg der Wahlergebnisse führen kann.

    Gekürzter Auszug der PDS-Studie Die PDS in Ost und West - Fakten und Argumente statt Vermutungen

Es gibt inzwischen Leute in der PDS, die von einem sich zersplitternden Reformerlager in der Partei sprechen.

Ja. Ein Teil des Reformerlagers ist über den Entwicklungsstand der PDS ausgesprochen deprimiert. Der Aufbruch, der 1989 dieses Lager mit konstituiert hat, auch der politische Erfolg, den das Lager hatte - durch die Repräsentation in Vorständen oder auch in Parlamenten - trug sehr zum Selbstbewusstsein bei. Aber ich werde das Gefühl nicht mehr los, dass die Selbsteinschätzung des Reformerlagers, selbst in einer Minderheitenposition zu sein und in der Partei nicht geliebt, sondern maximal als so etwas wie nützliche Idioten wahrgenommen zu werden, die vielleicht für gute Wahlergebnisse sorgen, aber die innerparteiliche programmatische Richtung nicht prägen können, auch zur eigenen Resignation beiträgt.

Kann man das mit einer anderen Partei in der Vergangenheit vergleichen?

Auch wenn der Vergleich hinkt: am ehesten mit der Situation in der SPD und der USPD.

Es würde Sie auch nicht überraschen, wenn in der nächsten Zeit oder nach dem Parteitag in Cottbus Personen, die dem Reformerlager zugerechnet werden, Ämter zurückgeben oder vielleicht sogar die Partei wechseln?

Wenn sie ihren Reformanspruch ernst nehmen, müssen sie sich schon überlegen, ob in der PDS noch eine realistische Chance auf Verwirklichung besteht. Aus- und Übertritte würden mich daher nicht wundern.

Wie kommt es, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung eine Studie über die PDS anfertigen lässt?

Ich arbeite schon seit 1990 über Extremismus, und da kommt man einfach automatisch zur PDS. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat sich in den letzten Jahren zudem kontinuierlich wissenschaftlich mit der PDS, jedoch auch mit anderen Parteien beschäftigt. Ich bezeichne die PDS-Forschung immer als mein großes Hobby, weil ich eigentlich Wahlforscherin bin.

Heißt das, mit der PDS verbindet sich eine bestimmte, wenigstens wissenschaftliche Faszination für Sie?

Kleine Parteien sind für mich immer spannend, da in ihnen mehr Bewegung stattfindet als in den großen Parteien.

Aber eine solche Studie, läuft Gefahr, als konservativ vorbelastet angesehen zu werden, wenn sie von der Adenauer-Stiftung veröffentlicht wird.

Wer sie liest, sieht, dass sie präzise und wissenschaftlich nicht angreifbar ist. Sonst hätte sie auch nicht diese Resonanz.

Das Gespräch führte Jörn Kabisch

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